25 Jahre nach dem Geiseldrama von Gladbeck

Gewissensprüfung für Journalisten

25 Jahre liegt das Geiseldrama von Gladbeck am 16. August zurück - ein Ereignis, das als Super-Gau in Sachen Medienethik in die Geschichte einging: Zwei Tage war eine Geiselnahme quasi live miterlebbar. Ein Gespräch über die Folgen.

Gladbeck: Schwarze Stunde auch für Journalismus (dpa)
Gladbeck: Schwarze Stunde auch für Journalismus / ( dpa )

Ob die Medien daraus gelernt haben, wollte die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) von Bernhard Remmers (54) wissen, dem journalistischen Direktor des Instituts zur Förderung publizistischen Nachwuchses (ifp) in München, der katholischen Journalistenschule in Deutschland.

KNA: Journalisten interviewten Geiseln, verfolgten die Geiselnehmer bis in die Niederlande, behinderten die Polizei und hielten sogar den Kopf einer Geisel in die Kamera. Haben die Medien aus dem Drama von Gladbeck gelernt?

Remmers: Es hat sich einiges getan seit Gladbeck: Der Presserat hat den Pressekodex erweitert. Es gibt da nun den klaren Hinweis, dass Interviews mit Tätern während des Tathergangs nicht zulässig sind. Wer heute etwa - wie damals geschehen - zu den Geiselnehmern ins Auto steigt, ihnen sogar noch den Weg zeigt und Interviews führt, der müsste zu Recht mit einer Rüge des Presserates rechnen. Trotzdem glaube ich, dass wir im konkreten Fall wieder mit ähnlichen Szenen rechnen müssten.

KNA: Die Medienlandschaft hat sich in den vergangenen 25 Jahren drastisch verändert. Wie würde eine solche Geiselnahme in Zeiten von Twitter, youtube und Bürgerreportern ablaufen?

Remmers: Da brauche ich nur wenige Monate zurückdenken, als im Mai ein Mann in London auf offener Straße einen britischen Soldaten niedermetzelte. Eine Passantin filmte anschließend den Täter. Auch renommierte Medien in Deutschland verwendeten das Material. Im Video können Sie heute noch bei faz.net den Täter sehen, der mit blutigen Händen sein Statement abgibt. Und im Hintergrund ist der Körper des Getöteten zu erkennen. Das steht im Widerspruch zu den Grundsätzen des Pressekodex. Aber offenbar erliegen Journalisten immer wieder der Gefahr, dass sie sich der Dynamik eines Ereignisses nicht entziehen mögen, der Schnellste und nah dran sein wollen.

KNA: Das Video aus London stammt von einer Passantin. Welche ethische Verantwortung haben Redaktionen in einem solchen Fall?

Remmers: Die Verantwortung wird größer, wenn ich Nicht-Journalisten als Bürgerreporter einsetze. Die Filterfunktion der Redaktion wird wichtiger. Die Redaktion muss abwägen, was im öffentlichen Interesse liegt und was die Menschenwürde des Opfers verletzt oder die Leser, Hörer und Zuschauer beeinträchtigen könnte.

KNA: Wo ist die Grenze, was ich veröffentlichen darf?

Remmers: Ich muss abwägen, zwischen dem berechtigten öffentlichen Interesse und den Schutzrechten von Opfern und Zuschauern. Muss ich das ganze Video zeigen? Reicht vielleicht ein Standbild? Da gibt es heute in Redaktionen Defizite.

KNA: Welche Rolle spielt Ethik im Redaktionsalltag?

Remmers: Wir erleben heute zu oft einen Mechanismus der Aufregung. Ein Leitmedium setzt ein Thema und löst damit eine Welle aus. Offenbar ist es für viele Kollegen schwer, sich dem zu entziehen, und sich zum Beispiel bei Christian Wulff zu fragen: Ist es richtig, dass sich die Medien bis zum Bobby-Car mit dem Privatleben des Bundespräsidenten beschäftigen? Redaktionen brauchen eine Kultur der Reflektion, des Widerspruchs - auch im Sinne einer Gewissensprüfung. Als katholische Journalistenschule möchten wir dazu unseren Beitrag leisten.

KNA: Was lehrt das ifp?

Remmers: Medienethik ist im ifp fester Bestandteil des Stundenplans. Dazu gehören Lerneinheiten mit Vertretern des Presserates. Vor allem aber möchten wir unsere Absolventen mit unseren geistlichen Angeboten zur Reflektion und Selbstprüfung einladen. Das kann sie vielleicht befähigen, Situationen wie damals während des Gladbecker-Geiseldramas besser zu bestehen.

Das Gespräch führte Veronika Wawatschek.


Quelle:
KNA