Sommerdiplomatie im Vatikan

Mehr als nur heiße Luft

Traditionell sind die drückenden römischen Augustwochen auch für die Kurie eine Zeit verminderter Aktivitäten.

Autor/in:
Burkhard Jürgens
Papst Franziskus wechselt sein Pileolus / © Alessandra Tarantino (dpa)
Papst Franziskus wechselt sein Pileolus / © Alessandra Tarantino ( dpa )

Doch es gibt Anzeichen, dass der diplomatische Apparat des Heiligen Stuhls im Hintergrund weiterläuft und zum Herbst an Drehzahl zunimmt. So empfing Papst Franziskus vergangene Woche UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet. Wie üblich, wenn es sich nicht um Staatsspitzen handelt, veröffentlichte der Vatikan kein Kommunique.

Laut lateinamerikanischen Medien ging es bei dem halbstündigen Austausch neben der allgemeinen Lage in Lateinamerika und der Pandemie um die politische und gesellschaftliche Krise in Venezuela - ein Land, in dem sich die katholische Kirche wiederholt als Mittlerin anbot und auf Reformen drängte.

Bachelet und Franziskus sind einander nicht unbekannt. Als Staatspräsidentin Chiles reiste Bachelet im Juni 2015 in den Vatikan, in der gleichen Rolle empfing sie im Januar 2018 den aus Argentinien stammenden Papst in Santiago. Inhaltlich ziehen die beiden teils an einem Strang, etwa mit ihrer Kritik an überfüllten Haftanstalten, die den Gefangenen keinen zureichenden Schutz vor dem Coronavirus bieten.

Schweigen zum Thema Hongkong

In anderen Fällen äußert sich Bachelet unbefangener, beispielsweise zum Schutz der Bürgerrechte in Hongkong. Zu diesem Thema schwiegen Franziskus und der Heilige Stuhl bislang.

Als Grund liegt nahe, dass der Vatikan eine am 22. September anstehende Erneuerung des "vorläufigen Abkommens" mit Peking nicht gefährden will. Wenngleich die Verhandlungen angeblich von chinesischen Hackerangriffen auf vatikanische Computer seit Mai begleitet waren, soll es doch "eine Reihe positiver Signale" für eine Fortsetzung des Vertrags geben; das berichtete die Zeitschrift "National Catholic Reporter" (Montag) unter Berufung auf den italienischen China-Experten Francesco Sisci.

Beide Seiten haben ein Interesse daran, die Spaltung chinesischer Katholiken in eine regierungsnahe "Patriotische Vereinigung" und eine romtreue Untergrundkirche zu überwinden - fragt sich nur, mit welchen Mitteln und mit welchem Einfluss. Laut Informationen von "National Catholic Reporter" spielen in den Verhandlungen vermutlich auch der Status der katholischen Gemeinde in Hongkong und die diplomatischen Beziehungen des Heiligen Stuhls zu Taiwan eine Rolle.

Kritik an Wahl in Belarus

Weniger Scheu zeigte der Vatikan angesichts der Proteste nach der belarussischen Präsidentschaftswahl, die von Fälschungsvorwürfen überschattet ist. Papst Franziskus verlangte beim Mittagsgebet am Sonntag "Respekt vor der Gerechtigkeit und dem Recht" in Belarus.

Auch wenn er im gleichen Zug zu Dialog und Gewaltverzicht aufrief, klang dies nicht wie eine Aufforderung an die Demonstranten in Minsk, brav nach Hause zu gehen. Der vatikanische Fernsehdienst blendete Besucher auf dem Petersplatz mit weiß-rot-weißen Fahnen der belarussischen Oppositionsbewegung ein; sie begrüßten den Appell des Papstes mit Jubel.

Deutlicher noch stellte sich der griechisch-katholische Großerzbischof in der Ukraine hinter den Widerstand gegen Präsident Alexander Lukaschenko. Die Protestierenden im Nachbarland kämpften für ihre Rechte und Freiheit, schrieb Swjatoslaw Schewtschuk an den Minsker Erzbischof Tadeusz Kondrusiewicz. Weiter mahnte er ein "Ende der Gewalt gegen Unschuldige" an und warnte vor externer Einmischung.

Dass das Portal "Vatican News" den Brief Schewtschuks in Zitaten veröffentlichte, kann als Billigung durch das Staatssekretariat gelten.

Und dann sind auch noch US-Wahlen

Bisweilen sind es solche vatikanischen Medienbeiträge, die anzeigen, welche diplomatischen Süppchen köcheln und wie sie gewürzt sind. Der "Osservatore Romano" verzeichnete in den vergangenen Wochen nüchtern Widersprüche zwischen Aussagen von US-Präsident Donald Trump zur Corona-Pandemie einerseits und Auskünften von Experten andererseits; er brachte Covid-19-Fallzahlen als Schlagzeile, berichtete über Joe Bidens Ernennung von Kamala Harris als Vize-Kandidatin und ihre Attacke auf Trump. Selbstverständlich enthält sich die Zeitung jeder Wahlempfehlung; aber eine Sichtweise des Vatikan deutet sich an.

Diplomatische Verstärkung erhält die Nuntiatur in Lissabon. Mauricio Rueda Beltz, bisher Reisemarschall des Papstes, räumte sein Büro im Vatikan und wechselte nach Portugal. Der Posten des Cheforganisators für apostolische Reisen wird bis auf weiteres nicht neu besetzt - unter den derzeitigen Bedingungen sind auf Monate hinaus keine Auslandsbesuche von Franziskus absehbar. Selbst der Umzug von Rueda Beltz geschah dem Vernehmen nach früher als geplant - aus Sorge, dass das Reisen in Europa wieder schwieriger werden könnte. Auch dies ein Aspekt von Diplomatie in Corona-Zeiten.

 

Michelle Bachelet, Hohe Kommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen, und Papst Franziskus / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Michelle Bachelet, Hohe Kommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen, und Papst Franziskus / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )

 

Proteste in Hongkong / © Kim Hong-Ji (Reuters)
Proteste in Hongkong / © Kim Hong-Ji ( Reuters )

 

Proteste in Belarus / © Dmitri Lovetsky (dpa)
Proteste in Belarus / © Dmitri Lovetsky ( dpa )
Quelle:
KNA