25 Jahre Notschlafstelle für Drogenabhängige

"Ein Stückchen Heimat"

Das Kölner "Notel", Notschlafstelle und Krankenwohnung der Spiritaner-Stiftung Knechtsteden, wird 25 Jahre alt. Ein Besuch in der katholischen Einrichtung, die für drogenabhängige, obdachlose Männer mehr als "ein Stückchen Heimat" bedeutet.

Autor/in:
Sabine Kleyboldt
Gast im Notel (KNA)
Gast im Notel / ( KNA )

"Hier ist das Zimmer, wo am wenigsten geschnarcht wird", sagt Alex, während er die blaue Sonnen-Bettwäsche über das Kopfkissen stülpt. "Der Kollege nebenan brummt wie ein Tier." Der Mann mit den langen Haaren und dem Schnäuzer kennt sich aus im "Notel". Für Alex, gelernter Dachdecker und Fliesenleger, ist die Kölner Notschlafstelle für Drogenabhängige fast zur zweiten Heimat geworden. Denn hier finden Männer in seiner Situation ein Bett, ein warmes Essen, ein offenes Ohr und Ruhe. Und das seit genau 25 Jahren.

Am 2. Februar 1990 wurde das "Notel" an der Victoriastraße 12 - gut zehn Gehminuten vom Kölner Hauptbahnhof - von der Spiritanerstiftung Knechtsteden gegründet. Gemäß dem Ordens-Motto "Wir machen die Arbeit, die keiner tun will", kümmern sich hier neun Profis und viele Ehrenamtliche um Menschen, über die man sonst eher die Nase rümpft.

Keine Missionierung

Und in der Krankenwohnung im obersten Stock werden Drogenabhängige versorgt, die nicht krank genug sind für die Klinik, aber auch nicht gesund genug für die Straße. "Hier wird keiner missioniert oder zu einer Therapie angehalten", erläutert Notel-Mitbegründerin und Leiterin Bärbel Ackerschott, "aber wir wollen, dass die Leute ihre Würde behalten." Deshalb können die Gäste dort nicht nur essen, duschen und schlafen, sondern müssen auch ein paar Regeln beachten, wenn sie ab 20 Uhr ins Notel eingelassen werden.

"Wie geht's Dir, Alex?", fragt Mitarbeiterin Elena, als sie den 50-Jährigen im Büro nach Drogen, Waffen, Spritzen und ähnlichem absucht. "Wenn ich sagen würde 'gut!', wäre es geprahlt", antwortet er der jungen Frau. Er hat an diesem kalten Abend als einer der ersten in der Toreinfahrt gewartet. Seine wenigen Habseligkeiten wandern nun in einen Spind, die verwaschene Jeans und das graue Sweatshirt vertauscht er mit einem Trainingsanzug, der in der blauen Plastikbox mit der Aufschrift "Alex" bereitliegt. Die Namen Martin, Michael, Udo oder Johann auf den anderen Kisten verweisen auf weitere Dauergäste der katholischen Einrichtung. Genau wie die maximal zwölf Nutzer wird Alex, der inzwischen weiße Gummilatschen an den Füßen hat, seine Sachen am nächsten Morgen frisch gewaschen zurückerhalten.

"Ohne HIV und Hepathitis durchkommen"

Fast 79.000 Übernachtungen und über 2.800 Gäste gab es im Notel in all den Jahren, rechnet Bärbel Ackerschott vor. Und: Eine Million Spritzen wurden hier getauscht und Kondome ausgegeben. "Das hat nichts mit Moral, sondern mit Gesundheit zu tun", sagt die 57-Jährige mit den kurzen weißen Haaren sachlich. "Wir müssen gucken, dass die Leute ohne HIV und Hepathitis durchkommen." So landen die Nadeln in einem gelben Spezialbehälter, den die Müllabfuhr entsorgt. Die neuen Spritzen kommen vom Gesundheitsamt, erklärt die Sozialarbeiterin, Suchttherapeutin, Theologin und Kauffrau.

Ackerschott ist die Seele des Notel. "Bärbel ist die Beste!" Raimondo, der inzwischen wie Alex am großen Holztisch im Gemeinschaftsraum sitzt, gestikuliert theatralisch mit seiner Zigarette. Dabei hat ihn die Leiterin kurz vorher ermahnt, mit seinem Kumpel Pedro Deutsch zu sprechen - eine weitere Regel im Notel. "Ich will doch nicht, dass die Drogenmafia hier heimlich ihre Geschäfte abwickelt", erläutert Ackerschott. Ebenfalls im Sinne der Gewaltfreiheit gilt außer für ihre Hündin Pia im Notel: Tiere müssen draußen bleiben. "Hunde können eine Waffe sein, und sie werden gerne zum Drogentransport verwendet", so die Leiterin.

