Ernesto Cardenals Erbe an die Weltkirche

Dichter, Betender und Erinnerer

Nach dem Tod von Ernesto Cardenal erinnert sich Michael Huhn vom Lateinamerika-Hilfserk Adveniat an den Befreiungspoeten und Theologen. Im Interview spricht er über Cardenals Texte und über dessen Begegnung mit Johannes Paul ll..

Ernesto Cardenal mit Papst Johannes Paul II. im März 1983 / © Mario Tapia (dpa)
Ernesto Cardenal mit Papst Johannes Paul II. im März 1983 / © Mario Tapia ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sie haben Ernesto Cardenal persönlich kennengelernt. Wie haben Sie ihn erlebt?

Michael Huhn (Peru-Referent beim Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat): Als einen Patriarchen - der er damals noch nicht war, das ist 45 Jahre her. Aber als jemand, der sehr selbstbewusst aufgetreten ist, weil er etwas zu sagen hatte. Er sprach für Lateinamerika. Ich habe ihn damals als junger Student, der wenig über Lateinamerika wusste, als einen Augenöffner erlebt.

DOMRADIO.DE: Was verliert die Kirche Lateinamerikas jetzt mit Ernesto Cardenal?

Huhn: Sie verliert einen großen Dichter. Das ist das Wichtigste. Und sie verliert einen großen Betenden - das ist genauso wichtig. Und einen Erinnerer. Ernesto Cardenal hat klargemacht, dass die Botschaft Jesu und der Kapitalismus sich widerstreiten. Er schreibt in seinem großartigen Psalm 1: "Selig der Mensch, der nicht liest, was die Börse berichtet und nicht zuhört, was der Werbefunk sagt. Er wird sein wie ein Baum, gepflanzt an einer Quelle." Und daran müssen wir uns in Lateinamerika und auch in Deutschland erinnern.

DOMRADIO.DE: Welchen Wert hatte seine Dichtung?

Huhn: Die frühen Texte, finde ich, sind großartig. Die Liebesgedichte an seine vier großen Freundinnen, die Vertonung der Psalmen, weil sie wirklich wie zu singen sind. Die späteren Texte schmecken mir persönlich nicht so, denn da ist er sehr politisch geworden. Es bekommt der Dichtung nicht, wenn sie sich vor die Politik spannen lässt – hierzulande nicht und bei Cardenal auch nicht ganz so sehr. Aber die frühen Texte finde ich lesenswert, jeden Tag.

DOMRADIO.DE: Cardenal war ein glühender Befreiungstheologie und ist über sein politisches Engagement mit der Amtskirche in Rom in Konflikt geraten. Viele haben vielleicht noch die Szene im Kopf, wie Papst Johannes Paul ll. Cardenal öffentlich tadelt. Vielleicht erzählen Sie noch mal, was da los war, und sagen auch, was diese Szene zeigt.

Huhn: Der Papst landete auf dem Flughafen. Die Regierung und andere Würdenträger waren angetreten, darunter Ernesto Cardenal. Er hatte sich hingekniet, als Zeichen der Ehrerbietung vor dem Papst. Aber der Papst hat Ihn nicht freundlich begrüßt, sondern den Finger etwas drohend erhoben, im Sinne von: "Misch dich da nicht ein als Priester, nicht bei den Kommunisten." Und das ist das Problem dieser Situation gewesen.

Papst Johannes Paul ll. wusste wenig von Lateinamerika. Er kam aus Polen, hatte unter dem polnischen Kommunismus richtig gelitten und wollte nicht, dass sich jetzt lateinamerikanischer Kommunismus vollzieht. Aber das war nicht das Anliegen der Befreiungstheologie - abgesehen davon, dass Ernesto Cardenal eher ein Befreiungspoet als ein Befreiungstheologe war. Das war in politischer Hinsicht ein großes Missverständnis.

Es waren zwei Mystiker, Johannes Paul ll. und Ernesto Cardenal. Und wenn sie zwei Stunden gebetet, zwei Stunden meditiert und dann zwei Stunden Wein getrunken hätten - die hätten sich wunderbar verstanden.

DOMRADIO.DE: Johannes Paul ll. hat Cardenal vom Priesteramt suspendiert. Papst Franziskus hat die Suspendierung gerade erst im letzten Frühjahr wieder aufgehoben. Wie wichtig war das wohl für Cardenal?

Huhn: Das war enorm wichtig, denn er hat sich immer als ein Mitglied seiner Kirche und als Priester verstanden. In seiner Autobiografie schildert er, wie groß der Wunsch war, Priester zu werden. Dafür hat er seine Liebesbeziehung und alles andere fallenlassen. Es war für ihn eine besondere Freude, dass die Versöhnung durch diesen Papst kam, durch Papst Franziskus, und, dass seine alten Freunde zu ihm ans Krankenbett gekommen sind, die Messe mit ihm gefeiert haben, die Krankensalbung gespendet haben. Er war wieder dabei und das hat ihm richtig gut getan.

DOMRADIO.DE: Was ist jetzt Cardenals Erbe an die Kirche von Lateinamerika, aber auch an die Weltkirche?

Huhn: Sein Erbe, scheint mir, ist das Motto seiner Lebensbeschreibung "Verlorenes Leben". Das Zitat aus dem Lukasevangelium: "Wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es erhalten." Das war die Lebensentdeckung von Ernesto Cardenal.

Er hat immer wieder gesagt: "Gott ist der Einzige, den mein Leben braucht. Der Erste, der Letzte, mein Ein und Alles." Und weil dieser Gott ein menschgewordener Gott ist, sind in zweiter Linie auch die Menschen wichtig, allen voran die Armen und die Gerechtigkeit. Und das ist das, was ich so faszinierend finde. Das ist sein Erbe, das der Weltkirche bleibt, nicht nur der Kirche in Lateinamerika. Der Gott, um dessentwillen sich das Leben hinzugeben lohnt.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR
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