Peter Scholl-Latour zur Lage in Syrien

"Assad wäre das kleinere Übel"

Am Mittwoch beginnt die Friedenskonferenz über Syrien. Im Interview nennt der Publizist und Orientkenner Peter Scholl-Latour (89) mögliche Perspektiven für das von Kämpfen zerrissene Land und äußert sich auch zur Lage der Christen im Nahen Osten.

Zerstörte Straße in Homs / © CSI (KNA)
Zerstörte Straße in Homs / © CSI ( KNA )

KNA: Herr Scholl-Latour, was erwarten Sie von der in der kommenden Woche beginnenden Syrien-Konferenz in der Schweiz?

Scholl-Latour: Ich möchte hoffen, dass sich alle beteiligten Parteien einfinden werden, was in keiner Weise garantiert ist. Radikale islamistische Organisationen werden wahrscheinlich keine große Lust verspüren, mit Vertretern der Assad-Regierung an einem Tisch zu sitzen. Russland besteht außerdem zurecht auf der Teilnahme einer iranischen Delegation.

KNA: Vor drei Jahren weckte der sogenannte Arabische Frühling Hoffnung auf eine Demokratisierung der Region. Zeigt sich am Beispiel Syrien das Scheitern dieser Wunschvorstellung?

Scholl-Latour: Ich kann das ganze Gerede von mehr Demokratie für den arabischen Raum nicht mehr hören. In der arabischen Staatenwelt gibt es wohl nur die Wahl zwischen einem islamischen Gottesstaat oder eine Militärdiktatur. Mir ist bei solchen Debatten zu viel Heuchelei im Spiel. Einer der wichtigsten deutschen Handelspartner im Nahen Osten ist Saudi-Arabien. Unter den Gesichtspunkten von Demokratie und Menschenrechten eine überaus schändliche Politik. Aber das scheint niemanden zu kümmern.

KNA: Trotzdem - wie fügen sich für Sie die Vorgänge in Syrien in die aktuellen Umbrüche zwischen Marokko und der Türkei ein?

Scholl-Latour: Der Aufstand in Syrien ist nicht aus dem Inneren gekommen, wie das etwa in Libyen oder Ägypten zumindest teilweise der Fall war. Er wurde von außen ins Land hineingetragen. Die ganze Sache wäre in 14 Tagen zu regeln gewesen, wenn die syrische Regierung nicht überreagiert und direkt scharf geschossen hätte und wenn der Aufstand nicht von anderen Ländern massiv unterstützt worden wäre.

KNA: Diese Entwicklung lässt sich nicht mehr rückgängig machen.

Scholl-Latour: Immerhin scheinen die direkt Beteiligten, aber auch die Politiker aus anderen Ländern allmählich aufzuwachen. Syrien war der einzige säkulare Staat in der arabischen Welt, und wir haben ihn kaputtgemacht. An der Grenze zwischen Syrien und Israel hat es seit dem Jom-Kippur-Krieg von 1973 keinen Zwischenfall mehr gegeben. Wenn da aber erstmal radikale Islamisten stehen, dürfte es für Israel ungemütlich werden.

KNA: Glauben Sie, dass sich Präsident Baschar al-Assad an der Macht halten kann?

Scholl-Latour: Im Moment sieht es so aus. Er wäre auf alle Fälle das kleinere Übel.

KNA: In die Friedensverhandlungen für Syrien hat sich auch der Vatikan eingeschaltet. Was halten Sie davon?

Scholl-Latour: Es wird höchste Zeit, dass etwas unternommen wird. Der Orient und Nordafrika waren ja beinahe voll christianisiert, bevor die arabischen Eroberungen eingesetzt haben. Mitte des 19. Jahrhunderts war Anatolien noch zu einem Drittel christlich. In Ägypten, im Irak, im Libanon oder in Syrien gab es beachtliche christliche Bevölkerungsanteile. Die geraten jetzt aber massiv unter Druck und sind zum Teil bereits geflohen.

KNA: Wie sieht die Lage speziell für die Christen in Syrien aus?

Scholl-Latour: Vor einigen Wochen war ich im Libanon, an der Grenze zu Syrien. Unter Assad lebten die acht bis zehn Prozent syrischen Christen weitgehend unbehelligt. Sie hatten keine hohen Staatsämter inne, aber sie konnten ihren Geschäften nachgehen. Das ist jetzt vorbei. Im vergangenen Jahr entführten Islamisten einen syrisch-orthodoxen Metropoliten und einen griechisch-orthodoxen Erzbischof. Von beiden hat man seitdem nichts mehr gehört. Auch die Entführung von Nonnen Anfang Dezember in der Stadt Maalula ging auf das Konto der Extremisten.

KNA: Welche Signale kann Papst Franziskus Ende Mai mit seiner Reise nach Israel, Jordanien und in die Palästinensergebiete setzen?

Scholl-Latour: Der Papst sollte sich einer energischen Sprache bedienen - und sich solidarisch mit den dort lebenden Christen zeigen, aber gleichzeitig verhärtete Fronten aufbrechen. Dafür hätte ich mir allerdings gewünscht, dass er auch den Libanon in sein Besuchsprogramm aufgenommen hätte.

KNA: Warum?

Scholl-Latour: Die Christen im Libanon müssen begreifen, dass ihre verlässlicheren Verbündeten die Schiiten sind und nicht die sunnitisch dominierte Partei von Saad Hariri...

KNA: ... dem Sohn des 2005 ermordeten libanesischen Regierungschefs Rafiq al-Hariri.

Scholl-Latour: Hariris Partei wird von den Saudis ausgehalten. Die Hassprediger, die die Menschen in der Region aufstacheln, kommen aus Saudi-Arabien. Die schiitische Hisbollah ist demgegenüber weitaus zuverlässiger und durchaus tolerant gegenüber Christen.

KNA: Es gibt aber Beobachter, die die Hisbollah immer noch als verbrecherische Organisation einstufen.

Scholl-Latour: Ich habe mal den höchsten geistlichen Führer der Schiiten des Libanon, Scheich Hussein Fadlallah, mit Blick auf den Konflikt um Jerusalem gefragt: "Sie wollen doch die Heiligen Stätten wiedergewinnen." Da hat er geantwortet: "Was heißt schon die Heiligen Stätten wiedergewinnen? Die Würde des Menschen ist 70 mal wichtiger." Das sind sicher strenggläubige Leute, aber nicht ohne Nuancen.

KNA: In Deutschland läuft unterdessen die Debatte über eine weitere Aufnahme von Flüchtlingen aus den Krisengebieten des Nahen Ostens. Ist es nicht zynisch, dass manche Politiker bevorzugt Christen aufnehmen wollen?

Scholl-Latour: Im Gegenteil: Christen sollten den Vorrang genießen. Unter den Muslimen stößt eine solche Debatte, wie sie bei uns geführt wird, auf absolutes Unverständnis. Religion ist in ihren Augen ein enorm wichtiger Faktor. Bei ihnen besitzt die Solidarität mit den Muslimen die absolute Priorität. Und sie haben keinerlei Verständnis für die Zurückhaltung der Christen in dieser Frage.


Peter Scholl-Latour (KNA)
Peter Scholl-Latour / ( KNA )
Quelle:
KNA