Gegen halb neun sitzen die Männer um die blanke Holztafel. Heute Abend gibt es Nudeln mit Hackfleischsoße, dazu Wasser, Milch, Kakao oder Tee, selbstredend keinen Alkohol. Lediglich das Suchtmittel Nikotin ist zugelassen im Notel. Manche essen schweigend, andere berichten von ihrem Tag - wie in einer Familie eben. Udo erzählt, dass er heute in der Fußgängerzone schnorren war. "Aber das wird immer schwieriger, es gibt ja kaum jemand was."

Ähnliche Schicksale

Alex ist dazu zu stolz. Genau wie Michael sammelt er lieber Altmetall und lässt es sich beim Schrotthändler zu ein paar Euro versilbern. Oder er macht Gelegenheitsjobs auf Baustellen. "Sehe ich gut genug aus für Fotos?", kokettiert er, als die Kamera klickt. "Die Polizei hat viele Bilder von mir." Denn Alex hat auch "Mist gebaut" in seinen 50 Jahren. Aber das Leben war auch oft nicht gerade fair zu ihm.

Viele Geschichten am Tisch ähneln einander: Job weg, Frau weg, Wohnung weg, Griff zur Droge, ab ins Elend. Dazu kommen hie und da schwere Krankheiten, Misshandlungen als Kind, zerstörte Lebensträume.

Wie bei Amir aus dem Iran. Der gelernte Kunstschmied versucht seit der Scheidung, wieder an Arbeit und Wohnung zu kommen. Oder Udo, der als Chemielaborant berufsunfähig ist und bisher nicht wieder Fuß fassen konnte.

Im Notel erleben sie ein bisschen Wärme und heile Welt. "Hier ist man ein Mensch", sagt Michael, seit fünf Jahren regelmäßiger Gast. "Man hat jemanden zum Reden, wenn einem was auf der Seele liegt." So bietet das etwas andere Hotel "ein Stückchen Heimat - zumindest im Kleinen", wie es der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki ausdrückt, der "froh und dankbar" für die seit 25 Jahren bestehende Einrichtung ist. Durch die Zuwendung der Mitarbeitenden erführen die Gäste "Zeichen der Wärme und der Nähe Gottes". Denn: "Ihr seid wertvoll, Ihr seid wichtig, auch in den Augen Gottes", unterstreicht Woelki, der nur wenige hundert Meter entfernt wohnt.

Obwohl das Notel eine katholische Einrichtung ist, bleibt der Glaube ein Kann-Thema. Vor dem Einlass der Gäste treffen sich Ackerschott und das Team im kleinen Andachtsraum zusammen mit Franziskanerbruder Markus Fuhrmann zum Vespergebet oder feiern Gottesdienst. Und am späten Abend bei der Complet wird für jeden einzelnen Übernachtenden gebetet. Dann schiebt die Leiterin Zettel mit den Namen der Gäste zwischen die Seiten der Bibel. "Das Ritual bedeutet, dass wir alle 'abgeben'. Man geht dann entspannter ins Bett." Hinten in der dicken Bibel sind alle Gäste, die in den 25 Jahren verstorben sind, verzeichnet: gut hundert mittlerweile.

Im Notel läuft inzwischen der Fernseher. Dazu hat eine Mitarbeiterin ein paar Sendungen auf die Wandtafel geschrieben. Die Championsleague hat heute keine Chance, dafür macht eine Tierdokumentation das Rennen. Um 22.45 Uhr ist grundsätzlich Sendeschluss in der Unterkunft. Aber die meisten Bewohner sind dann schon in den Drei- und Vierbettzimmern verschwunden. Alex, Amir, Michael und Martin genießen die Nachtruhe im Notel. Morgen früh um 8 Uhr müssen sie die Notschlafstelle wieder verlassen. Gestärkt mit Frühstück, frisch gewaschener Kleidung und etwas menschlicher Wärme gegen die Kälte der Straße.

Zum Jubiläum des Notel gibt es mehrere Veranstaltungen

Am Mittwoch (4. Februar) findet um 18.00 Uhr im Domforum ein Konzert mit Rolly Brings und Bänd statt, bei dem Brings auch das Evangelium auf Kölsch liest. Ebenfalls im Domforum geht es am Donnerstag (5. Februar) um 17.00 Uhr in einer Talkrunde um das Thema »Jedem seine Sucht. Zwischen Heroin und Gummibärchen«. Am Samstag (7. Februar) wird um 11.00 Uhr in der Kirche Sankt Maria in Lyskirchen ein Dankgottesdienst für 25 Jahre »Notel« gefeiert. Von 13.00 bis 17.00 Uhr lädt das »Notel« zum Tag der offenen Tür ein.


Ehrenamt im Notel (KNA)
Ehrenamt im Notel / ( KNA )
Quelle:
KNA