Adveniat-Mitarbeiter ordnet brasilianischen Wahlkampf ein

Kampffeld Religion

Am Sonntag findet in Brasilien die Stichwahl zwischen dem linken Kandidaten Lula da Silva und dem amtierenden Präsidenten Jair Bolsonaro statt. Thomas Wieland von Adveniat über die problematische Rolle der Religion im Wahlkampf.

Luis Inácio Lula da Silva und Jair Bolsonaro (r.) / © Isaac Fontana (shutterstock)
Luis Inácio Lula da Silva und Jair Bolsonaro (r.) / © Isaac Fontana ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: 'Brasilien über alles, Gott über allen', so lautet Bolsonaros Wahlspruch. Sieht er sich selber von Gott berufen, Präsident zu bleiben? Schließlich ist Messias ja auch sein zweiter Vorname.

Thomas Wieland (Lateinamerika Hilfswerk Adveniat): Wir wissen nicht, was im Kopf von Jair Bolsonaro vorgeht. Was wir sehen, ist, dass er die Evangelikalen unter seinen Wählern sehr stark anspricht und mobilisiert. Das führt dazu, dass die Religion ein Kampffeld geworden ist, im brasilianischen Wahlkampf. 70 Prozent der Evangelikalen in Brasilien haben bei der letzten Wahl Bolsonaro gewählt. 30 Prozent der 156 Millionen Wahlberechtigten gehören in Brasilien diesen Kirchen an. Insofern ist das ganz natürlich, dass Bolsonaro alles daran setzt, diese Gruppe an die Wahlurne zu bringen.

Thomas Wieland, Adveniat / © Martin Steffen (Adveniat)
Thomas Wieland, Adveniat / © Martin Steffen ( Adveniat )

DOMRADIO.DE: Aber er selber ist ja eigentlich katholisch, sucht aber offensichtlich die Nähe der Evangelikalen. Warum kann er bei ihnen denn so punkten?

Wieland: Weil er sich gegen die katholische Bischofskonferenz des Landes positioniert. Das Kampfwort gegen die Kommunisten lautet Kommunismus. Um ein Beispiel zu nennen: Odilo Scherer, der Kardinal und Erzbischof von Sao Paolo sei ein Kommunist. Warum? Weil er eine scharlachrote Soutane trägt. Auf diesem Niveau bewegt sich die Polemik und der Wahlkampf von Bolsonaro. Er mobilisiert Gefühle und kommt so drum herum, eine Bilanz seiner letzten vier Jahre Präsidentschaft zu ziehen. Und so kommt er auch davon weg sich mit seinem Widersacher Lula da Silva zu vergleichen.

DOMRADIO.DE: Katholiken fühlen sich eher vom linken Expräsidenten Lula da Silva angesprochen. Hat der auf den letzten Metern im Wahlkampf vor der Stichwahl auch noch mal auf das Thema Religion gesetzt?

Wieland: Auch Lula setzt auf das Thema Religion. Er kommt aus der katholischen Basisgemeinden-Bewegung. Deshalb teilt er mit der Kirche, dem Pontifikat von Papst Franziskus, der Tradition der brasilianischen Kirche viele Themen zugunsten der Armen. Das mobilisiert er und das bringt er auch zur Sprache. Lula ist dabei weniger polemisch als Bolsonaro aber auch er nutzt die Polemik als Wahlkampfmittel. Er ließ ein Plakat drucken, auf dem es hieß 'Bolsonaro gebraucht Gott, Gott gebraucht Lula'. Er setzt auch auf die Evangelikalen und versucht sich ihnen anzunähern. Das tut er weil Bolsonaro in Umlauf gebracht hat, dass Lula die evangelischen Kirchen schließen wird.

DOMRADIO.DE: Sie setzen sich, als katholisches Lateinamerika Hilfswerk Adveniat, auch für den Erhalt des Regenwalds und für die indigenen Völker ein. Würde Lula als neuer Präsident hier einen anderen Kurs einschlagen als der aktuelle Präsident?

Wieland: Lula betont im Wahlkampf, dass er die Abholzung des Amazonas stoppen wird. Das ist für die Völker dort, ebenso für Europa, ein wichtiges Thema. Die Abholzung hat zu Lulas Amtszeit im Jahr 2012 4.500 Quadratkilometer betragen. Bei Bolsonaro hat sich das auf 13.200 Quadratkilometer pro Jahr ausgeweitet und es nimmt weiterhin zu. Das ist besorgniserregend. So gesehen, wäre es eine Verbesserung mit Lula für die Präsidentschaft. Allerdings muss man auch sehen, dass auch Lula in seiner Amtszeit kein Freund der Indigenen war. Er bezeichnete sie als Bremse des Fortschritts. So muss die Kirche, wenn sie sich für die Indigenen und das Amazonasgebiet einsetzen will, wachsam sein und das Amazonasgebiet, als große Sauerstoffmaschine dieser Welt, weiter verteidigen.

DOMRADIO.DE: Der Klimaschutz spielt bei uns in Europa eine immer größere Rolle. Ist das in Brasilien ähnlich oder interessiert es die Menschen weniger?

Wieland: In Brasilien merken zurzeit auch diejenigen, die die großen landwirtschaftlichen Unternehmen betreiben, dass der Klimawandel zuschlägt. Gegen Bolsonaro gibt es auch kritische Stimmen der Großgrundbesitzer. Vor allem aus dem Süden des Landes, weil der Regen ausbleibt. Man darf nicht vergessen, dass vor einigen Jahren Sao Paulo so gut wie ohne Wasser war. Inzwischen weiß man, dass das etwas mit dem Abholz des Amazonas zu tun hat. Insofern gibt es in Brasilien schon spürbare Effekte des Klimawandels und auch Stimmen, die dazu aufrufen die Umwelt zu schützen.

Das Interview führt Tobias Fricke.

Amazonas

Der Amazonas gehört zu den längsten Flüssen der Erde. Vom Zusammentreffen seiner beiden in Peru entspringenden Quellflüsse, dem Maranon und dem Ucayali, bis zur Mündung an der brasilianischen Atlantikküste legt er rund 3.650 Kilometer zurück, von der Quelle des Ucayali sind es rund 6.400 Kilometer. Zum gesamten Flusssystem gehören schätzungsweise 10.000 Nebenflüsse.

Der Amazonasregenwald / © Rich Carey (shutterstock)
Quelle:
DR