25 Jahre nach Tian'anmen-Massaker

Repression statt Reformen

Festnahmen, Haftstrafen und Einschüchterung. Auch 25 Jahre nach der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung greift das Regime in China hart durch. Die Opfer warten vergeblich auf Gerechtigkeit.

Machtdemonstration in Peking (dpa)
Machtdemonstration in Peking / ( dpa )

"Jeder Tag ist ein 4. Juni", sagt Qi Zhiyong. Auch 25 Jahre nach dem Tian'anmen-Massaker von 1989 findet die Verfolgung kein Ende. Unbeirrt von Überwachung, Einschüchterung und Misshandlung will der 58-Jährige die Erinnerung an dieses düstere Kapitel in Chinas Geschichte wach halten: "Ich bin entschlossen, furchtlos die Wahrheit zu verteidigen." Qi Zhiyong zahlte einen hohen Preis. Er wurde durch Schüsse schwer verletzt, verlor das linke Bein. Heute leidet er unter Gesundheitsproblemen, die er auch auf Bewegungsmangel zurückführt.

Mit harter Hand geht die Staatssicherheit gegen solche kritischen Stimmen vor. Vor dem Jahrestag wird das Internet strenger zensiert als je zuvor. Selbst der Zugang zu Google-Diensten ist jetzt geblockt. Seit Monaten werden Bürgerrechtler und ihre Anwälte in Haft gesteckt, obwohl sie nur verfassungsmäßig garantierte Rechte in Anspruch nehmen wollen. "Es ist 25 Jahre her, aber weiter werden Leute verurteilt", sagt Qi Zhiyong. "Der 4. Juni ist Teil des Lebens unseres Volkes", fügt er noch hinzu, bevor er kurz vor dem 25. Jahrestag des Massakers mit Hausarrest zum Schweigen gebracht wird.

Keine Gerechtigkeit

Einige hundert Menschen kamen in jener Nacht ums Leben, als die Kommunistische Partei nach wochenlangen Demonstrationen auf dem Platz des Himmlischen Friedens die Volksbefreiungsarmee in Peking auf das eigene Volk schießen ließ. "In all diesen Jahren und trotz aller Bemühungen haben wir keine Gerechtigkeit für unsere Angehörigen erreicht", beklagt Ding Zilin, deren 17-jähriger Sohn durch eine Kugel getötet wurde.

Die Professorin steht an der Spitze des Netzwerkes der "Mütter von Tian'anmen", die zum Jahrestag eine Reihe von Interviews mit Familien sowie Videos im Internet veröffentlicht haben. Seit Jahren verhallen ihre Forderungen nach einer unabhängigen Untersuchung und Bestrafung der Verantwortlichen ungehört. Chinas Führung erlaubt keine Aufarbeitung und verteidigt das Vorgehen seit Jahren mit der gleichen Standardformel: "Partei und Regierung haben entschiedene Maßnahmen ergriffen, sind korrekt mit den Unruhen umgegangen und haben die langfristige Stabilität Chinas gesichert."

Die neuen Führer greifen noch härter durch

Die Hoffnungen, dass die neue Führung unter Staats- und Parteichef Xi Jinping einen neuen Kurs einschlagen könnte, wurden enttäuscht. Schlimmer noch: Das Schreckensgespenst des Zusammenbruchs der Sowjetunion unter Michail Gorbatschow vor Augen, greifen die neuen Führer sogar noch härter durch, wie die hohe Zahl der Festnahmen seit ihrem Amtsantritt 2013 zeigt. "Bisher setzt Xi Jinping auf Repression statt Reformen", stellt Verena Harpe von Amnesty International fest. Mit einer "beispiellosen Verfolgungswelle" wollten Chinas Führer jedes Gedenken verhindern, "um eine Friedhofsruhe auf dem Platz des Himmlischen Friedens durchsetzen", wie ein Kritiker sagt.

Auch die Welt möchte das Massaker am liebsten vergessen, befürchtet der damalige Studentenführer Wuer Kaixi, der ins Ausland flüchten konnte und heute im Exil in Taiwan lebt. "Die Welt steht Schlange, um nach Peking zu pilgern und die Hände der - aus meiner Sicht - Mörder zu schütteln, um Geschäfte zu machen und um Marktzugang zu bitten oder manchmal sogar darum, aus der Wirtschaftskrise gerettet zu werden", sagt der 46-Jährige in einem dpa-Interview in Taipeh.

"Die Welt knickt gegenüber China ein", beklagt Wuer Kaixi und vergleicht das Verhalten mit der Beschwichtigungspolitik der 1930er Jahre gegenüber dem Nazi-Regime in Deutschland. "Hier wiederholt sich Geschichte." Es stehe viel auf dem Spiel, warnt auch der damals meistgesuchte Studentenführer Wang Dan: "Für ein mächtiges Land wie China ist Demokratisierung entscheidend, weil dies Einfluss auf den Frieden in der Welt hat", sagt der 45-Jährige, der heute in Taiwan als Professor lehrt und weiter politisch aktiv ist.

