Caritas hofft auf Vermittlungsversuche in Kolumbien

"Die jetzige Situation hat eine neue Qualität"

Auf Kolumbiens Straßen eskaliert die Gewalt. Die Polizei lasse Schüsse auf Demonstranten zu, sagt Friedrich Kircher. Der Referent bei Caritas International berichtet von teils heftigen Auseinandersetzungen, aber auch von Hoffnungszeichen.

Proteste in Kolumbien / © Andres Gonzalez (dpa)
Proteste in Kolumbien / © Andres Gonzalez ( dpa )

DOMRADIO.DE: Mindestens 42 Demonstranten sind bereits in Kolumbien ums Leben gekommen. Alles begann mit Protesten gegen eine umstrittene, inzwischen zurückgenommene Steuerreform. Mittlerweile wird gegen eine geplante Gesundheitsreform protestiert. Die Regierung macht weitestgehend dicht. Das sogenannte Streikkomitee hofft jetzt darauf, dass Vertreter der UNO und der Kirche helfen und mitverhandeln. Ist das eine berechtigte Hoffnung? 

Friedrich Kircher (Referent für Peru bei Caritas international): Die Hoffnung auf ein Gespräch und auf Vermittlung der UN und der Kirche ist berechtigt und inzwischen auch real. Die große Frage ist, was dabei herauskommt. Sowohl Regierung als auch das Streikkomitee haben eine Vermittlung gewünscht und den Vertreter der UN, den "Coordinador Residente", wie es hier heißt, sowie Bischof Henao, der auch gleichzeitig der Direktor von Caritas Kolumbien im Auftrag der Bischofskonferenz ist, dazu eingeladen.

Beide spielen jetzt eine Rolle als "facilitators" (als Vermittler, Anm. d. Red.) würde ich sagen. Sie ermöglichen den Dialog, bringen beide Seiten zusammen und helfen dann auch in getrennten Sitzungen, die wichtigsten Argumente und Inhalte zusammenzufassen und der anderen Seite rüberzubringen.

DOMRADIO.DE: Wie erleben Sie aktuell die Proteste? Was bekommen Sie mit?

Kircher: Man bekommt sie ziemlich nah mit. Im letzten Jahr gab es ja auch schon Proteste. Da ist das Tränengas von der Straße bis zu meiner Wohnung herüber geweht und ich saß dann mit tränenden Augen zu Hause. Das ist diesmal noch nicht passiert.

Aber die sozialen Medien helfen inzwischen bei der massiven Verbreitung von Bildern, von Filmen. Da wird von Hochhäusern gefilmt, wie die Polizei auf Demonstranten einschlägt oder sogar schießt. Es gibt viele Videos, die auch strafrechtlich relevant sind, weil sie zeigen, wie zivile, bewaffnete Männer in Limousinen - geschützt von der Polizei - auf Demonstranten schießen, insbesondere auf Indigene, in die vom Cauca nach Cali gekommen sind.

Das sind schon ziemlich heftige Bilder. Wenn dann kurz danach der Verteidigungsminister im Fernsehen erscheint und den Protest pauschal als einen von Guerilla und Terroristen manipulierten Protest verurteilt, ist das auch ziemlich heftig.

DOMRADIO.DE: Kolumbien ist insgesamt in einer sehr labilen Situation. 50 Jahre Bürgerkrieg sind noch sehr präsent. Erst 2016 war der Friedensschluss. Haben Sie das Gefühl, dass vielleicht sogar eine Gewöhnung an Gewalt stattgefunden hat?

Kircher: Ich weiß nicht, ob man von Gewöhnung sprechen kann. Kolumbien hat von jeher eine sehr hohe Präsenz von Gewalt in der Gesellschaft. Der Konflikt mit der Guerilla war hauptsächlich ein ländlicher Konflikt. Von daher sind den Kolumbianern der typische Schlagabtausch zwischen der kleine Guerilla sowie Krieg, Menschenrechtsverletzungen, Vertreibungen bekannt.

Die jetzige Situation hat aber eine neue Qualität, weil ein durch und durch sozialer Konflikt, der nicht politisch-ideologisch motiviert ist, in die Städte getragen wurde und sich hier alles kristallisiert: soziale Ungleichheit über Jahrzehnte, fehlender Friedensschluss beziehungsweise fehlende Umsetzung der Vereinbarungen mit der Guerilla FARC, die vor Jahren die Waffen abgegeben hat.

Dazu kommen noch die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Das zeigt sich in einer Zunahme von Armut nach der offiziellen Statistik um 15 Prozent auf knapp 50 Prozent der Gesamtbevölkerung und eine Zunahme von Arbeitslosigkeit auf 15 Prozent. 

Diese drei Dinge, also die Kristallisation von sozialer Ungleichheit, die durch die Pandemie verstärkt wird, das völlige Unverständnis und die Taubheit der Regierung, die nur mit Gewalt auf die Protestierenden reagiert und die Polizei, die schießen kann, ohne belangt zu werden, haben den Unmut und die Wut nur noch gesteigert.

Bemerkenswert an diesem Protest ist, dass wir jetzt schon bald in die dritte Woche gehen und der Protest nicht abgenommen, sondern zugenommen hat.

Das Interview führte Verena Tröster.


Kolumbien, Bogota: Die Polizei feuert bei Protesten gegen die Regierung Tränengas auf Demonstranten / © Ivan Valencia (dpa)
Kolumbien, Bogota: Die Polizei feuert bei Protesten gegen die Regierung Tränengas auf Demonstranten / © Ivan Valencia ( dpa )
Quelle:
DR
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