Vor 250 Jahren vertrieb Spanien die Jesuiten aus Lateinamerika

Ende eines "heiligen Experiments"

Nach einem rasanten Aufstieg waren die Jesuiten über Jahrhunderte besonderen Anfeindungen ausgesetzt. Mitte des 18. Jahrhunderts kippte das Wohlwollen der Könige. Vor 250 Jahren wurde der Orden aus Lateinamerika vertrieben.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Ein Blick in die Ruinen der Jesuitensiedlung Jesus de Tavarangüe  / © Silke Uertz (KNA)
Ein Blick in die Ruinen der Jesuitensiedlung Jesus de Tavarangüe / © Silke Uertz ( KNA )

Ihr Erfolg war oft auch ihr Verderb. Die Jesuiten waren nach der Entdeckung Lateinamerikas missionarisch wie wirtschaftlich so effizient, dass sie den Neid der spanischen und portugiesischen Eroberer auf sich zogen. Auch in Lissabon und Madrid waren sie dem Hofstaat ein Dorn im Auge. Portugals Erster Minister Sebastiao Jose de Carvalho e Mello, Marques de Pombal (1699-1782), öffnete 1759 die Büchse der Pandora. Weitere Länder nahmen den Ball dankbar auf. Binnen weniger Jahre wurden die Jesuiten aus den Weltreichen Portugal, Frankreich und Spanien ausgewiesen. Vor 250 Jahren, am 2. April 1767, landete die spanische Krone den KO-Schlag. Per Dekret wurde der Orden aus allen Kolonien vertrieben - auch aus den Jesuiten-Reduktionen in Paraguay und Lateinamerika.

Die "Neue Welt": Lockruf für Abenteurer und Glücksritter. Die spanische Krone deklarierte ihre Eroberungen als Verbreitung des Christentums - allerdings handelten ihre Werkzeuge vor Ort keineswegs danach. Die Ureinwohner wurden ihrer Freiheit beraubt und zu Zwangsarbeit gezwungen. Erfinder einer Abhilfe, der sogenannten Reduktionen, waren nicht die Jesuiten, sondern ein spanischer Franziskaner, Luis de Bolanos (1550-1629). In Asuncion, der heutigen Hauptstadt Paraguays, ließ er Einheimische zusammenleben und -arbeiten, um sie vor dem Zugriff der weltlichen Eroberer zu schützen.

Seelsorge und Missionierung

Die Jesuiten, seit 1549 in Lateinamerika vertreten, hatten zunächst lediglich Seelsorge unter den Neusiedlern betrieben und erst seit 1576 auch unter den Indios missioniert; ab 1586 wirkten sie auch in Paraguay. 1603 beschloss eine Synode Maßnahmen gegen die Versklavung und Ausbeutung der Indios, unter anderem die Möglichkeit zur Separierung vom unmittelbaren spanischen Zugriff: die Geburtsstunde dessen, was von Seiten der Eroberer als "Heiliges Experiment" bespöttelt wurde.

Ab 1610 richteten sie im heutigen Paraguay selbstverwaltete Reduktionen zum Schutz der Indios vor Sklavenhändlern ein. Dieser wichtige Schritt in der Ordensgeschichte ging übrigens zeitlich einher mit der Veröffentlichung der wohl fingierten "Monita Secreta" in Europa: angeblicher geheimer interner Ermahnungen, die Interessen des Ordens über alles andere zu stellen. Dieses lancierte Dokument bildet eine wesentliche Grundlage für die Jesuitenfeindschaft der kommenden zwei Jahrhunderte.

Unterdessen entwickelten sich die Schulen und Reduktionen der Jesuiten in Paraguay, Argentinien, Brasilien und Bolivien prächtig. Organisiert waren sie in Dörfern von rund 400 bis 7.000 Einwohnern, die gemeinsam Ackerbau, Viehzucht und Handwerk, später auch Kunstgewerbe betrieben. Zentrum eines Dorfes waren typische Jesuitenkirchen, meist umgeben vom Friedhof, einer Schule und dem Wohnhaus der Patres. Allein in den 30 Reduktionen des Guarani-Volkes lebten in den 1730er Jahren rund 140.000 Menschen. Mehr als 700.000 Indios sollen dort zwischen 1610 und 1768 getauft worden sein - und getaufte Indios durften gemäß königlichem Erlass von 1607 nicht mehr versklavt werden.

