Abkehr vom Islam wird unter Muslimen kaum geduldet

Von Ausgrenzung bis Todesstrafe

Keine Forderung birgt soviel Konfliktstoff für das islamisch-westliche Verhältnis wie die nach Religionsfreiheit. Laut der UN-Menschenrechtscharta hat sie universale Geltung.

Autor/in:
Christoph Schmidt
 (DR)

Besonders die harten Urteile gegen vom Glauben Abgefallene in islamischen Ländern - bis hin zu Hinrichtungen -, zeigen jedoch, dass man von einem Konsens weit entfernt ist. Der Koran droht Abgefallenen nicht mit weltlichen Strafen, sondern nur mit Gottes Zorn im Jenseits. Scharia-Gelehrte stützen sich vielmehr auf überlieferte Aussprüche Mohammeds, in denen es heißt: «Wer den Glauben aufgibt, den tötet!» Bis heute ist die Liste der Rechtsgutachten lang, die daran festhalten. Ihre Verfasser stammen nicht nur aus explizit islamistischen Kreisen, sondern von den angesehensten Zentren islamischer Gelehrsamkeit.

Westlicher Individualismus und islamisches Kollektivdenken prallen bei der Beurteilung der sogenannten Apostasie direkt aufeinander. Der Mehrheitsislam wertet den Abfall vom Glauben nicht als private Entscheidung, sondern als politische Bedrohung - nicht nur als Sünde gegen Gott, sondern als Verbrechen gegen die Gemeinschaft. Von Anfang an verkündete er die Einheit von Religion und Staat und bezog seine Identität auch aus der militanten Abgrenzung gegenüber Andersgläubigen. Deshalb musste Abfall vom Glauben muslimischen Führern als eine Art Fahnenflucht erscheinen.

Nicht umsonst bezeichnet das arabische Wort für Apostasie, ridda, auch den großen Aufstand der oberflächlich islamisierten Stämme Arabiens gegen die neue Religion nach Mohammeds Tod. Die Rebellion wurde mit Gewalt niedergeschlagen, hat aber das historische Gedächtnis der Muslime tief geprägt. Immer wieder nehmen Gelehrte in ihren Fatwas darauf Bezug.

Staaten wie Saudi-Arabien, Sudan, Jemen, Mauretanien und der Iran bedrohen die Abkehr von der Staatsreligion weiterhin mit dem Tod. Hinrichtungen sind aber schon deshalb selten, weil die Zahl der Apostaten gering ist. Aus Ägypten sind neben Hafturteilen auch Zwangsscheidungen und Einweisungen in die Psychiatrie bekannt. In Pakistan hoffen derzeit Betroffene auf die Abschaffung des «Blasphemiegesetzes». Es soll «Respektlosigkeit gegen den Islam» ahnden und lässt der Willkür großen Spielraum.

Auch in gemäßigteren Ländern wie Tunesien oder der säkularisierten Türkei bleibt Glaubenswechsel zutiefst verpönt. Apostaten müssen soziale und berufliche Ausgrenzung befürchten. In einigen Staaten machen zudem Islamisten immer wieder Jagd auf Konvertiten. Die Übergriffe radikaler Hindus auf Christen und Missionare in Indien im vergangenen Jahr zeigen, dass solche Auswüchse kein islamisches Phänomen sind.

Unter islamischen Reformtheologen gibt es aber auch Kritik am harschen Vorgehen. Denker wie die Iraner Abdol Karim Sorusch und Mohammed Shabestari oder der türkische Gelehrte Yasar Nuri Öztürk fordern eine die Zeitumstände berücksichtigende Interpretation der Rechtsquellen und Straffreiheit für Apostaten. Vertreter einer mittleren Position tolerieren Glaubenswechsler, solange sie keine Stellung gegen den Islam beziehen. In Deutschland haben die großen Verbände DITIB und Zentralrat der Muslime in offiziellen Erklärungen jede Bestrafung abgelehnt.

Die christlichen Kirchen in der islamischen Welt gehen mit der Missionierung sehr zurückhaltend um. Der Apostolische Vikar in Arabien mit Sitz in Abu Dhabi, Paul Hinder, riet Muslimen sogar ausdrücklich von Konvertierungen ab, um ihnen Schikanen und Isolation zu ersparen. Nur einige freikirchliche Gruppen setzen gezielt auf offensive Mission unter Muslimen und haben damit kleine Erfolge - leben aber gefährlich.

Die Situation zeigt deutlich, dass juristische Reformen allein den harten Umgang mit Apostaten im Islam nicht beenden können.
Zusätzlich müsste ein tiefgreifender Mentalitätswechsel in den islamischen Gesellschaften einsetzen. Dazu bräuchte der moderne Reformislam jedoch unter maßgeblichen Gelehrten einen viel größeren Einfluss, als er derzeit besitzt.