Philippinischer Bischof Quevedo kritisiert Politik in seinem Heimatland

"Wir verstehen uns als moralische Instanz"

Die Philippinen stehen im Mittelpunkt des diesjährigen Sonntags der Weltmission am Wochenende. domradio.de sprach mit Orlando Kardinal Quevedo, Erzbischof von Cotabato auf Mindanao, der zweitgrößten Insel der Philippinen.

Bischof Orlando Quevedo / © Romano Siciliani (KNA)
Bischof Orlando Quevedo / © Romano Siciliani ( KNA )

domradio.de: Herr Kardinal, die Philippinen sind das katholischste Land Asiens. Ihr Erzbistum befindet sich aber in einer Region, in der die Muslime – im Gegensatz zum Rest der Philippinen - die Mehrheit der Bevölkerung bilden. Wie funktioniert das Zusammenleben von Christen und Muslimen?

Orlando Kardinal Quevedo (Erzbischof von Cotabato auf Mindanao): Es ist ein ganz normaler Alltag, Muslime und Christen gehen auf die gleichen Märkte, sie arbeiten zusammen, sie besuchen die gleichen Schulen. Die meisten Muslime gehen sogar auf christliche Schulen. In meiner Erzdiözese Cotabato gibt es zwei katholische High-Schools und eine katholische Universität und die meisten Studenten sind Muslime: mit den Christen lernen sie zusammen, sie beten gemeinsam und sie verstehen einander.

Wir nennen das "Dialog des Lebens" und es funktioniert, das ist die Basis. Der Konflikt zwischen Christen und Muslimen spielt sich auf politischer Ebene ab, zwischen der Regierung und der islamischen Befreiungsfront "Moro Islamic Liberation Front" MILF, sowie der "Moro National Liberation Front" MNLF, die für mehr Autonomie der Muslime im Süden der Philippinen kämpfen.

domradio.de: Aber auch die Philippinen haben ein Problem mit islamistischem Terror. Im September verübte die Gruppe Abu Sayyaf ein Bombenattentat in der Stadt Davao auf der Insel Mindanao, bei dem 14 Menschen getötet und Dutzende verletzt wurden. Abu Sayyaf steht dem IS nahe. Welche Folgen hat das für das Miteinander von Muslimen und Christen auf den Philippinen?

Kardinal Quevedo: Die "Moro Islamic Liberation Front" ist keine terroristische Organisation, in dem Sinne, dass sie willkürlich Zivilisten tötet. Derzeit gibt es einen Friedensprozess und ihnen geht es um Macht, Gebietsansprüche und um Autonomie.

Aber es gibt die Terrorgruppe Abu Sayyaf, eine Splitterorganisation, die im Süden der Philippinen einen islamischen Gottesstaat errichten will.  Deren Anhänger entführen Menschen, erpressen Regierungen, sie töten ihre Opfer, werfen Bomben, verbreiten Terror und geben vor, dies im Namen des Islam zu tun. Aber eigentlich sind es  gewöhnliche Kriminelle. In der Bevölkerung hat Abu Sayyaf keinen Rückhalt. Unter den Muslimen herrscht überwiegend großer Respekt vor dem Christentum und der Kirche: Die Moro-Rebellen verurteilen diese Gewalt zutiefst, ebenso die islamischen Gelehrten. Und die Regierung verfolgt Abu Sayyaf mit unnachgiebiger Härte.

domradio.de: Hier in Europa hat der islamistische Terror zu einer zunehmenden Verunsicherung und zu Vorurteilen geführt, viele Parteien machen Politik mit antimuslimischen Parolen. Wie ist das auf den Philippinen?

Kardinal Quevedo: Die Folge ist, dass es unter den Christen großes Misstrauen gibt und manche der Moro Islamic Liberation Front unterstellen, sie deckten Terroristen. Das sind politische, ideologische Konflikte. Der religiöse Aspekt kommt ins Spiel, weil sich die Gruppen als islamisch definieren. Aber weder Führer noch Mitglieder sehen ihre Auseinandersetzung als eine religiöse. Viele sind sogar auf eine katholische Schule gegangen.

domradio.de: Seit Ende Juni 2016 haben die Philippinen einen neuen Präsidenten, Rodrigo Duterte, der durch seine markigen Sprüche auffällt: US-Präsident Obama, den Papst und die philippinischen Bischöfe nannte er bereits „Hurensöhne“ und seine Anti-Drogen-Politik hat er kürzlich mit dem Holocaust verglichen. Wie steht die Kirche auf den Philippinen zu ihm?