Ärzte, Bürgermeister und Richter in einem

Die Jesuiten reisten, oft beschwerlich, zu Wasser und zu Lande, um die Kommunikation zwischen den häufig weit voneinander entfernten Reduktionen aufrechtzuerhalten. Sie waren Seelsorger, Ärzte, Ökonomen und Ingenieure, Lehrer und Ausbilder, Bürgermeister und Richter ihrer Gebiete. Neben den Produkten für den eigenen Bedarf wurden bald auch Export-, Tausch- und Luxusgüter hergestellt: Baumwolle, Indigo, Tabak, Früchte und Mate. Auf die Erlöse wurden Steuern an die spanische Krone entrichtet; der Rest wurde reinvestiert. Eine kulturelle Frucht der Reduktionen war die geistliche Musik des sogenannte Jesuiten-Barock.

Der außergewöhnliche missionarische und vor allem wirtschaftliche Erfolg der Reduktionen - es herrschte dort eine austarierte Mischung aus Privat- und Gemeinschaftsbesitz - rief Neider verschiedenster Couleur auf den Plan: Militärs, Händler und Kaufleute, Großgrundbesitzer, teils sogar Bischöfe beklagten sich fortwährend über den Orden - und scheuten auch vor unlauteren Mitteln nicht zurück. In den 1630er Jahren wurden ganze Indio-Dörfer niedergebrannt und die Bewohner ermordet oder versklavt. Vergeblich baten die Jesuiten die spanische und portugiesische Krone um Schutz.

Schließlich gestattete der spanische König Philipp IV. dem Orden, eine bewaffnete Indio-Schutztruppe gegen die Überfälle der sogenannten Paulistas aufzustellen. Sie bewährten sich in Dutzenden Abwehrschlachten, oft mit hohen eigenen Verlusten.

"Verlust des Paradieses"

Ein Gemisch von lokalen Unruhen und Aufständen, von gestreuten Gerüchten, Mythen und Legenden über vermeintliche Illoyalität und illegale Machenschaften der Jesuiten in den Reduktionen führten schließlich zum "Verlust des Paradieses". Die Könige Spaniens und Portugals schenkten den Einflüsterungen, Verleumdung und Hörensagen bei Hofe zunehmend Gehör und ordneten mehrere Untersuchungen an - deren Ergebnisse stets die Vorwürfe Lügen straften.

Doch das Klima verschlechterte sich immer mehr. Der Marquis de Pombal übertölpelte den schwachen spanischen König Ferdinand VI. mit einem Gebietstausch, durch den sieben Reduktionen am Rio Uruguay mit rund 30.000 Bewohnern mit einem Schlag aufgelöst wurden. Spaniens König ernannte einen gefügigen Jesuiten, der die Maßnahme gegen den Willen seiner Mitbrüder vor Ort vollstreckte. Entgegen den Rat der Patres ergriffen viele Einheimische die Waffen - und wurden 1753 vernichtend geschlagen.

Weitere Maßnahmen

Der Vorfall war nur Anlass für weitere Maßnahmen. In Portugal wurde 1759 das Vermögen des Ordens beschlagnahmt und alle Jesuiten des Landes verwiesen. Der Vorwurf lautete, sie hätten die Indios gegen den portugiesischen König aufgestachelt und ein Mordkomplott geschmiedet. Andere Länder nahmen den Ball dankbar auf: Frankreich folgte 1764, Spanien 1767.

Dem Vermögenseinzug und der Ausweisung aus dem Mutterland - Protest wurde als "Akt des Hochverrats" mit dem Tod bestraft - folgte das Aus in Amerika. Mit Erlass vom 2. April wurden alle Jesuiten-Reduktionen unterdrückt. Allein in der Provinz Paraguay waren mehr als 110.000 christliche Einwohner betroffen, zwölf Gymnasien und eine Universität. Kolonisten übernahmen die Gebiete, ohne ihr Handwerk ausreichend zu verstehen. Ein jahrhundertelanger wirtschaftlicher Niedergang begann.

Die rund 1.800 Jesuiten auf dem Kontinent verzichteten auf bewaffneten Widerstand. Sie wurden ausgeschifft und starteten zu einer Odyssee mit unbekanntem Ausgang. 1773 verbot schließlich - auf Druck der Könige von Frankreich, Spanien und Portugal - Papst Clemens XIV. den Jesuitenorden als ganzen. Erst 40 Jahre später, nach der Französischen Revolution, konnte 1814 ein kompletter Neuanfang beginnen.


Taufbecken der Kirche in der Jesuitenreduktion Jesús de Tavarangüe.  / © Silke Uertz (KNA)
Taufbecken der Kirche in der Jesuitenreduktion Jesús de Tavarangüe. / © Silke Uertz ( KNA )

Mönche des Jesuitenordens siedelten sich hier 1763 an.  / © Silke Uertz (KNA)
Mönche des Jesuitenordens siedelten sich hier 1763 an. / © Silke Uertz ( KNA )
Quelle:
KNA