Predigten

Joachim Kardinal Meisner - Predigt beim Soldatengottesdienst

Papst Benedikt XVI. hat den diesjährigen Weltfriedenstag und damit auch den heutigen Internationalen Soldatengottesdienst unter das Motto gestellt: "Die Armut bekämpfen, den Frieden aufbauen". Ein Heiliger, der sein ganzes Leben diesem Motto gewidmet hat, ist Sankt Martin († 397), der Sol-dat und Offizier, der spätere Mönch und Bischof von Tours. Als er vor A-miens einen armen, frierenden Bettler sitzen sieht, teilt er mit diesem seinen Soldatenmantel. So hilft er dem Armen auf Kosten eigener Bequemlichkeit. Den Spott seiner Umgebung nimmt Martin ebenso in Kauf wie die drei Tage Haft, die er erhält, weil er Armee-Eigentum beschädigt hat. Einschlägig in-teressierte Kreise vereinnahmen den Heiligen gerne für ihre Kritik am Mili-tär, weil er nach seiner Bekehrung zum Christentum aus dem Heer austrat. Aber tatsächlich hat Martin diesen Schritt eher als Wechsel des Feldherren verstanden; er war geradezu Prototyp des "miles christianus", des christli-chen Soldaten.

Aber macht man nicht den Bock zum Gärtner, wenn man die Bekämpfung der Armut in die Hände des Militärs legt? Denn Militär und Armut - das war über weite Phasen der Menschheitsgeschichte geradezu ein Verhältnis von Ursache und Wirkung. Wenn Krieg geführt wurde, dann fielen Hab und Gut der Unterlegenen ganz selbstverständlich den Siegern zu. Allzu oft blieb es nicht beim Raub von Besitztümern; auch die unterworfenen Menschen selbst wurden verschleppt, verkauft und versklavt. Wie steht es also um die "Friedenskompetenz" des Militärs, nach solch schlimmen Erfahrungen durch all die Jahrhunderte? Hat das englische Sprichwort nicht Recht, das sagt: "Soldaten im Frieden sind wie Kamine im Sommer"?

2. Will man auf solche Fragen redlich antworten, dann reicht es nicht, in Stereotypen zu denken und sich auf vorgefasste Meinungen zu verlegen. Selbstverständlich: Wenn - wie beispielsweise jetzt wieder in Afrika - militä-rische oder paramilitärische Horden sengend und brennend durchs Land ziehen, wenn eine Soldateska plündert und mordet, raubt und vergewaltigt, dann hat das nichts mit dem Aufbau von Frieden und Wohlstand zu tun.

Aber es gibt eben nicht nur solche Söldnerbanden, die nichts anderes sind als bewaffnete Unholde in größerer Zahl. Es gibt auch jene, die über Ord-nung und Sicherheit der Heimat wachen. Insbesondere in demokratischen Staaten hat das Militär eine ganz andere Funktion als in Diktaturen oder Anarchien. Auch wenn Kritiker es nicht wahrhaben wollen: Ziel demokrati-scher Armeen ist es gerade, Frieden zu schaffen und zu erhalten. Die Män-ner und Frauen zum Beispiel, die sich für die Sicherheit der Schiffsbesatzun-gen vor der Küste Somalias einsetzen, geben uns ein aktuelles Beispiel eines heiligen Martin. Sie haben mit denjenigen, die im Landesinneren die Bevöl-kerung ausplündern und bis aufs Blut quälen, nichts gemein.

3. Es ist leider wahr: In vielen Ländern werden Menschen durch Armut so-wie wirtschaftliche und soziale Ungerechtigkeit in den Kampf getrieben. Und es ist auch wahr, dass man solche Konflikte mit bloßer Waffengewalt nicht lösen und nachhaltig unterbinden kann. Es gilt, die Ursachen der Auseinan-dersetzung zu finden und zu beseitigen, nicht nur die Symptome zu kurieren. Aber bei einer schweren Erkrankung ist das Fieber ebenfalls nur ein Sym-ptom - und kann doch lebensbedrohlich werden. Soll der Seemann, der von Piraten als Geisel genommen wurde, in Gefangenschaft bleiben und um sein Leben bangen, bis die Wirren in Somalia ein Ende gefunden haben? Nein: Es ist legitim, wenn ungerechte Gewalt durch Gegengewalt eingedämmt wird; es ist legitim, dass man Opfer befreit und gefährdete Menschen aus Krisengebieten evakuiert. Es ist legitim, wenn neu aufflammende Gewalt im Keim erstickt wird. Und es ist mehr als nur legitim, wenn man durch Hilfs- und Aufbaudienste schon erste Schritte hin zu einem wirklich stabilen Frie-den tut. Der große Papst Johannes Paul II. hatte keine Scheu, sich in aller Deutlichkeit gegen den Irakkrieg auszusprechen. Gleichwohl sagte er ein-mal: "Der eigentliche Kern der Berufung zum Soldaten ist nichts anderes als die Verteidigung des Guten, der Wahrheit und vor allem jener, die zu Un-recht angegriffen werden".

