"Ich komme vom kleinen Dorf im Sauerlande, von kleinen Leuten, und man hat mir an der Wiege nicht gesungen, dass ich einmal Kandidat für den Posten des Bundespräsidenten sein soll." Als 1959 das Gerücht aufkam, Heinrich Lübke sollte für das Amt des Bundespräsidenten kandidieren, tat er selber das zunächst als schlechten Scherz ab.
Winkelzüge der Partei
Doch der Christdemokrat hatte nicht mit den Winkelzügen seiner Partei gerechnet: Als Kanzler Konrad Adenauer seine Kandidatur für das höchste Staatsamt zurückzog, kürte die Union den Bundeslandwirtschaftsminister zum zweiten Präsidenten der Bundesrepublik nach Theodor Heuss.
Verdienste werden oft unterschätzt
Lübke, der Ersatzmann. Zwei Amtszeiten ohne Glanz und Ausstrahlung. Seine Verdienste werden aber oft unterschätzt. "Er beeindruckte durch seine Schlichtheit", würdigte ihn Kanzler Willy Brandt (SPD) zu seinem Tod vor 50 Jahren. Am 6. April 1972 starb der unzeitgemäße, oft belächelte Sauerländer in Bonn an Magenkrebs.
Rechtschaffenheit, Volksnähe - und eine Portion westfälische Dickköpfigkeit: Das billigten auch Kritiker dem Sohn eines Kleinbauern und Dorfschusters zu, der 1894 im 140-Seelen-Dorf Enkhausen bei Arnsberg geboren wurde.
Studium und Karriere
Lübke studierte Landwirtschaft und Vermessungswesen in Bonn und Berlin. Aus dem Ersten Weltkrieg kehrte er als Leutnant der Reserve mit dem Eisernen Kreuz, 1. Klasse, zurück. Karriere machte er als Landwirtschaftsfunktionär und Kämpfer für kleine und mittlere bäuerliche Familienbetriebe: etwa als Gründer der "Deutschen Bauernschaft" 1926, ab 1932 auch als Abgeordneter des Zentrums im preußischen Landtag. Die großbäuerlichen Interessenvertreter bekämpften den "roten Lübke" als "Bodenreformer".
Tiefer Einschnitt durch Hitlers Machtergreifung
Hitlers Machtergreifung bedeutete einen tiefen Einschnitt: Lübke verlor alle Ämter. Von Februar 1934 bis Oktober 1935 wurde er wegen vermeintlicher Korruption sogar in Untersuchungshaft genommen, bis das Verfahren eingestellt wurde. Lübke wurde arbeitslos, bekam aber 1937 wieder eine Anstellung bei einer Wohnungsbaugesellschaft in Berlin. Im September 1939 wurde er Bauleiter bei der "Baugruppe Schlempp" im Machtbereich des späteren Rüstungsministers Albert Speer. Lübke war mit dem Bau von zivilen und militärischen Anlagen beschäftigt, in Peenemünde, seit 1943 in Sachsen-Anhalt. Die Baugruppe errichtete auch Unterkünfte für ausländische Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge.
Engagement für Landwirtschaft und Ernährung
Nach 1945 nahm der überzeugte Katholik sein Engagement für Landwirtschaft und Ernährung wieder auf. Zunächst als Landwirtschaftsminister in NRW und schließlich als erfolgreicher Bundesminister im Kabinett Adenauer. Auf der Grundlage jährlich entwickelter "Grüner Pläne" gelang es ihm, die Landwirtschaft ohne soziale Erschütterungen zu modernisieren.
Zweite Amtsperiode
Dass Lübke dann auch als Bundespräsident Erfolge hatte, zeigt, dass er 1964 mit den Stimmen der SPD für eine zweite Amtsperiode gewählt wurde. Das zentrale Anliegen des "grünen Heinrich": die Stärkung der Entwicklungshilfe und die Bekämpfung des Hungers in der Welt. 1962 rief Lübke den "Deutschen Ausschuss für den Kampf gegen Hunger" ins Leben, aus dem die Deutsche Welthungerhilfe hervorging. Drei Dutzend Länder besuchte der "Reisepräsident" und trug durch sein bescheidenes Auftreten dazu bei, dass das ramponierte Ansehen der Bundesrepublik zusehends wuchs. Innenpolitisch setzte er sich für eine Beteiligung der SPD an der Regierung ein, wie sie in der Großen Koalition 1966 dann Realität wurde.
Keine weltmännische Ausstrahlung
Dennoch: Lübke, Freund des Skat-Spiels, hatte nichts von der weltmännischen Ausstrahlung seines Vorgängers Heuss. Seine Sprache war einfach und trocken, er wirkte oft hölzern und hilflos. Die letzten beiden Jahre seiner Amtszeit wurden die schwersten: Seine Verwirrtheit und Vergesslichkeit waren in einer Zeit, in der Demenzerkrankungen ein Tabu waren, ein gefundenes Fressen für Karikaturisten und Kritiker.
Hinzu kamen scharfe Angriffe aus der DDR. Die SED diffamierte ihn mit Blick auf die "Baugruppe Schlempp" als "KZ-Baumeister Lübke". Anschuldigungen, die der Politiker nicht schnell und klar genug entkräftete.
Als Lübke 1969 zehn Wochen vor dem Ende seiner Amtszeit vorzeitig zurücktrat, war ihm die Erleichterung deutlich anzumerken. Seine Frau Wilhelmine gestand: "Mein Mann hat einen großen Fehler begangen, als er die zweite Amtszeit annahm."