Jesuiten-Flüchtlingsdienst kritisiert Beschlüsse des EU-Gipfels

"Es wird vergessen, dass es sich um Menschen handelt"

Die EU-Staaten haben beschlossen: Bootsflüchtlinge sollen zunächst in Aufnahmelagern an den Außengrenzen Europas gesammelt und dann auf die einzelnen Länder verteilt werden. Für den Jesuiten-Flüchtlingsdienst bleiben viele Fragen offen.

Flüchtlinge an der Grenze zwischen Ungarn und Serbien / © Sandor Ujvari (dpa)
Flüchtlinge an der Grenze zwischen Ungarn und Serbien / © Sandor Ujvari ( dpa )

DOMRADIO.DE: Die Regierungsvertreter der EU bezeichnen die Beschlüsse als Durchbruch und sprechen von der lang erwarteten "europäischen" Lösung. Wie stehen Sie zu den Ergebnissen?

Pater Claus Pfuff SJ (Leiter des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes Deutschland): Aus unserer Sicht sind die Ergebnisse letztlich keine Lösung des ganzen Problems. Wir sehen hier in Deutschland: Wenn Menschen über längeren Zeitraum zusammen in ein Lager gesperrt werden, entstehen Konflikte. Die Menschen verlieren ihr Gesicht, ihr Ansehen und letztlich – das meint auch der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft der Bundespolizei – fördern diese Zentren nicht die Integration. Sie verstärken sogar die Kriminalität oder Gewalttätigkeit.

DOMRADIO.DE: Sie sprechen von den geschlossenen Aufnahmelagern für Bootsflüchtlinge, die an den Grenzen Europas errichtet werden sollen. Es wurden aber auch Sammellager für Afrika beschlossen. Noch vor zwei Jahren wäre es nicht möglich gewesen, über Sammelstellen in afrikanischen Ländern zu sprechen. Was würden diese Lager für die Menschen bedeuten?

Pfuff: Für die Menschen würde es bedeuten, dass sie keine Chance mehr haben, in Europa an die Türen zu klopfen und zu entscheiden, wo sie einen Asylantrag stellen können. Zudem sind noch Fragen offen: Wer unterhält diese Lager? Wer hat die letzte Verantwortung für die Lage und die Zustände dort? Die Menschen müssen ein faires Verfahren bekommen und gesehen werden mit ihren Nöten und ihrem Fluchthintergrund.

Eine andere Frage ist: Werden die Flüchtlingsströme über das Mittelmeer verhindert, wenn ich die Grenzen nach Afrika hinein verlagere? Wie können die Menschen ihr Leben neu gestalten? Wir wissen überhaupt nicht, was in diesen Lagern geschieht. Wir wissen nicht, ob es dort fair zugeht und ob die Menschen das bekommen, was sie suchen.

DOMRADIO.DE: Die EU-Minister unterscheiden zwischen "irregulären" Migranten und "echten" Flüchtlingen. Kann man so eine Unterscheidung überhaupt machen?

Pfuff: Das ist eine gute Frage. Im Film "Eldorado" erzählt der Berner Regierungspräsident die Geschichte eines Dorfes in seinem Kanton. Dort wurden im 19. Jahrhundert Menschen ausgesucht und nach Amerika geschickt, damit das Dorf überlebt. Im Film sagt er, was damals legal war, kann man heute nicht kriminalisieren. Die Gründe, die zu einer Wanderung oder Flucht führen, sind so vielfältig. Wenn wir uns in ihre Lage hineinversetzen – "Ich hätte nichts zu essen, ich hätte keine Perspektive" – dann würden viele von uns versuchen, irgendwo für sich und die Familie eine Zukunft zu finden.

DOMRADIO.DE: Die Bootsflüchtlinge sollen zunächst in geschlossenen Aufnahmelagern gesammelt und dann auf alle Länder verteilt werden. Gleichzeitig soll die Aufnahme von Flüchtlingen auf freiwilliger Basis geschehen. Besonders osteuropäische Länder wollen sich aber gar nicht erst beteiligen. Wie kann das gutgehen?

Pfuff: Es wird ein Hauen und Stechen darum gehen, wer wen aufnimmt oder aufnehmen muss. Aber würden Sie gerne in ein Land gehen von dem Sie wissen, dass es niemanden aufnehmen will? Das sich nicht bemüht, Sie zu integrieren oder indem die soziale Absicherung so gering ist, dass es keine Chancen für eine Zukunft gibt? Ich denke, diese Fragen muss man berücksichtigen.

DOMRADIO.DE: Sie sagen klar, die Beschlüsse der Regierungsvertreter sind kein echter Durchbruch. Was würden Sie sich denn wünschen?

Pfuff: Wir würden uns wünschen, dass es möglich ist einen Antrag für ein Land zu stellen, in das man einwandern möchte und dass dort möglichst schnell ein Verfahren stattfindet. Und dass die Geflüchteten – bis sie Bescheid bekommen – die Möglichkeit haben, sich zu integrieren, zu arbeiten, Kurse zu besuchen. Stattdesssen sitzen sie manchmal über ein Jahr irgendwo herum und müssen warten, bis sie überhaupt Bescheid bekommen oder das Land wieder verlassen müssen.

DOMRADIO.DE: Was im Bayern-Wahlkampf, in anderen Wahlkämpfen und Ländern stattfindet, hat mit seriöser Diskussion um die Flüchtlingskrise nichts mehr zu tun, oder?

Pfuff: Ja, das würde ich auch sagen. Es wird vergessen, dass es sich um Menschen handelt. Die Frage ist letztendlich: Für was steht dieses Land? Steht es für humanitäre Werte? Steht es dafür, dass Geflüchtete die Möglichkeit bekommen, als solche behandelt zu werden und eine neue Heimat zu finden? Wie sehe ich jeden Einzelnen, egal mit welcher Geschichte er herkommt? Erhält er ein faires und gerechtes Verfahren, das unseren demokratischen Grundregeln entspricht?

Es wird ein Bild geschaffen von Geflüchteten, die als Illegale und Kriminelle kommen und die den Anspruch erheben auf etwas, was ihnen nicht zusteht. Das ist ein Bild, das keiner von uns will. Letztlich muss man sich fragen: Was bedeutet das für andere Bevölkerungsgruppen, wenn dieses Bild mehr und mehr unser Denken und unser Handeln bestimmt? Ich möchte gar nicht christliche Nächstenliebe fordern. Ich wäre froh, wenn wir demokratische Grundsätze in diesem Land wieder mehr in den Blick nehmen und uns dafür einsetzen.

Das Gespräch führte Johannes Schröer.


Pater Claus Pfuff SJ / © Christian Ender (JRS)
Pater Claus Pfuff SJ / © Christian Ender ( JRS )
Quelle:
DR
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