Es war derselbe Papst, der in einer Generalaudienz (Mittwoch, 1. Dezember 2004) darauf hingewiesen hat, dass ein solcher militärischer Einsatz zur Verteidigung des Guten auch eine religiöse Dimension aufweisen kann. Denn - um Johannes Paul II. wörtlich zu zitieren - "wenn die Rechte der Armen verletzt werden, verübt man nicht nur eine politisch unkorrekte und moralisch verwerfliche Tat. Der Bibel zufolge verübt man auch eine gegen Gott gerichtete Tat, ein religiöses Verbrechen, denn der Herr ist Hüter und Anwalt der Elenden und Unterdrückten, der Witwen und Waisen (vgl. Ps 68,6), das heißt derer, die keinen menschlichen Beschützer haben." Ein Sol-dat, der bereit ist, sein Leben für den Frieden und die Sicherheit der Armen einzusetzen, darf sich als Diener Gottes verstehen - wie der heilige Martin. Sein Einsatz für das Gute macht ihn zum "Defensor", zum Verteidiger der Menschlichkeit, und prägt damit sein Tun als defensives Handeln. Ein sol-cher Soldat kämpft nicht für eigene Interessen, nicht für Macht oder Besitz, sondern er bekämpft, was anderen die Menschenwürde raubt. Er steht unter einem hohen moralischen Anspruch.

4. "Armut bekämpfen - Frieden aufbauen": Diese Zielsetzung führt uns mit-ten hinein in das Verständnis kirchlicher Gemeinschaft. Von den ersten Gläubigen der Jerusalemer Urgemeinde berichtet die Apostelgeschichte, dass sie alles gemeinsam besaßen. Und unser Heiliger Vater Benedikt XVI. hat in seiner Antrittsenzyklika über die Liebe betont: "Innerhalb der Ge-meinschaft der Gläubigen darf es keine Armut derart geben, dass jemandem die für ein menschenwürdiges Leben nötigen Güter versagt bleiben" (DCE 20). Armut und Elend dürfen nicht Anlass zu bewaffneten Konflikten bieten, sondern müssen uns Motiv dafür sein, sich den Notleidenden zuzuwenden! So wächst die große "Zivilisation der Liebe", die zu schaffen uns allen gemein-sam aufgetragen ist und wie sie uns der heilige Martin beispielhaft vorgelebt hat.

Der Ãœberlieferung zufolge lauteten Martins letzte Worte: "Mein Herr, es ist ein harter Kampf, den wir in deinem Dienste in diesem Dasein führen. Nun aber habe ich genug gestritten. Wenn du aber gebietest, weiterhin für deine Sache im Felde zu stehen, so soll die nachlassende Kraft des Alters kein Hindernis sein. Ich werde die Mission, die du mir anvertraust, getreu erfül-len. Solange du befiehlst, werde ich streiten. Und so willkommen dem Vete-ranen nach erfüllter Dienstzeit die Entlassung ist, so bleibt mein Geist doch Sieger über die Jahre, unnachgiebig gegenüber dem Alter.” Der heilige Martin soll hier und heute für unser Bestreben stehen, die Armut zu bekämp-fen und den Frieden aufzubauen - einen Frieden, der die pax romana und jeden Frieden, den die Welt zu geben vermag, bei weitem übersteigt. Möge Gott Sie alle bei diesem Bemühen schützen und segnen. Amen.

+ Joachim Kardinal Meisner
Erzbischof von Köln

Ein Beitrag vom Domradio Köln