Kirche in Not zur Lage in Aleppo

Große Unterschiede, wenige Christen

Auf einer fünftägigen Informationsreise hat die Geschäftsführerin Karin Maria Fenbert von Kirche in Not ein differenziertes Bild von der Lage der Menschen nach der Rückeroberung Aleppos durch die Assad-Truppen gewinnen können.

Erzbischof Joseph Tobji steht in einer zerstörten Kirche in Aleppo. (KiN)
Erzbischof Joseph Tobji steht in einer zerstörten Kirche in Aleppo. / ( KiN )

domradio.de:  Wir haben gehört, es ist sehr kalt in Aleppo. Haben Sie auch gefroren?

Karin Maria Fenbert (Geschäftsführerin der päpstlichen Stiftung Kirche in Not): Allerdings, es gibt nur wenig Heizöl, da seit langem die Ölförderung in Syrien gedrosselt wurde und das Heizöl teuer ist. Deshalb können nur wenige sich Heizöl leisten.

domradio.de: Wie versuchen die Menschen, sich zu wärmen?

Fenbert: Sie fahren zum Beispiel Auto, weil es mit der Autoheizung häufig am wärmsten ist. In den noch etwas mehr intakten Häusern und die Bewohner sich Stromgeneratoren leisten können, ist es auch etwas besser auszuhalten. Es gibt aber auch Bischofsresidenzen, wo man den Atem in der Luft sieht.  

domradio.de: Abgesehen von der Kälte, wie geht es den Menschen in Aleppo?

Fenbert: Sie leiden auf verschiedenste Weise. Durch die über Syrien verhängten Sanktionen gibt es schon lange keine Medikamente mehr aus dem Ausland. Das ist besonders schlimm für die chronisch Kranken. Sie sind auf die noch funktionierende Pharmaindustrie im eigenen Land angewiesen, und deren Medikamente sind teuer. Kirche in Not und andere Hilfsorganisationen versorgen sie daher mit Medikamenten. Es gibt zwar Nahrungsmittel in Syrien, aber viele haben zu wenig Geld, um sich das Essen leisten zu können.

domradio.de: Wie viel Geld haben die Menschen durchschnittlich zur Verfügung?

Fenbert: Von der Hilfsorganisation Roter Halbmond weiß ich, dass das Durchschnittseinkommen bei ungefähr 150 US-Dollar monatlich liegt. Das heißt, die internationalen Hilfsorganisationen mit Unterstützung von Kirche in Not organisieren täglich heiße Küchen, monatliche Nahrungsmittelpakete für Familien oder Zuschüsse für ein bisschen Heizöl oder Elektrizität. Seit den Beschüssen der Elektrizitätswerke im vergangenen Sommer kann Strom meist nur mit Generatoren erzeugt werden.

domradio.de: Kann man im Moment von Frieden in Aleppo sprechen?

Fenbert: Für unsere deutschen Verhältnissen wohl kaum. Aber für die Bevölkerung innerhalb von Aleppo schon. Seit dem 23. Dezember trauen sich die Menschen wieder auf die Straße. Davor war das nicht der Fall aus Angst vor Scharfschützen. Es haben seitdem auch wieder einige Restaurants geöffnet. Man sieht auch Läden, die auf der Straße Obst, Nahrungsmitteln oder Kleidung verkaufen. Es gibt wieder richtig viel Verkehr in der Stadt. Allerdings gilt dieser Frieden nur für zehn Prozent der gesamten Region von Aleppo. In 90 Prozent wird noch gekämpft. Das hört man fast jede Nacht. Immer nach Mitternacht, wenn kein Strom mehr funktioniert, fangen die Detonationen an. Dann hört man Flugzeuggeräusche. In der vorletzten Nacht, die ich in Aleppo verbracht habe, gingen die Detonationen sogar schon gegen halb zehn Uhr abends los.

domradio.de: Wie groß ist der Unterschied zwischen Ost- und West-Aleppo?

Fenbert: Der Unterschied ist immens. Was ich in Ost-Aleppo gesehen habe, ist Zerstörung pur. Da dürfte nichts mehr funktionieren. Da gibt es nur noch Trümmer. Dagegen sieht man im Westen Aleppos viele Straßenzüge, die ziemlich intakt zu sein scheinen. Es gibt wohl auch Häuser, die weitgehend unbeschädigt sind. Allerdings sind durch die starken Bombendetonationen in der Vergangenheit in vielen Häusern von West-Aleppo die Fensterscheiben kaputt gegangen, auch Türfenster waren betroffen. Aber an einigen Häusern sind diese Fensterscheiben schon ersetzt worden, so dass nicht mehr Plastik vor den Fenstern hängt.  

domradio.de: Sie haben auch mit Christen gesprochen. Wie geht es ihnen in Aleppo?

Fenbert: Bei orientalischen Zahlenangaben muss man immer vorsichtig sein. Aber es gab vor dem Krieg ungefähr zwischen 160.000 und 120.000 Christen in der Fünf-Millionenstadt-Aleppo. Heute leben noch ca. 21.000 bis 30.000 Christen in der Stadt – je nachdem, mit wem man spricht. Man bekommt die Zahl der Christen in Aleppo auch deshalb nicht so ganz genau mit, weil Christen in der Vergangenheit die Stadt verlassen haben, ohne es groß bekannt zu machen. Sie sind eher im Stillen und im Geheimen fortgegangen.

domradio.de: Kann man sagen – geflohen?

Fenbert:  Ja. Das Problem in Aleppo ist, dass es mehr als zehn christliche Konfessionen gibt. Wir haben mit sechs verschiedenen Bischöfen von sechs verschiedenen Konfessionen gesprochen. Die Herausforderung ist, die Hilfen ein bisschen zu vereinheitlichen, damit es nicht zu Spannungen zwischen den Christen kommt.  

Das Gespräch führt Uta Vorbrodt.


Quelle:
DR