Ist der Friedensprozess in Kolumbien noch zu retten?

"Es ist wirklich dramatisch in einigen Gebieten"

Kolumbiens Präsident Iván Duque habe der bisherigen Umsetzung des Friedensabkommens massiv geschadet, meint das Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat. Wie kann die Kirche in Kolumbien die Friedensinitiativen unterstützen?

Mitglieder der indigenen Gemeinschaft der Muisca bei einer Demonstration in Bogota / © Yulieth Rincon (dpa)
Mitglieder der indigenen Gemeinschaft der Muisca bei einer Demonstration in Bogota / © Yulieth Rincon ( dpa )

DOMRADIO.DE: Präsident Duque ist jetzt seit einem Jahr im Amt. Wie hat er es bisher mit der Umsetzung des Friedensabkommens gehalten?

Monika Lauer Perez (Kolumbien-Referentin von Adveniat): Zunächst muss man sagen, dass der Präsident schon in seinem Wahlkampf heftig gegen das Abkommen gewettert und versprochen hat, es "in der Luft zu zerreißen". Im ersten Halbjahr seiner Präsidentschaft hat er interessanterweise eine recht moderate Haltung eingenommen. Da waren die Leute dann auch ein bisschen verunsichert, nachdem was im Wahlkampf abgelaufen ist.

Seit Januar dieses Jahres, nach dem Attentat in einer Polizeischule mit 21 Toten und ganz vielen Verletzten, hat er seine Haltung sehr verschärft. Jetzt ist es wirklich so, dass er nichts auslässt, um dieses Friedensabkommen zu gefährden.

DOMRADIO.DE: Für den Friedensprozess waren Institutionen geschaffen worden, die Sondergerichtsbarkeit für den Frieden, die Kommission für die Suche nach Verschwundenen und die Wahrheitskommission. Wie behandelt der Präsident denn diese Institutionen?

Lauer Perez: Leider Gottes hat er da erhebliche Budgetkürzungen vorgenommen und zwar in einem so erheblichem Maße, dass man befürchten muss, dass diese Institutionen nicht mehr in der Lage sind, ihren Aufgaben gerecht zu werden. Das gefährdet den Friedensprozess sehr.

DOMRADIO.DE: Das Bürgerkriegsabkommen sollte nach über 50 Jahren einen Schlussstrich unter einem überaus blutigen Bürgerkrieg ziehen. Wie hat sich das Ausmaß der Gewalt seit dem Abkommen entwickelt?

Lauer Perez: Man muss sagen, es gibt Regionen im Land, in denen es besser geworden ist. Aber in den Regionen, die am meisten unter der Gewalt gelitten haben, hat sich gar nichts verbessert – eher im Gegenteil. Für sie ist es eher noch gefährlicher geworden. Die Leute erzählen mir: Früher wussten wir, wo und wie wir uns bewegen konnten, weil wir wussten, unsere Gegner sind die FARC-Rebellen.

Jetzt ist es so, dass es unzählige bewaffnete Gruppen gibt, und die Leute überhaupt nicht wissen, welchem Feind sie wann gegenüberstehen. Sie werden auch wieder vertrieben, und es werden wieder Minen ausgelegt, sodass die Menschen nicht aufs Feld gehen können, um ihre Ernte einzuholen, und dadurch Hunger entsteht. Es ist wirklich dramatisch in einigen Gebieten Kolumbiens, das muss man wirklich sagen.

DOMRADIO.DE: Das trifft dann insbesondere die Landbevölkerung dort?

Lauer Perez: In der Regel sind es die Kleinbauern, die ohnehin nichts anderes haben als ihre Felder, um ihr Überleben zu sichern. Kleinbauern, Afrokolumbianer und Indigene sind diejenigen, die am meisten betroffen sind. In den Städten ist das nicht so.

DOMRADIO.DE: Ist der Friedensprozess denn vor diesem Hintergrund überhaupt noch zu retten, wenn man bedenkt, dass so viele Gruppen gegeneinander kämpfen?

Lauer Perez: Die Aufgabe ist sicherlich noch schwieriger als vorher. Wenn nicht ganz große Anstrengungen unternommen werden und konzentriert daran gearbeitet wird, ist es sehr schwierig, diesen Prozess zu retten. 

DOMRADIO.DE: Was kann die Kirche tun?

Lauer Perez: Die Kirche sollte, wie bisher, weiterhin die Opfer begleiten und für die Menschen, die immer noch unter der Gewalt leiden, da sein. In vielen Regionen ist die Kirche die einzige Institution, die für die Menschen mit ihren Sorgen Anlaufstelle ist, da der Staat nicht präsent ist.

Außerdem ist es wichtig, Politik und Gesellschaft immer wieder zur Mäßigung aufzurufen und nicht die Polarisierung in der Bevölkerung zu schüren. Die Kirche in Kolumbien unterstützt – vielfach mit Hilfe Adveniats – Friedensinitiativen, die von der Basis, das heißt den Menschen in den betroffenen Regionen selbst ausgehen. Denn nur wenn so viele gesellschaftliche Gruppen wie möglich an diesem Friedensprozess beteiligt sind, gibt es Chance, die notwendigen Schritte umzusetzen.


Bischof Omar Alberto Sánchez Cubillos, Bischof von Tibú, eine der von der Gewalt am meisten betroffenen Regionen, im Gespräch mit Kleinbauern in seiner Diözese über alternative Anbaumethoden, um die Coca-Anpflanzungen zu ersetzen (Adveniat)
Bischof Omar Alberto Sánchez Cubillos, Bischof von Tibú, eine der von der Gewalt am meisten betroffenen Regionen, im Gespräch mit Kleinbauern in seiner Diözese über alternative Anbaumethoden, um die Coca-Anpflanzungen zu ersetzen / ( Adveniat )

P. Rafael Castillo Torres in dem Armenviertel Afriquita in Cartagena  (Adveniat)
P. Rafael Castillo Torres in dem Armenviertel Afriquita in Cartagena / ( Adveniat )
Quelle:
DR
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