Adveniat-Referent über die brasilianische Umweltkatastrophe

Lebensbedrohlicher Bergbau

Vor einem Monat ist in Brasilien ein Damm in einem Bergwerk gebrochen. Im Fluss Rio Doce hat sich Schlamm ausgebreitet - und damit offenbar auch Giftstoffe. Im domradio.de-Interview spricht Norbert Bolte von Adveniat über die Notlage der Bauern und Fischer.

Schlammwüste nach dem Dammbruch / © Antonio Lacerda (dpa)
Schlammwüste nach dem Dammbruch / © Antonio Lacerda ( dpa )

domradio.de: Wie schätzen Sie die Lage in Brasilien ein? Was berichten Ihnen Ihre Projektpartner?

Norbert Bolte (Brasilien-Referent, Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat): Die brasilianische Präsidentin Rousseff war gerade auf dem Klimagipfel in Paris und hat selbst von der schlimmsten Umweltkatastrophe in der Geschichte ihres Landes gesprochen. Sie hat der Betreiberfirma Samarco auch große Verantwortungslosigkeit vorgeworfen. Ich denke, die Lage ist wirklich dramatisch. Unsere Projektpartner berichten uns davon, dass Tausende Kleinbauern und Fischer entlang des Flusses Rio Doce und auch an der Atlantikküste betroffen sind und für Jahrzehnte ihre Lebensgrundlage verloren haben. Andere berichten uns, dass Hunderttausende Menschen in ihrer Wasserversorgung gestört ist. Es ist zu Plünderungen in Supermärkten gekommen.

Vor allem für die 1.000 Bewohner im Dorf Bento Rodrigues ist die Lage dramatisch. Das Dorf ist völlig zerstört, 14 Menschen kamen ums Leben. Zwölf werden noch vermisst.

domradio.de: Was glauben Sie, warum die Weltöffentlichkeit erst jetzt von der Katastrophe erfährt?

Bolte: Nach meiner Einschätzung gibt es zunächst einmal landesinterne Gründe. Samarco, die Betreiberfirma, gehört zu einem großen Konzern, der in Brasilien sehr viel Macht hat. Das ist der weltweit größte Bergbaukonzern Vale. Der finanziert zum Beispiel Präsidentschaftskandidaten und übt Druck auf Medien und Politik aus. Auf diese Weise sind die Medien eng mit den Reichen und Mächtigen verbandelt, die von solchen Wirtschaftsunternehmen profitieren. Gleichzeitig haben die Medien haben wenig Verbindungen zu den einfachen Menschen vor Ort. Außerdem kam es eine knappe Woche nach der Umweltkatastrophe zu den Attentaten von Paris, auf die bei uns in Europa die Aufmerksamkeit gelenkt wurde. 

domradio.de: Samarco hat eine Summe von 246 Millionen Euro für die erzeugten Schäden zugesagt. Das sind rund 15 Euro für jeden betroffenen Menschen. Wie bewerten Sie das?

Bolte: Angesichts der Tatsache, dass unsere Projektpartner von einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit sprechen, denke ich, dass diese Summe vielleicht eine Hoffnung für die Aktionäre der Betreiberfirma ist. Sie ist aber sicherlich kein Trost für die jetzigen und die für die zukünftigen Betroffenen. Wir müssen davon ausgehen, dass Generationen noch in Zukunft an den Folgen leiden werden. 

domradio.de: Die Staatsanwaltschaft in Brasilien geht davon aus, dass das Unternehmen das Risiko ganz bewusst in Kauf genommen hat - um auf notwendige Sicherheitsmaßnahmen aus Kostengründen verzichten zu können. Passiert so etwas häufiger in Lateinamerika?

Bolte: In Lateinamerika wird in vielen Ländern mit hoher Intensität Bergbau betrieben wird, und das mit teilweise lebensbedrohenden Konsequenzen für die Menschen und für die Umwelt. Speziell Gebiete von Ureinwohnern sind davon betroffen. Außerdem sind die Weltmarktpreise für Rohstoffe in den letzten Jahren sehr stark eingebrochen. Die Bergbaufirmen sind unter einem hohen Kostendruck. Das Gewinnstreben führt immer wieder dazu, dass wenig Sicherheitsmaßnahmen getroffen werden und derartige Katastrophen passieren können.

domradio.de: Gibt es von der brasilianischen Kirche oder Ihren Projektpartnern eine politische Forderung?

Bolte: Unsere Projektpartner stellen sich zunächst einmal hinter die Forderungen der Betroffenen vor Ort. Und die möchten eine rückhaltlose Aufklärung der Ursachen. Sie wollen erkennen können, wer verantwortlich ist. Dazu gehört aber auch, zu klären,was die Folgen der Katastrophe sind. Welche Inhalts- und Giftstoffe in den Boden und ins Wasser gelangt sind. Auf dieser Grundlage wollen sie eine angemessene Entschädigungsforderung einbringen. Desweiteren fordert man eine bessere Überwachung, bessere Sicherheitsmaßnahmen. Es gibt in Brasilien 20 Techniker, die ausgebildet sind, um etwa 200 Staudämme zu überprüfen. Das ist ein großes Missverhältnis. Außerdem ist eine genaue Prüfung bei der Vergabe von Bergbaulizenzen vorzunehmen.

Die Ironie der Geschichte ist, dass im Moment im brasilianischen Parlament über eine neue Bergbau-Gesetzgebung beraten wird. Die jetzige ist über 50 Jahre alt. Sie steht auf dem Prüfstand. Allerdings scheint es so zu sein, dass die bisherigen Beratungen auf eine größere Liberalisierung hinauslaufen. Nach Meinung der brasilianischen Bischöfe ist eine Überprüfung dessen, was in Brasilien als Entwicklung verstanden und praktiziert wird, dringend geboten.

 

Das Interview führte Verena Tröster.


Quelle:
DR