Manche hatten ihn einst als möglichen Papst auf der Liste

Mailänder Kardinal Tettamanzi mit 83 Jahren gestorben

"Freude und Frieden" war sein Bischofsmotto: Dionigi Tettamanzi verband als Mailands Kardinal gediegene Theologie und politisches Engagement. Viele hätten ihm auch den Spitzenposten der katholischen Kirche zugetraut.

Autor/in:
Burkhard Jürgens
Kardinal Tettamanzi gestorben / © Cristian Gennari (KNA)
Kardinal Tettamanzi gestorben / © Cristian Gennari ( KNA )

Das Wort «herausragend» passte eigentlich nicht zu ihm - denn mit seiner gedrungenen Gestalt ging Kardinal Dionigi Tettamanzi optisch eher unter. Auch die schweren Augenlider, das leicht vorgeschobene Kinn und sein häufiges breites Lachen ließen an einen etwas schlichten Landpfarrer denken. Kardinäle, die mit ihm zu tun hatten, wie auch einfache Gläubige seines Bistums wussten es besser: Der Mann hatte das Zeug, die Weltkirche zu leiten.

Am 14. März 1934 kam Tettamanzi in Renate zur Welt, einem Dorf am Fuß der Alpen nördlich von Mailand. Von Kindesbeinen an eine Kirchenlaufbahn: Mit elf Jahren kam er in eine katholische Schule, die ihn nahtlos ins Priesterseminar führte. Mit 23 Jahren von Kardinal Giovanni Battista Montini, dem späteren Papst Paul VI. (1963-1978), zum Priester geweiht, promovierte er an der Gregoriana in Rom mit einer Arbeit über "Die Pflicht des Laienapostolats".

Grundlagen der Moral und Sexualethik, Ehe und Familie, bioethische Fragen

Über zwei Jahrzehnte unterrichtete Tettamanzi Moraltheologie am Priesterseminar von Venegono Inferiore und Pastoraltheologie in Mailand. Sein Eintritt in die universitäre Lehre fiel zusammen mit den gärenden späten 60er Jahren. Die Kirche hatte viel zu erklären, und Tettamanzi verstand sich auf ein breites Themenfeld: Grundlagen der Moral und Sexualethik, Ehe und Familie, bioethische Fragen.

Im Grunde vertrat er konservative Positionen, aber er wusste sie aus der Glaubenslehre der Kirche zu begründen und mit der Seelsorgepraxis zu verbinden. Seine theologische Vielseitigkeit war Tettamanzis Stärke. Und «konservativ» hieß bei ihm nicht, immer auf der Seite des Establishments zu stehen.

Verständnis für Anliegen von Globalisierungsgegnern

So lautete sein wirtschaftsethisches Credo, der Erfolg eines Unternehmens müsse allen Beteiligten zugutekommen, auch den Arbeitern. Stabile Jobs seien nötig, um eine Lebensplanung und die Gründung einer Familie zu ermöglichen. Im Vorfeld des G-8-Gipfels 2001 in Genua äußerte er Verständnis für Anliegen von Globalisierungsgegnern. Mit den regierenden Rechtspopulisten in Norditalien legte er sich an, indem er das Recht von Muslimen auf Moscheen verteidigte oder Roma und Migranten gegen Pauschalverurteilungen in Schutz nahm.

Tettamanzis Fähigkeit, eine reflektierte Theologie in die gesellschaftliche Debatte einzubringen, Entscheidungen zu treffen und als Geistlicher nahe bei den Menschen zu sein - das blieb in Rom nicht unbemerkt. Johannes Paul II. (1978-2005) ernannte ihn 1989 zum Erzbischof von Ancona; 1991 wurde er Generalsekretär der Italienischen Bischofskonferenz. 1995 dann der Wechsel an die Spitze des Erzbistums Genua, wenig später die Wahl zum Vizepräsidenten der Bischöfe.

Krönung seines kirchenpolitischen Wirkens

Als Tettamanzi 1998 Kardinal wurde, erhielt er als Titelkirche Santi Ambrogio e Carlo am römischen Cardo, geweiht den beiden großen Heiligen Mailands. Das galt als ein Vorzeichen, dass er einmal den Bischofssitz seiner Heimatdiözese erben würde. Und 2002 war es soweit.

Die folgenden Jahre wurden zur Krönung seines kirchenpolitischen Wirkens. Mailand ist mit rund fünf Millionen Katholiken die größte Diözese Europas und zählt aufgrund ihrer historischen Rolle zu den prestigeträchtigsten der katholischen Welt. In Tettamanzis Zeit fielen Islam- und Migrationsdebatten, die globale Wirtschaftskrise und teils burleske Episoden um Silvio Berlusconi.

Der Fall der Wachkoma-Patientin Eluana Englaro

Tettamanzi erledigte seine Aufgaben so, dass manche ihn beim Konklave 2005 als möglichen künftigen Papst auf der Liste hatten. Er wurde es nicht - aber Benedikt XVI. ließ ihn bis nach seinem 77. Geburtstag auf dem Posten.

Ein Fall forderte Tettamanzi in seinen Mailänder Jahren besonders: die Wachkoma-Patientin Eluana Englaro. Monatelang debattierte Italien, ob man die seit 17 Jahren bewusstlose Englaro von ihrer Ernährungssonde abhängen dürfe. Und der Moraltheologe und Pastor warb für eine Haltung, die vielen unverständlich war: dass Wasser und Flüssignahrung niemandem zu verwehren seien.

"Das menschliche Leben bleibt immer, unter allen physischen und moralischen Umständen, das fundamentale Gut, kostbar und unverfügbar", schrieb er damals. Am Samstag ist Tettamanzi im Alter von 83 Jahren einem Krebsleiden erlegen.


Quelle:
KNA