Kardinal Arns ist tot - Verehrter Kämpfer für Menschenrechte

Befreiungstheologe im Kardinalsstand

Eine Auflistung kirchlicher Persönlichkeiten aus Brasilien liest sich wie ein "Who is who" der Befreiungstheologie: Helder Camara, Leonardo und Clodovis Boff, Frei Betto, Pedro Casaldaliga. Doch die Reihen lichten sich.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Paulo Evaristo Arns / © Romano Siciliani (KNA)
Paulo Evaristo Arns / © Romano Siciliani ( KNA )

Eine Ikone der katholischen Kirche Brasiliens ist tot. Paulo Evaristo Arns, prominenter Befreiungstheologe und Menschenrechtler, drittältester Kardinal der Weltkirche und emeritierter Erzbischof von Sao Paulo, starb am Mittwoch im Alter von 95 Jahren in einem Krankenhaus der Millionenstadt, an multiplem Organversagen. Natürlich, der Tod ist in diesem Alter eine Frage der Zeit - und doch ist es ein Verlust für das ganze Riesenland.

Während der Militärdiktatur in Brasilien (1964-1985) protestierte der deutschstämmige Franziskaner gegen die Verbrechen des Regimes. Arns zählte wohl zu den bestinformierten Menschen im Land. Er wusste, wo gefoltert und gemordet wurde; er versteckte Verfolgte - und stellte Militärs mutig zur Rede. Ein Redeverbot war die Folge.

Arns mobilisierte gegen Ungerechtigkeit, Folter und unmenschliche Arbeitsbedingungen

Schon in den frühen 80er Jahren startete und leitete der furchtlose Bischof das Projekt "Brasil: Nunca Mais" (Nie wieder) über die Verbrechen der Diktatur. Es sammelte heimlich Dokumente, und 1985, kurz nach dem Ende der Diktatur, wurden die Ergebnisse in Buchform veröffentlicht. Sie gelten bis heute als die ausführlichste Aufarbeitung der damals begangenen Verbrechen durch Brasiliens Staatsapparat.

Seit dem Übergang zur Demokratie mobilisierte Arns Kirche und Sozialbewegungen gegen Ungerechtigkeit, Folter und unmenschliche Arbeitsbedingungen. Bei Demonstrationen für die Menschenrechte stand er häufig in der ersten Reihe. 1992 war Arns in der Dominikanischen Republik in einen Unfall mit bis heute nicht eindeutig geklärter Ursache verwickelt. Er selbst sagte stets, dass er den Unfall als Attentatsversuch ansehe. Schließlich mussten nicht wenige Bischöfe im Lateinamerika jener Jahre ihren Einsatz für die Menschenrechte mit dem Leben bezahlen: Oscar Romero in Nicaragua, Juan Gerardi in Guatemala, Enrique Angelelli in Argentinien.

Konflikte mit Rom: Hinterfragen von Pflichtzölibat

Am 14. September 1921 im südbrasilianischen Forquilhinha geboren, trat er bereits mit 18 Jahren in den Franziskanerorden ein. Später studierte er an der Pariser Sorbonne. 1970 machte ihn Papst Paul VI. mit nur 49 Jahren zum Erzbischof von Sao Paulo und erhob ihn 1973 in den Kardinalsstand. Außer Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. war Arns der letzte verbliebene Kardinal, der noch vom Konzilspapst Paul VI. ernannt wurde. 1985 rief Arns gemeinsam mit seiner Schwester, der Kinderärztin Zilda Arns Neumann, die äußerst populäre Kinderpastoral der katholischen Kirche ins Leben. Zildas tragischer Tod während des Erdbebens auf Haiti 2010 nahm der brasilianischen Nation quasi ihre Mutter.

Auch Konflikten mit Rom ging der streitbare Kardinal nicht aus dem Weg. So forderte er schon früh, mit Blick auf den wachsenden Priestermangel den Pflichtzölibat für katholische Priester neu zu hinterfragen. Es handele sich um ein historisch bedingtes Kirchengesetz ohne biblische Verankerung.

Nähe zur Befreiungstheologie

1998 nahm Papst Johannes Paul II. den Amtsverzicht von Kardinal Arns als Erzbischof aus Altersgründen an - mit vergleichsweise jungen 76 Jahren. Johannes Paul II. schätzte seinen Mut und sein soziales Engagement, weniger jedoch seine Nähe zur Befreiungstheologie, hinter der der Papst aus Polen stets den Sozialismus witterte.

Von einem "Ruhestand" konnte freilich keine Rede sein. Arns schrieb weiter Bücher, erreichte über das Radio viele Menschen mit seinen Botschaften. Der höfliche ältere Herr, der er war, zeigte den Mächtigen doch stets die Zähne, wies Korruption, Vetternwirtschaft und Verschwendung nach. Arns erhielt ungezählte weltliche Auszeichnungen durch Vereinte Nationen, Regierungen und Menschenrechtsorganisationen. Rund zwei Dutzend Universitäten in der ganzen Welt verliehen ihm Ehrendoktorwürden. Seine letzten Lebensjahre verbrachte der Kardinal zurückgezogen in einer franziskanischen Ordensgemeinschaft in Taboao da Serra im Großraum Sao Paulo. Er widmete sich dort unter anderem der Lektüre und Übersetzung religiöser Texte. Sein Land, Brasilien, ist ärmer ohne ihn - ärmer, als es derzeit ohnehin schon ist.


Quelle:
KNA