Gänswein zweifelt an "Glaubenskraft" der deutschen Kirche

"Dann ist Feuer im Dachstuhl"

Es ist eine scharfe Diagnose der kirchlichen Situation in Deutschland, die Erzbischof Gänswein formuliert: Zwar gebe es eine große Zahl treuer Katholiken, aber auch Funktionäre mit einer Agenda und ohne Glaubensfreude.

Autor/in:
Norbert Demuth
Erzbischof Georg Gänswein / © Harald Oppitz (KNA)
Erzbischof Georg Gänswein / © Harald Oppitz ( KNA )

Kurienerzbischof Georg Gänswein ist unzufrieden mit dem Kurs der katholischen Kirche in Deutschland. Das machte der Privatsekretär des emeritierten Papstes Benedikt XVI. am Donnerstagabend in Frankfurt deutlich. Dort rief er die Kirche in der Bundesrepublik jenseits aller "Maßnahmen und Initiativen" zuallererst zu einer Vertiefung des Glaubens auf: "Wenn die Glaubenskraft der Kirche in Deutschland so groß ist wie die Finanzkraft, wäre alles in Ordnung."

Gänswein äußerte sich vor Journalisten nach der Vorstellung seines Buches "Vom Nine-Eleven unseres Glaubens" (fe-medienverlag) im Haus des Deutschen Ordens. Er verwies auch auf den Brief von Papst Franziskus vom Juni, der die Kirche in Deutschland zur Einheit mit der Weltkirche gemahnt hatte. "Es kam noch nie vor, dass ein Papst einen Brief nicht nur an die Bischöfe, sondern an das gläubige Volk Gottes in Deutschland geschrieben hat", sagte Gänswein, der auch Präfekt des Päpstlichen Hauses ist.

"Dann ist Feuer im Dachstuhl"

Aus dem Brief spreche die große Sorge von Franziskus, dass eine Neuevangelisierung oder eine Glaubensvertiefung nicht wirklich angestrebt werde. Und wenn man sehe, welche Maßnahmen und Initiativen in Deutschland ergriffen würden: "Ist da tatsächlich der wunde Punkt getroffen oder geht man sehenden Auges daran vorbei?"

Gänswein betonte: "Wenn wir nicht mit der Glaubensvertiefung anfangen, laufen wir Gefahr, dass die Enttäuschung in zwei Jahren noch größer ist als heute." Er fügte hinzu: "Dann ist Feuer im Dachstuhl."

Er sehe zwar eine große Zahl treuer Katholiken in Deutschland, jedoch auch kirchliche "Funktionäre", die eine bestimmte Agenda verfolgten, aber keine "innere Glaubensfreude" ausstrahlten. Diese "Funktionäre" führten das große Wort, seien aber "nicht der Lautsprecher der Mehrheit der Katholiken". Namen nannte der Erzbischof hier nicht.

Auf die Frage, ob die deutsche Kirche auf eine Konfrontation mit Rom zusteuere und es irgendwann zu einer Spaltung der Kirche kommen könnte, sagte Gänswein: "Ich hoffe es nicht." Der Fragesteller sei aber nicht der einzige, der diese Dramatik erkannt habe.

Historisch keine Ausnahme

So dramatisch die Krise derzeit sei, so sei sie historisch doch keine Ausnahme, gab Gänswein zu bedenken. Ein Blick in die Geschichte zeige, dass die Kirche in Krisenzeiten oft "durchgetragen" worden sei "von ganz einfachen Menschen - gegen Mehrheiten von Bischöfen", so der Geistliche: "Da gab es teilweise Episkopate, die voll auf dem Holzweg waren."

Das Buch Gänsweins wurde von dem äthiopisch-deutschen Publizisten Prinz Asfa-Wossen Asserate vorgestellt, dem Großneffen des letzten äthiopischen Kaisers Haile Selassie. Im Vorwort des Buches nennt er den Erzbischof "eine der einflussreichsten Persönlichkeiten der katholischen Weltkirche". Gänsweins Maxime sei es, "der Diktatur des Zeitgeists zu widerstehen und entschieden aus der Wahrheit des christlichen Glaubens heraus zu leben". Das Buch enthält 19 Predigten, Vorträge und Interviews Gänsweins aus den Jahren 2014 bis 2019.

Der Titel "Vom Nine-Eleven unseres Glaubens" bezieht sich auf eine in dem Band aufgeführte Äußerung Gänsweins von 2018, wonach die Missbrauchsskandale die katholische Kirche in ähnlichem Maß erschüttert hätten wie die Terrorattacken vom 11. September 2001 die USA.

Kritik an Film über Benedikt XVI.

Scharf kritisierte Gänswein am Donnerstag den neuen Dokumentarfilm "Verteidiger des Glaubens" über Benedikt XVI. und die Missbrauchskrise in der katholischen Kirche. Deutscher Kinostart des bereits uraufgeführten Films ist der 31. Oktober. Gänswein sagte in Frankfurt auf die Frage, was er von dem Film des britisch-deutschen Regisseurs Christoph Röhl halte: "Das ist eine Sauerei, ein Debakel - ich kann es nicht anders sagen."

Die These des Films sei letztlich, dass Benedikt XVI. nicht Verteidiger des Glaubens, sondern Ursache des Missbrauchs sei. Gänswein, der in dem Dokumentarfilm zu Wort kommt, sagte weiter, er könne vor diesem "geschickt gemachten", "nicht objektiven", "miserablen" Film nur warnen.


Quelle:
KNA