Habgierige Interessengruppen, Prinzlinge und Technokraten

Die Hoffnung, dass wirtschaftliche Entwicklung und Wohlstand das Land irgendwie zur Demokratie führen würden, werde sich nicht erfüllen, warnt Wang Dan. Die zweitgrößte Wirtschaftsnation sei keine reine Marktwirtschaft, sondern vom Staat monopolisiert und eine politisierte Volkswirtschaft, was auch die Korruption erkläre.

Haben die Studentenführer vor 25 Jahren noch geglaubt, dass die Kommunistische Partei sich von innen heraus selbst reformieren könnte, zeigen sie jetzt große Zweifel. Das kommunistische Regime repräsentiere heute habgierige Interessengruppen, Prinzlinge und Technokraten, die das Land ausplünderten, sagen sie.

"Probleme werden meist beseitigt, indem Konflikte im Land unterdrückt werden, um Stabilität zu wahren", sagt Wang Dan. "Die Probleme können aber nicht wirklich bewältigt werden, wenn die systemischen Ursachen nicht angepackt werden." Der Preis für diese erzwungene Stabilität sei hoch - "und könnte eines Tages unbezahlbar werden".

Blockade von Google

Wie erwartet hat nun das kommunistische Regime mit Festnahmen und einer Blockade von Google die Sicherheitsvorkehrungen zum 25. Jahrestag drastisch verschärft. Mehr als 80 Bürgerrechtler seien weggesperrt, unter Hausarrest gestellt, verhört und eingeschüchtert worden, berichteten Menschenrechtsgruppen am Dienstag und beklagten eine "beispiellose Verfolgungswelle". Chinas Zensur blockierte ferner den Zugang zu Diensten von Google wie Suche, Gmail, Maps oder selbst deren Fotoplattform Picasa.

Hundertausende Polizisten in Uniform und Zivil, paramilitärische Truppen und ein Heer von Freiwilligen der Nachbarschaftskomitees sorgten in der 20-Millionen-Metropole Peking für Sicherheit. Sie sollten etwaige Zwischenfälle am Jahrestag von 1989 verhindern. "Chinas Machthabern ist jedes Mittel recht: Mit Entführungen, Drohungen, Verhören, Hausarresten und willkürlichen Festnahmen wollen sie Friedhofsruhe auf dem Platz des Himmlischen Friedens durchsetzen", kritisierte Ulrich Delius von der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV).

Teil der Kampagne zur Kontrolle des Internets

Die Blockade der Google-Dienste zielt laut Experten nicht nur auf den Jahrestag des brutalen Militäreinsatzes in der Nacht zum 4. Juni 1989, sondern könnte Teil der Kampagne zur Kontrolle des Internets sein. "Es ist die bisher strengste Zensur, die angewandt wurde", meinte die Webseite Greatfire.org, die Chinas "Große Firewall" genannten Internetsperren verfolgt. "Es scheint eine echte Blockade zu sein, nicht nur eine Drosselung", sagte der Internet-Experte Jeremy Goldkorn von danwei.com der Nachrichtenagentur dpa in Peking.

"Wir haben ausgiebig geprüft, und es gibt keine technischen Probleme auf unserer Seite", teilte Google mit. Der Internetriese verschlüsselt seit März alle Suchen aus China, doch stören die Behörden jetzt schon die Verbindungen zu Googles Internetprotokoll-Adressen, wie Greatfire.org berichtete. Seit sich Google 2010 aus China zurückgezogen hat, um sich nicht weiter selber zensieren zu müssen, wurden Nutzer automatisch auf die Suchseite in Hongkong umgeleitet, was jetzt auch nicht mehr funktioniert.

Zwar hat Google ohnehin keinen großen Marktanteil in China, doch dürften laut Experten viele Millionen chinesische Internetnutzer von den massiven Störungen betroffen sein. Marktführer in China ist die Suchmaschine Baidu, die ihre Suchen zensiert. Ohnehin sind in China soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter sowie Youtube oder Webseiten von Menschenrechtsorganisationen und ausländischen Medien wie die "Süddeutsche Zeitung", "New York Times" oder die Nachrichtenagentur Bloomberg geblockt.

Viele Chinesen umgehen die chinesischen Sperren mit Tunneldiensten, doch sind die Störungen solcher VPN-Verbindungen vor dem Jahrestag offenbar noch einmal intensiviert worden, wie Nutzer beklagen. Auch ausländische Unternehmen in China sind von Behinderungen betroffen.

Katholische Kirche in China

Nach Schätzungen von Experten sind rund 10 Millionen der knapp 1,4 Milliarden Einwohnern der Volksrepublik China Katholiken; die Behörden verzeichnen jedoch lediglich 6 Millionen. Das US-Forschungsinstitut Pew geht von 9 Millionen aus. Als kleine Minderheit haben die Katholiken mit rund 100 Diözesen dennoch landesweit funktionierende Kirchenstrukturen.

Kruzifix in katholischer Kirche in China / © Katharina Ebel (KNA)
Kruzifix in katholischer Kirche in China / © Katharina Ebel ( KNA )
Quelle:
dpa