Dormitio-Mönch: Christen leiden auf beiden Seiten

Und ewig tönt die alte Hassplatte im Heiligen Land

Das Heilige Land folgt einer zynischen Logik, urteilt Nikodemus Schnabel OSB in Jerusalem. Statt mit dem komplizierten Friedensprozess zu leben, herrschten einfache Hassmuster. Unter den Opfern sind auf beiden Seiten Christen.

Junge Christin in Gaza-Stadt (dpa)
Junge Christin in Gaza-Stadt / ( dpa )

domradio.de: Wir haben Meldungen gehört, dass die Hamas-Raketen auch Ziele in Jerusalen erreicht haben - was ist da dran?

Bruder Nikodemus Schnabel OSB: Man muss differenzieren zwischen dem "Bereich Jerusalem" und Jerusalem. Am späten Dienstagabend hat man die Sirenen der ganzen Stadt gehört, man hat auch die Detonation des Raketeneinschlags gehört, aber das war in Pisgat Zeev, das ist ein Vorort von Jerusalem, bekannt dadurch, dass es die Endstation der Tram ist. Das ist wirklich kilometerweit entfernt von der Altstadt, vom Zion. Hier, wo ich jetzt wohne und lebe und die gesamte Altstadt sind eigentlich sicher. Der "verrückteste" Terrorist würde keine Rakete auf die Altstadt von Jerusalem lenken, das Risiko die Al-Aqsa-Moschee, den Felsendom oder die Grabeskirche zu treffen, wäre viel zu hoch. Was dann passieren würde, das kann man sich gar nicht ausmalen.

domradio.de: Wie erleben Sie den Alltag in Jerusalem? Wie gehen die Menschen mit dieser Lage um?

Schnabel: Relativ professionell könnte man sagen. Das Land ist einfach Gewalt gewohnt und solche Eskalationsspiralen. Das Leben geht seinen normalen Gang, man kann nicht sagen, es ist irgendetwas besonders Außergewöhnliches. Es sind wenig Pilger in der Stadt, aber das muss nicht an der Situation liegen. Wir haben einfach Juli, August, das Thermometer geht schnell über 30 Grad. Das sind traditionell pilgerschwache Monate.

domradio.de: Vor dem Mord an den drei israelischen Talmud-Schülern hatte es ja zaghafte Zeichen der Hoffnung gegeben: das Friedensgebet von Peres und Abbas gemeinsam mit dem Papst im Vatikan oder die Friedensbemühungen von US-Außenminister Kerry. Ist das jetzt alles für die Katz? 

Schnabel: Viele empfinden das so, mir geht es ähnlich. Man ist auf einmal wieder zurückversetzt in den November 2012. Man hat das Gefühl alles, was sie geschildert haben, das hat zu nichts gebracht. Man ist wieder bei einem neuen Gaza-Konflikt, bei einer neuen Auseinandersetzung. Ja, viele moderate Kräfte sind wirklich resigniert, weil eigentlich ist die Hoffnung in den letzten Wochen gewachsen. Gerade auch durch die Initiative vom Papst, durch dieses Friedensgebet, wo auf einmal Unmögliches möglich schien.

Ich habe das Gefühl, es hat eine gewisse zynische Logik. Es gibt auch eine gewisse Erleichterung, gerade auf extremistischer Seite, weil jetzt ist man wieder das, was man kennt: Man kann wieder seine alte Hassplatte auflegen, die Welt ist einfach zu verstehen, es gibt weiß und schwarz, man weiß, wer die Freunde und die Feinde sind… Die eine Seite kann wieder ihren Antisemitismus hervorholen und die andere Seite ihre Islamphobie. Es gibt wieder die alten Muster.

Man hat das Gefühl, es ist auch viel einfacher so zu leben als mit diesem komplizierten Friedensprozess, der ja voraussetzt, dass ich anerkenne, dass der andere auch leidet, dass der andere auch Opfer ist, dass ich eventuell Konzessionen machen muss. Diese radikale Einstellung ist viel einfacher, aber leider kein guter Weg zum Frieden.

domradio.de: Beim Thema Israel gegen Palästinenser denken wir fast automatisch an ein Szenario Juden gegen Muslime. Aber was ist eigentlich mit den Christen im Heiligen Land? In wie weit sind sie betroffen von dem sich zuspitzenden Konflikt?

Schnabel: Tatsächlich geht das oft unter. Wir haben natürlich diese zwei Prozent Minderheit der Christen, die jetzt kaum im Fokus ist, die es aber auf beiden Seiten gibt. Das ist glaube ich das, was man betonen muss: Christen sind Opfer auf beiden Seiten. Im Gaza-Streifen leben Christen, es gibt christliche Palästinenser und sie zittern jetzt genauso mit ihren muslimischen Mitbürgern vor den Angriffen der israelischen Luftwaffe. Es gab 2012 Schäden an kirchlichen Einrichtungen, auch christliche Tote. Wenn man auf die andere Seite schaut, wohin die Raketen abgefeuert werden, in den Süden Israels, das ist ein Siedlungsgebiet, wo sehr viele Christen leben, nämlich hebräisch sprechende Christen und auch sehr viele Flüchtlinge aus dem Südsudan, aus Eritrea, aus Äthiopien, die auch Christen sind. Sie zittern mit ihren jüdischen Mitbürgern jetzt vor den Raketen.

Christen zittern und leiden auf beiden Seiten. In ihrem Namen möchte ich sagen: Hört auf! Hört auf mit dieser sinnlosen Gewaltspirale. Das hat dieses Land schon seit Jahrzehnten immer wieder versucht und es hat sich wirklich erwiesen: So kann man keinen Frieden machen! Es gibt keine echte Alternative zum Dialog. Ich hoffe, dass die Waffen bald wieder schweigen und die Menschen wirklich wieder die normale Kommunikation, den normalen Dialog suchen.

domradio.de: Israel hat 20.000 Reservisten zusammengezogen, Beobachter sprechen von Vorbereitungen auf eine Bodenoffensive. Rechnen Sie persönlich damit, dass Israel tatsächlich in den Gazastreifen einmarschieren wird?

Schnabel: Im November 2012 war ein ähnliches Szenario. Es gab ja eine Woche lang Bombardements des Gaza-Streifens und auch diese Vorbereitung. Es gab damals keine Bodenoffensive, sondern das war mehr eine Art Zeigen der Folterinstrumente und ein lautes Fragen an die Hamas und die internationale Gemeinschaft: Wollen wir wirklich eine derartige Eskalation? Ich hoffe, dass es diesmal auch eine Form von Kriegsrhetorik ist. Ich hoffe und bete dafür, dass es nicht zu einer Bodenoffensive kommt.

Das Interview führte Hilde Regeniter

 

Quelle:
DR