US-Repräsentantenhaus: Massaker an Armeniern war Völkermord

Gezieltes Ausrottungsprogramm

Jetzt hat auch das US-Repräsentantenhaus die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich als Völkermord eingestuft. Die Türkei spricht von Rache wegen des militärischen Vorgehens in Syrien.

Autor/in:
Christoph Arens
Gedenken an Genozid-Opfer in Armenien / © Maurizio Brambatti (dpa)
Gedenken an Genozid-Opfer in Armenien / © Maurizio Brambatti ( dpa )

Es ist eines der dunkelsten Kapitel des Ersten Weltkriegs: das gewaltsame Vorgehen der Türken gegen die christlichen Armenier. Am Dienstag (Ortszeit) hat das US-Repräsentantenhaus mit großer Mehrheit die Ermordung von mehr als 1,5 Millionen Armeniern im Osmanischen Reich offiziell als Völkermord eingestuft.

Außenminister Cavusoglu: "Antiquierte Resolution"

Die Türkei, die die Bezeichnung Völkermord zurückweist, kritisierte die Resolution. Außenminister Mevlut Cavusoglu sprach auf Twitter von einer "antiquierten Resolution" und einer "beschämenden Entscheidung", die mit Blick auf den türkischen Vorstoß in Syrien darauf abziele, "Rache zu nehmen". Die Resolution sei "null und nichtig" für die türkische Regierung und das türkische Volk.

Zwar bestreitet die Türkei nicht Hunderttausende Tote. Doch Gewalt und Deportationen seien Folge von bürgerkriegsähnlichen Verhältnissen gewesen, so die Argumentation. Mittlerweile haben rund zwei Dutzend Staaten den Genozid offiziell anerkannt, darunter Frankreich, Italien und die Niederlande. 1985 erschien der Begriff "Armenian genocide" in einem offiziellen Papier der UNO. Auch Papst Franziskus sprach vom "ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts". Der Deutsche Bundestag verabschiedete 2016 eine Resolution, die den Völkermord verurteilte. Das führte zu erheblichen diplomatischen Spannungen zwischen Deutschland und der Türkei.

Beginn mit der Verhaftung von 235 Armeniern

Am 24. April 1915 hatten die Gewalttaten mit der Verhaftung von 235 armenischen Intellektuellen in Istanbul begonnen. Zwischen 1915 und 1917 wurden zwischen 300.000 und 1,5 Millionen Armenier, Pontos-Griechen, Assyrer und Aramäer ermordet. Die großen Unterschiede bei den Zahlen hängen mit ungenauen Bevölkerungsstatistiken zusammen.

Im von Krisen geschüttelten Osmanischen Reich bildeten die christlichen Armenier um 1900 eine autonome Gemeinde mit eingeschränkten Rechten. Erfolge in Landwirtschaft, Handwerk und Finanzwesen weckten Neid. Für viele Türken waren die unter westlichem Schutz stehenden Christen Schuld am Siechtum des Reiches.

Zehntausende starben auf Todesmärschen

Schon Ende des 19. Jahrhunderts kam es zu Pogromen. Allein die Massaker von 1894 bis 1896 hinterließen zwischen 50.000 und 300.000 Tote. Als zwischen 1909 und 1912 auch die Balkanvölker auf Unabhängigkeit von den Türken drängten oder von den Großmächten annektiert wurden, spitzte sich die Situation zu: Die 1908 an die Macht gekommenen Jungtürken zielten auf ein einheitliches Reich, wollten Türkisch und den Islam als alleinige Basis durchsetzen.

Der Erste Weltkrieg lieferte die Gelegenheit zur Umsetzung. Auf Befehl des Innenministeriums wurde die Elite der Armenier zu Tausenden verhaftet und meist ohne Prozess hingerichtet. Zehntausende starben auf Todesmärschen.

Deutschland, damals Kriegsverbündeter der Türkei, schaute stillschweigend zu, war aber informiert. Die Telegramme des deutschen Konsuls von Aleppo, Walter Rößler (1871-1929), wurden im Verlauf des Jahres 1915 immer verzweifelter. Schrittweise kam er zu der Erkenntnis, dass es sich nicht um vereinzelte Ausschreitungen, sondern um ein gezieltes Ausrottungsprogramm der türkischen Behörden an den christlichen Armeniern handelte. "Alles läuft trotz gegenteiliger Versicherung der Hohen Pforte auf Vernichtung des armenischen Volkes hinaus", warnte der Diplomat am 18. September 1915 hellsichtig in einem Schreiben an die Deutsche Botschaft in Konstantinopel.

Widerstand ging in die Literaturgeschichte ein

Der Widerstand einer kleinen Gruppe ging in die Literaturgeschichte ein: In seinem Erfolgsroman "Die vierzig Tage des Musa Dagh" schilderte Franz Werfel, wie sich im Herbst 1915 mehrere tausend Armenier am 1.700 Meter hohen Mosesberg verschanzten. Kurz bevor sie aufgeben mussten, wurden sie von einem französischen und einem britischen Kriegsschiff gerettet.

Die Gewalttaten hatten ein Nachspiel, das Rechtsgeschichte schrieb: Nach dem Weltkrieg drängten die westlichen Siegerstaaten erstmals auf Kriegsverbrecherprozesse. Ein türkisch besetztes Kriegsgericht stellte fest, dass die Verbrechen zentral vorbereitet wurden, und verurteilte 17 Angeklagte zum Tode. Die Haupttäter flohen, wurden aber zum Teil von armenischen Attentätern ermordet.


Quelle:
KNA