Ein Jahr vor dem Weltjugendtag ist vieles in Brasilien im Argen

"Immer noch Gewalt gegen Indianer"

In genau einem Jahr beginnt in Brasilien der nächste Weltjugendtag. Florian Ripka von "Kirche in Not" hat das Land kürzlich während einer Projektreise besucht - und stieß auf große Ungerechtigkeiten zwischen Arm und Reich, besonders zwischen Großgrundbesitzern und der indigenen Urbevölkerung.

 (DR)

Welche Eindrücke haben Sie von Ihrer Reise mitgebracht? … dass Brasilien ein Land der Gegensätze ist. Einerseits ist es ein aufstrebendes Schwellenland, das sein Potenzial an Bodenschätzen und seine Wirtschaftskraft noch kaum ausgeschöpft hat. Städte im Süden des Landes wie São Paulo wachsen ebenso wie der allgemeine Wohlstand.

Auf der anderen Seite gibt es im unwegsamen und malariaverseuchten Norden entlang des Amazonas große Ungerechtigkeiten zwischen Arm und Reich, besonders zwischen Großgrundbesitzern und der indigenen Urbevölkerung.

Haben Sie von diesen Ungerechtigkeiten etwas mitbekommen?
Wir waren während unserer Reise auch im nördlichsten Bundesstaat Brasiliens, in Roraima. Er grenzt an Venezuela und Guyana und gilt als ein Brennpunkt der "Indianerfrage". In der Diözese Roraima leben bis heute 14 indigene Völker, aber es gibt auch die Großgrundbesitzer. Dieser Gegensatz prägt die Region und bestimmt auch das Leben der Kirche. Bis heute werden Indianer benachteiligt, bis heute gibt es Gewalt gegen sie.

Was bedeutet das für das Wirken der Kirche?
Indianer wurden lange Zeit wie Sklaven auf den großen Bauernhöfen, den "Fazendas", gehalten. Die Kirche stand als einzige Institution auf der Seite der Indianer. Von ihr erhielten sie neben pastoraler Betreuung auch eine über die Landesgrenzen hinaus reichende Stimme.

Politiker, die durch Korruption eng mit den Großgrundbesitzern, den "Fazendeiros", verbunden waren, arbeiteten deswegen seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts immer wieder gegen die Kirche. Auf Bischöfe wurde zeitweise sogar ein Kopfgeld ausgesetzt. Trotz aller Morddrohungen hat die Kirche aber weiterhin Missionsstationen eröffnet. Diese wurden oft zu lebensrettenden Zufluchtsorten für die Indianer.

Und heute?
Wir haben uns bei Bischof Dom Roque Paloschi über die schwierige Rolle der römisch-katholischen Kirche im Bistum Roraima informiert. Was er uns sagte, das erinnert an Geschichten aus dem Wilden Westen.

Da wurden Indianer kaltblütig erschossen, nur weil sie ihr Recht auf ihr angestammtes Land einforderten und damit den Interessen der großbäuerlichen Rinderzüchter und Reisbauern im Weg standen. Auch Behinderungen der Missionsstationen durch Großgrundbesitzer und deren "Revolverhelden" stehen immer wieder auf der Tagesordnung.

Das erinnert tatsächlich an Zustände wie im Wilden Westen …
Im Jahr 2000 wurden Ordensschwestern auf einer Brücke von angeheuerten Schlägern der Fazendeiros angegriffen und ihr Fahrzeug in den Fluss gestoßen. 2004 wurden drei Missionare für vier Tage entführt. Im November desselben Jahres wurden Gemeinschaftshütten der Indianer und die Kirche niedergebrannt.

Kurz nach der Amtsübernahme durch Dom Roque im Jahr 2005 wurde die gesamte Missionsstation der Consolata-Missionare zerstört. Die Kirche konnte bis jetzt nicht wieder aufgebaut werden …

Und die Politik schaut bei alledem tatenlos zu?
Weil sich in der Politik leider die Stimmung breit macht, man habe den Indianern bei der Einteilung der Reservate zu viel Land zugeteilt. Das habe zur Folge, dass nun die wirtschaftliche Entwicklung behindert sei. Die Spannung ist also immer noch spürbar. Auch wenn in jüngster Zeit keine größeren Übergriffe mehr stattfanden, kann von Frieden keine Rede sein.

Wie versucht die Kirche, mit dieser Situation zurecht zu kommen?
In der Diözese Roraima leben rund 500 000 Menschen: Großgrundbesitzer, Bewohner der Flussufergemeinden und der Hauptstadt Boa Vista sowie die Indianer. Die Diözese ist geografisch identisch mit dem Bundesstaat Roraima. Sie hat ungefähr die Fläche Großbritanniens, aber Dom Roque stehen für die Seelsorge nur 36 Priester zur Verfügung, acht davon sind Diözesanpriester. Hinzu kommen 38 Ordensschwestern.

Die Kirche versucht, das Beste daraus zu machen. Sie bringt den Menschen neben der Frohen Botschaft auch eine Gesundheitsversorgung, Bildung und soziale Hilfsprogramme.

Was ist die größte Herausforderung für die Seelsorge?
Roraima ist arm. Fast zwei Drittel der Bevölkerung leben von staatlicher Hilfe oder in Unterbeschäftigung. Rund ein Viertel der Bevölkerung kann weder lesen noch schreiben. Über 500 Familien leben in Flussufergemeinden, die praktisch nicht erreichbar sind. Schlechte Straßen und unberechenbare Flüsse machen gerade im Winter das Vorankommen fast unmöglich.

Aber auch sonst machen die enormen Distanzen auf unwegsamem Gelände die pastorale Arbeit zu einem manchmal sehr gefährlichen Abenteuer. Die größte Herausforderung für die Missionare besteht deshalb ganz einfach in der Bereitstellung der entsprechenden Fahrzeuge, bis hin zu Geländewagen.

Eine weitere Herausforderung der Diözese ist die enorme Zuwanderung. Viele Migranten aus anderen armen Landesteilen wollen an den Schätzen des Nordens teilhaben und unterschätzen dabei die schweren Lebensbedingungen. Vor dreißig Jahren lebten in der Region noch 41 000 Menschen, inzwischen hat sich ihre Zahl mehr als verzehnfacht.

Das Interview führte Karl-Georg Michel.