24.02.2013

BWV 38: Aus tiefer Not schrei ich zu dir

Auch wenn Johann Sebastian Bach für die Sonntage der Fastenzeit keine eigenen Kantaten geschrieben hat, denn in der Advents- und Fastenzeit gab es in den Leipziger Kirchen dem Charakter dieser Zeit entsprechend keine Figuralmusik, gibt es doch zahlreiche Kantaten, die sehr gut zu diesen Sonntagen passen. So zum Beispiel die Kantate BWV 38: „Aus tiefer Not schrei ich zu Dir“.

 (DR)

 

Noch heute ist der Choral im katholischen Gesangbuch Gotteslob zu finden, Bach hat diese Choralkantate zum 29. Oktober 1724 komponiert. Zugrunde liegt ihr das von Luther 1524 geschriebene Lied, eine Nachdichtung des 130. Psalms.

Auffällig: Die phrygische, also die in einer Kirchentonart geschriebene Choralmelodie, gliedert Bach nicht nach Art der meisten übrigen Choralkantaten einem konzertanten Orchestersatz ein, sondern er vertont den Choral in der traditionsgebundenen Form der motettischen Choralbearbeitung. Alle Instrumente gehen in einer Stimme mit den Singstimme, jede Liedzeile wird auf die gleiche Weise vorgetragen. Jeder Zeilenabschnitt beginnt so mit wenigen Stimmen und wächst dann an.

Der 2. Satz ist ein schlichtes, jedoch eindringliches Rezitativ, dem im 3. Satz eine Tenor-Arie folgt. Instrumentiert mit zwei weithin parallelgeführten Oboen. Der Charakter der Arie wird durch den Rhythmus bestimmt und der ist freudig und lebendig. Entsprechend zum Text, denn da ist vom „Trost“ die Rede.

Der 4. Satz entfernt sich am weitesten von dem Text Martin Luthers, vom Text des Kirchenliedes. Dafür verbindet Bach diesen Satz musikalisch enger mit dem Lutherlied, indem er die Choralmelodie in die Begleitung legt und das Rezitiativ in einem festen Rhythmus singen lässt. Trotzdem muss man ganz genau hinhören, um die Melodie des Kirchenliedes noch zu erkennen, so geschickt kombiniert Bach die textausdeutende Singstimme mit der Begleitung.

An Stelle einer zweiten Arie enthält die Kantate ein Terzett. Formal ist es zweiteilig: Beide Teile stehen einander in einem Kontrast gegenüber, der textlich durch die Worte „Trübsal“ und „Trost“ charakterisiert ist.

Ein schlichter Choralsatz beendet das Werk.

Kantate BWV 38: „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“.
Wiener Sängerknaben, Concentus musicus Wien, Leitung: Nikolaus Harnoncourt.

 

Quelle: Alfred Dürr, Die Kantaten von Johann Sebastian Bach, Bärenreiter 1995