Kardinal Quevedo: Rodrigo Duterte wurde mit breiter Mehrheit gewählt, weil er Wahlkampf mit dem Versprechen auf einen Wandel gemacht hat. Immer wieder wurde das dem Volk versprochen, aber nie ist etwas passiert. Dem neuen Präsidenten hingegen nimmt man das ab, weil er als Bürgermeister von Davao City auf Mindanao im Süden der Philippinen bereits vieles angepackt hat. Er hat die Kriminalitätsraten, den Drogenkonsum und die Korruption in seiner Stadt gesenkt. Deswegen haben die Menschen ihre Hoffnungen auf ihn gesetzt. Und auch jetzt unterstützen sie ihn immer noch, trotz seiner markigen Sprüche, weil er tatsächlich etwas verändert. Er sagt der Kriminalität und den Drogen den Kampf an. 700.000 mutmaßliche Drogenhändler und Verbrecher haben sich bislang der Polizei gestellt, aus Angst um ihr Leben, das ist auf den ersten Blick ein Erfolg.

Aber seit seinem Amtsantritt Ende Juni sind mehr als 3.500 Menschen wegen Drogenhandels oder Drogenbesitzes getötet worden. Es gibt viele Menschenrechtsverletzungen: Allein der Verdacht, ein Dealer zu sein, reicht aus für ein Todesurteil. Bei Verdächtigten gibt es keine Ermittlungen, kein Verfahren, keinen Prozess.

Wir als Kirche können das nicht akzeptieren, das sind keine rechtsstaatlichen Methoden, das verurteilen wir: sowohl in den Medien haben wir das schon geäußert, als auch dem Präsidenten gegenüber persönlich. Denn Dutertes Politik trifft häufig nicht die Drogenbosse, sondern die kleinen, die Abhängigen. Wir sind der Meinung, dass diesen Menschen geholfen werden muss, anstatt sie zu erschießen. Und wir befürchten, dass sich die willkürliche Selbstjustiz ausweitet und sich auf die Worte des Präsidenten beruft. Das kann die Kirche wirklich nicht akzeptieren!

domradio.de: Und werden die Worte der Kirche gehört?

Kardinal Quevedo: Wir verstehen uns als moralische Instanz. Während des Präsidentschaftswahlkampfes hat die philippinische Bischofskonferenz Richtlinien hinsichtlich der Qualifikationen der Kandidaten veröffentlicht. Viele haben diese Richtlinien nicht erfüllt. Das Volk hört uns zu, mit Respekt, und sie wissen auch, dass wir Recht haben, aber am Ende wählt doch jeder so, wie er es für richtig hält. Und viele Menschen wissen sehr wohl, dass es Menschenrechtsverletzungen gibt, aber sie wollen sie nicht sehen und verweisen auf die vermeintlich sinkende Drogenkriminalität.

domradio.de: Sie sind als Gast von missio zum Weltmissionsmonat nach Deutschland gereist. Was ist Ihre Botschaft an die Deutschen?

Kardinal Quevedo: Ziel des Weltmissionsmonats ist es, das missionarische Bewusstsein der Katholiken in Deutschland zu wecken. Ich kann den Deutschen berichten, wie Mission in meinem Heimatland funktioniert und wie die Deutschen uns dabei unterstützen können. Meine Diözese wird von missio unterstützt, beispielsweise beim Bau neuer Kirchen oder beim Aufbau kleiner christlicher Gemeinschaften. Wir bilden Gruppenleiter aus, Katecheten und Familien. Auch unsere Programme des interreligiösen Dialoges werden unterstützt und Friedensprogramme. Davon will ich den Deutschen erzählen, damit sie wissen, was mit ihrem Geld geschieht, damit Mission ein menschliches Gesicht bekommt. Es geht nicht nur um Buchungen, Statistiken und Spendenquittungen, sondern um ganz konkrete Hilfe, die den Menschen hilft, der Armut zu entfliehen.  

Das Interview führte Ina Rottscheidt.


Rodrigo Duterte (l.), Präsident der Philippinen / © Hoang Dinh Nam (dpa)
Rodrigo Duterte (l.), Präsident der Philippinen / © Hoang Dinh Nam ( dpa )
Quelle:
DR