Äbtissin Carmen Tatschmurat über Silvester im Kloster

"Es ändert sich ja nicht wirklich etwas"

Der letzte Tag des Jahres naht. Die Einen lassen es krachen, die Anderen werden sentimental. Im Interview erzählt die Äbtissin Carmen Tatschmurat der Abtei Venio in München, was sie über das Silvesterfeiern denkt.

Äbtissin Carmen Tatschmurat  (KNA)
Äbtissin Carmen Tatschmurat / ( KNA )

KNA: Äbtissin Carmen, wie begehen Sie und Ihre Schwestern Silvester?

Tatschmurat: Um 18 Uhr feiern wir die Vesper, und dann um 20 Uhr haben wir mit der Jahresschluss-Vigil etwas ganz Besonderes. Da gibt es eine Einheit, wo jede von uns zurückschaut auf das vergangene Jahr und etwas herausheben kann. Das kann etwas Schönes und Wichtiges sein, aber auch etwas, was einem schwergefallen ist. Das dauert unter Umständen bis zu zwei Stunden. Anschließend sitzen wir zusammen, trinken noch einen Punsch oder Sekt und warten auf Mitternacht. Die Jüngeren gehen um 24 Uhr in die Kapelle, um den Jahreswechsel in Schweigen zu verbringen. Manche schaffen es dann auch noch zum Schloss Nymphenburg, um das Feuerwerk über der Stadt anzusehen.

KNA: Darf man bei der Vigil wirklich frei sprechen?

Tatschmurat: Ja. Da kann durchaus etwas Schweres dabei sein. Wenn etwa, wie in diesem Jahr passiert, bei einer Mitschwester die Mutter gestorben ist. Alles darf Platz haben.

KNA: Auch wenn der Rückzug zum Schweigen an Silvester etwas anders verläuft, wird er auch an diesem Tag gepflegt. Ansonsten gilt das bei Ihnen täglich ab 22 Uhr nach dem Abendgebet. Warum?

Tatschmurat: Dieser Akzent des Schweigens - an Silvester eben um Mitternacht mit einer kleinen Meditation in der Kapelle - ist uns wichtig. Wir messen dem Schweigen einen sehr hohen Wert bei. Es ist ein Mittel, um besser hören und auch besser antworten zu lernen. Im Schweigen versuchen wir zu hören, was Gott jeder einzelnen sagen will.

KNA: Und wie sieht es bei Ihnen am 31. Dezember mit Ritualen wie Bleigießen oder dem Gucken von "Dinner for one" aus?

Tatschmurat: Also Bleigießen tun wir nicht. "Dinner for one" hat schon lange keine mehr geschaut, wenngleich ich das früher oft gemacht habe. Aber wir stoßen mit Sekt an.

KNA: Und was halten Sie als Soziologin von solchen Ritualen?

Tatschmurat: Ich bin da ganz entspannt. Wenn es den Leuten gut tut und es sie locker macht, finde ich das schön. Aber wenn man natürlich aus dem Bleigießen eindeutig versucht, die Zukunft herauszulesen, dann hätte ich ein Fragezeichen anzubringen.

KNA: Gibt es einen Silvesterabend, der Ihnen ganz besonders in Erinnerung geblieben ist?

Tatschmurat: Ich habe den Jahreswechsel nie als etwas so furchtbar Dramatisches erlebt, wo ab 24 Uhr plötzlich die Welt ganz anders ist. Schön waren einige Jahre, in denen ich mit einer Freundin an Silvester bis in den späten Abend lange spazieren gegangen bin. Wir hielten dann noch einen Jahresrückblick und besuchten anschließend einen Gottesdienst.

KNA: Spektakuläre Silvesterfeiern, wie manche Menschen sie glauben zu brauchen, sind wohl weniger Ihr Ding?

Tatschmurat: Ich bin kein Silvestermensch, auch leider kein Abendmensch. Meistens bin ich abends todmüde und habe meine Mühe und Not, bis Mitternacht durchzuhalten. Von spektakulär gestalteten Silvesterfeiern, die vielleicht auch noch Tausende von Euro kosten, halte ich wirklich wenig.

KNA: Was sagen Sie jenen Leuten, die mit diesem Tag ein Problem haben?

Tatschmurat: Es ändert sich ja nicht wirklich etwas. Das Leben geht weiter, und es gibt ja auch eine ganz andere Dimension als nur die der Zeit. Wir sollten auf das schauen, was wirklich wesentlich ist im Leben.

KNA: Soll man an Silvester sich etwas fürs kommende Jahr vornehmen?

Tatschmurat: Gegen Vorsätze ist nichts einzuwenden. Man muss nur realistisch bleiben. Indem wir im Orden auf Dinge zurückschauen, hilft es auch, dass man Schweres wirklich gut zurücklassen kann. Aber zugleich gibt es die Möglichkeit, neu anzusetzen.

KNA: Und was wäre ein solch realistischer Blick?

Tatschmurat: Ich habe zum Beispiel im zurückliegenden Jahr mehrere Anläufe gemacht, um Tschechisch zu lernen. Doch ich merkte, dass es dafür momentan keinen Raum gibt. Das gilt es zu akzeptieren. Nach vorne schauen heißt für mich, um ein ganz kleines Beispiel zu nennen, wieder einmal zu überlegen, wie ich meinen Tag besser strukturiere etwa nicht unentwegt in die E-Mails schaue. Auch zu überlegen, wie finden wir gemeinsam Zeit für die Entwicklung von Zukunftsvisionen und für konzeptionelles Denken, um nicht in den alltäglichen Kleinigkeiten stecken zu bleiben. Vor allem aber, wie gelingt immer wieder eine neue Balance zwischen Gebet und Arbeit, aber auch zwischen Freizeit und jenen Dingen, die uns Freude machen.

Das Interview führte Barbara Just.


Quelle:
KNA