Hunderttausende von Mehrfach-Katastrophe in Ostafrika betroffen

"Die Konsequenzen sind verheerend"

Ostafrika ist aktuell in mehrfacher Hinsicht von Katastrophen betroffen. Zur Corona-Pandemie und ihren wirtschaftlichen Auswirkungen kommen noch eine Heuschreckenplage und Überschwemmungen. Steht eine Region vor dem Nichts?

Heuschreckenplage in Ostafrika / © Sven Torfinn/FAO/AP (dpa)
Heuschreckenplage in Ostafrika / © Sven Torfinn/FAO/AP ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie gehen die Menschen in Ostafrika mit diesen vielen Katastrophen um?

Dr. Martin Bröckelmann-Simon (Geschäftsführer beim katholischen Entwicklungswerk Misereor, zuständig für Internationale Zusammenarbeit): Der Überlebenskampf ist ja ohnehin schon schwierig, gerade für die, die an der Grenze des Existenzminimums leben oder deutlich darunter, und das wird natürlich jetzt extrem erschwert.

Die Konsequenzen sind verheerend, weil es ja um eine große Verletzlichkeit geht. Ein Bauernhaushalt, der von der Selbstversorgungslandwirtschaft lebt, ist jetzt in dieser Situation besonders betroffen, weil es an Nahrungsmitteln fehlt, weil die Ernte bedroht ist durch die Heuschreckenschwärme. Und auch, weil die Versorgungslage in Folge der Corona-Beschränkungen auch massiv beeinträchtigt ist.

DOMRADIO.DE: Wenn Sie das so beschreiben, klingt es aber fast so, als sei die Heuschreckenplage für die Menschen in der Region im Moment fast bedrohlicher als Corona?

Bröckelmann-Simon: Ja, wir haben in der Tat im Moment gerade in den ländlichen Regionen, gerade für die mobilen Tierhalter, große Probleme, weil durch die Sprühaktionen die Vegetation beeinträchtigt ist. Bienenvölker, die auch zur Ernährung beitragen, sind vergiftet worden. Wir haben Berichte aus Äthiopien, dass gerade 1.300 Bienenvölker in einer Region durch Insektizide vernichtet worden sind. Und in der Tat greift die Heuschreckenplage jetzt massiv das unmittelbare Überleben der Menschen an.

DOMRADIO.DE: Aber man wusste ja, dass das kommt oder hat es zumindest befürchtet. Schon letzten Sommer haben Experten in Ostafrika davor gewarnt. Was ist da gemacht worden?

Bröckelmann-Simon: Die Ursprünge der Heuschreckenplage liegen bereits im Jahr 2018. Auf der Arabischen Halbinsel, im Jemen, sind die ersten Schwärme entstanden und haben sich dann auch Richtung Somalia über die Meerenge dort ausgebreitet. Schon allein aufgrund der kriegerischen Auseinandersetzungen dort hat überhaupt keine Präventionsmaßnahme ergriffen werden können. Das ist der eine Grund.

Der Krieg ist eigentlich die vierte Bedrohung, die ja auch noch für die Menschen dort dazu kommt. Es ist auch offensichtlich, was immer wieder mal passiert, unterschätzt worden. Die Regierungen haben einfach zu lange nicht reagiert. Alles zusammengenommen hat dann dazu geführt, dass sich die Heuschreckenplage so massiv über den gesamten ostafrikanischen Raum ausgebreitet hat und auch Südasien erfasst hat.

DOMRADIO.DE: Vor einigen Monaten hatte man noch ganz andere Ängste. Da war die Sorge ziemlich groß, Afrika könnte der Hotspot der Corona-Pandemie werden. Bislang ist das auf dem Kontinent aber gar nicht so schlimm gekommen wie befürchtet. Warum? Haben Sie dafür eine Erklärung?

Bröckelmann-Simon: Ich glaube, dass wir damit rechnen müssen, dass die Dinge in Afrika schlimmer werden. Das ist ein Verzögerungseffekt, der sich einfach ergibt. Die Testkapazitäten sind extrem gering. Insofern gibt es eine sehr hohe Dunkelziffer, von der wir überhaupt nichts wissen. Die Zahlen steigen auch in Afrika mittlerweile deutlich an. Wir haben die 500.000 Marke mittlerweile überschritten. Ein Land wie Südafrika hat gerade aktuell rapide steigende Infektionszahlen.

Das hat etwas damit zu tun, dass zwar am Anfang sehr rigide Maßnahmen ergriffen worden sind, auch aufgrund der Seuchenerfahrung, die in Afrika einfach viel präsenter ist, aber dann aufgrund des wirtschaftlichen Drucks wieder vielleicht zu früh gelockert worden sind. Das gilt für Südafrika beispielsweise, einfach, weil die arme Bevölkerung ums Überleben kämpfen muss.

Das Interview führte Verena Tröster.


Martin Bröckelmann-Simon / © Elisabeth Schomaker (KNA)
Martin Bröckelmann-Simon / © Elisabeth Schomaker ( KNA )

Alltag zu Corona-Zeiten in Johannesburg / © Jerome Delay (dpa)
Alltag zu Corona-Zeiten in Johannesburg / © Jerome Delay ( dpa )
Quelle:
DR