Erzbischof Schick traf im Senegal abgewiesene Flüchtlinge

"Sie kommen als gescheiterte Existenzen zurück"

Eigentlich gab es ein Jubiläum zu feiern: Zehn Jahre Partnerschaft zwischen der Erzdiözese Bamberg und der Diözese Thies im Senegal. Doch der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick sah in Afrika dieser Tage nicht nur Gründe zum Jubeln.

Erzbischof Schick im Senegal / © Katharina Ebel (KNA)
Erzbischof Schick im Senegal / © Katharina Ebel ( KNA )

KNA: Sie kommen gerade aus dem Senegal zurück und haben dort ehemalige Flüchtlinge getroffen. Was haben sie Ihnen erzählt?

Erzbischof Ludwig Schick (Erzbischof von Bamberg): Ein Gemisch an Gefühlen bewegt diese Menschen: Sie sind einerseits enttäuscht, dass die Flucht nicht gelungen ist. Von etwa 13.000 Senegalesen, die 2015 Richtung Europa flohen, sind 98 Prozent wieder zurückgeschickt worden. Andererseits sind sie froh, dass sie auf dem Weg nicht umgekommen und erst einmal wieder zu Hause sind. Nicht wenige sagen aber auch, dass sie erneut die Flucht versuchen werden, weil sie keine Perspektiven für sich im Senegal sehen.

KNA: In welcher Lage leben die Rückkehrer?

Schick: Ihre Situation ist dramatisch, wenn sie nicht aufgefangen werden. Sie kommen als gescheiterte Existenzen zurück – sie haben die Achtung vor sich selbst, vor ihrer Verwandtschaft und ihren Altersgenossen verloren. Sie müssen oft auch mit denen eine Einigung finden, die sie finanziell bei der die Flucht unterstützt haben und dafür Rückzahlungen aus Europa erhofften. Ihre Reintegration ist psychisch, sozial, auch familiär und beruflich äußerst schwierig. Deshalb sind Hilfsprogramme, wie sie die Kirche anbietet, sehr wichtig.

KNA: Was geschieht bei diesen Programmen?

Schick: Sie bauen das Selbstwertgefühl der Geflüchteten wieder auf, helfen, Beziehungen zu den Angehörigen zu stabilisieren, bieten Ausbildung in Landwirtschaft und Handwerk an. So bekommen die Rückkehrer wieder Boden unter die Füße und finden wieder bei ihren Verwandten und Familien Anerkennung. Die Reintegrationsmaßnahmen klären auch darüber auf, dass eine Flucht nach Europa nichts bringt und meist scheitert.

KNA: Welche Folgen kann eine gescheiterte Flucht noch haben?

Schick: Die Erlebnisse auf der Flucht und bei der Rückführung können zu Gewaltbereitschaft und politischer Radikalisierung führen. Auf der Flucht müssen sich die Flüchtlinge oft hart durchsetzen. Dann kommen die Abschiebung und die Angst vor der Rückkehr dazu. Dabei geraten sie oft in die Fänge radikaler Kräfte. Wenn sie zurück sind, empfinden sie sich als Verlierer, mit denen man nicht gut umgeht. Sie sind ständig unzufrieden. Einige wollen mit Gewalt politische Veränderungen im Land durchsetzen – in einer Mischung aus Irrationalität und Aggressivität.

KNA: Sie haben auch Verantwortliche gesprochen, etwa in der Politik. Wie wird das Problem dort wahrgenommen?

Schick: Äußerlich bekunden sie, dass die Menschen in ihrer Heimat bleiben und nicht fliehen sollen; denn es sind gerade die jungen aktiven und agilen Leute, die gehen. Aber sie wissen auch, wie bedeutend das Geld ist, das Geflüchtete in die Heimat schicken; damit wird sozial viel in den Familien aufgefangen. Die Überweisungen aus dem Ausland sind ein wichtiger Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt. Die Haltung vieler Verantwortungsträger erscheint mir hinsichtlich der Flüchtlinge teils zwiespältig oder einfach desinteressiert.

KNA: Manche wollen erneut fliehen, sagen Sie. Was kann dagegen getan werden?

Schick: Es muss realistisch über die Gefahren der Flucht und die Machenschaften der Schlepper aufgeklärt werden. Außerdem sind klare Informationen über die Bleibeperspektiven in Europa wichtig; sie sind gleich null! In Afrika machen sich viele Illusionen vom Leben in Deutschland. Ebenso wichtig ist, im Senegal Entwicklungsmöglichkeiten zu schaffen, konkret den Menschen Jobs anzubieten. Es gäbe Möglichkeiten, etwa indem man die landwirtschaftlichen Produkte vor Ort verarbeitet, verkauft und auch exportiert, den Tourismus fördert und einen Mittelstand aus Handwerks- und Handelsbetrieben aufbaut. Das braucht Entwicklungshilfe, politische Entscheidungen vor Ort und Zeit.

Das Interview führte Christian Wölfel.


Quelle:
KNA