In einem kurzen Beitrag für die neueste Ausgabe der "Herder Korrespondenz" kritisiert Benedikt XVI., dass sein im April erschienener Aufsatz zum kirchlichen Missbrauchsskandal weithin falsch aufgenommen worden sei.
"Entfremdung vom Glauben ist das zentrale Problem"
Viele Reaktionen auf seine Äußerungen bestätigten ihn in seiner Sicht, dass Gottlosigkeit und Entfremdung vom Glauben das zentrale Problem seien, fügte er hinzu. Die Debatten zeigten für ihn "die Ernsthaftigkeit einer Situation auf, in der das Wort Gott in der Theologie sogar vielfach am Rand zu stehen scheint".
Der emeritierte Papst hatte in einem im April im "Klerusblatt" erschienenen Aufsatz betont, der zentrale Grund für das Ausmaß der Missbrauchskrise liege "in der Abwesenheit Gottes". Benedikt XVI. fügte hinzu: "Auch wir Christen und Priester reden lieber nicht von Gott, weil diese Rede nicht praktisch zu sein scheint." Eine Gesellschaft mit einem abwesenden Gott sei aber eine Gesellschaft, in der "das Maß des Menschlichen" immer mehr verloren gehe.
Die anschließende Debatte in Öffentlichkeit, Kirche und Theologie hatte sich aber vor allem auf die Äußerungen des früheren Papstes zur Rolle der 68er-Bewegung konzentriert, die er in demselben Beitrag gemacht hatte.
"Physiognomie der 68er Revolution"
Dazu hatte Benedikt XVI. erklärt, es habe zur "Physiognomie der 68er Revolution" gehört, dass auch Pädophilie erlaubt sei. In derselben Zeit habe sich ein Zusammenbruch gesellschaftlicher Werte und auch ein "Zusammenbruch der katholischen Moraltheologie" ereignet, der auch Teile der Kirche "wehrlos gegenüber den Vorgängen in der Gesellschaft" gemacht habe.
Auch in verschiedenen Priesterseminaren "bildeten sich homosexuelle Clubs, die mehr oder weniger offen agierten und das Klima in den Seminaren deutlich veränderten".
Kritiker warfen dem früheren Kirchenoberhaupt daraufhin vor, die Moderne nur als Verfallsgeschichte zu beschreiben und eigene Vorurteile zu pflegen. Homosexualität an sich sei keine Ursache für Kindesmissbrauch. Zudem habe es in der gesamten Kirchengeschichte und auch in Gesellschaften, die von der 68er-Bewegung nicht berührt worden seien, Missbrauch gegeben. Auch von einem Verfall der katholischen Moraltheologie könne keine Rede sein. Normen unterlägen aber einem Wandel. (KNA/Stand:2708.2019)
27.08.2019
Benedikt XVI. fühlt sich missverstanden. Im April erschien sein Aufsatz zum kirchlichen Missbrauchsskandal. Es hagelte Kritik. Jetzt schreibt er in der "Herder Korrespondenz", es sei weithin falsch aufgenommen worden. Tut er sich damit einen Gefallen?
DOMRADIO.DE: Im April hatte der emeritierte Papst Benedikt XVI. die 1968er-Bewegung für die Folgen der Missbrauchskrise mitverantwortlich gemacht. Dafür war er kritisiert worden, unter anderem von Professorin Birgit Aschmann (Deutsche Historikerin und Professorin für Europäische Geschichte des 19. Jahrhunderts an der Humboldt-Universität in Berlin sowie Mitglied im Hauptausschuss des Zentralkommitees der Deutschen Katholiken, Anm. d. Red.). Was sind denn ihre Argumente?
Dr. Volker Resing (Chefredakteur Herder Korrespondenz): Birgit Aschmann zeichnet historisch noch einmal die 1968er-Bewegung nach und auch die sexuelle Revolution, auf die sich Benedikt bezieht. Sie zeigt eigentlich sehr schön: Das wahre katholische Leiden 1968 kam natürlich nicht durch die Auswüchse einer Jugendbewegung, sondern durch die Enzyklika "Humanae Vitae" auf. Da haben selbst gestandene Katholiken, die unverdächtig waren, in Woodstock mitzutanzen, gesagt: Hier wird mit einer katholischen Morallehre in das Privateste des Lebens eingegriffen. Es schien völlig an der Realität vorbeizugehen. Aschmann schreibt, wenn Benedikt XVI. sich mit den 1968ern beschäftigt, dann könne er doch nicht einfach daran vorbeigehen.
DOMRADIO.DE: Und damit macht Birgit Aschmann aber genau das, was viele Kritiker dieses Benedikt-Textes auch machen: Sie stürzen sich auf diesen einen Aspekt, die Beziehung der 1968er Generation zum sexualisierten Missbrauch. Das war aber nur ein kleiner Teilaspekt dieses Textes von Papst Benedikt. Grundsätzlich ging es ihm aber um die Abwesenheit Gottes in der Öffentlichkeit der westlichen Gesellschaft. Also hat Birgit Aschmann - wie viele andere Kritiker - Papst Benedikt bewusst missverstanden?
Resing: Das mit dem Missverstehen ist ja so eine Sache. Da verstehen sich manche auch ganz gerne bewusst miss. Und mit Freude reden sie vielleicht manchmal in der innerkatholischen Debatte auch aneinander vorbei. Das mag man vielleicht auch dem Theologen Ratzinger vorwerfen, dass er sich in seiner Replik nun auf das andere Problem gar nicht bezieht. Er setzt sich beim Thema 1968er und Sexualmoral mit den Kritikern nicht auseinander. Er schreibt jetzt interessanterweise aber auch, der Text von Aschmann könnte zum weiteren Nachdenken anregen. Man würde natürlich gerne dem emeritierten Papst dabei zuhören, wie denn das weitere Nachdenken bei ihm aussieht.
DOMRADIO.DE: Der emeritierte Papst wirft seinen Kritikern vor, sie würden die Kernaussage seines Textes, nämlich die Folgen einer Abwesenheit Gottes in der Gesellschaft, gar nicht aufgreifen. Frau Aschmann benutzt in ihrem Text das Wort "Gott" in der Tat nicht ein Mal.
Resing: Wenn man den Text von Benedikt liest, wird dort auch in anekdotischer Form vom Niedergang der Gesellschaft gesprochen. Man fragt sich natürlich, wo denn da die Hoffnung eines Christenmenschen bleibt. Wo ist da die Liebe zu den Menschen, die Gott uns schenkt, wenn so eine Verfallsgeschichte der Gesellschaft gezeichnet wird und wenn anscheinend überhaupt nicht gesehen wird, dass es auch das Wirken Gottes ist, wenn es zum Beispiel zu einer Emanzipationsbewegung der Frau kommt. Von Gott reden ist natürlich richtig und wichtig. Aber es ist dann doch sehr verkürzt, wenn er sich in einem reinen Kulturpessimismus ergeht. Aber es bringt jetzt wenig, der einen jetzt das größere Defizit nachzuweisen als dem anderen.
DOMRADIO.DE: Tut sich der emeritierte Papst einen Gefallen, wenn er die Diskussion jetzt erneut aufnimmt?
Resing: Wenn er wirklich an einer Diskussion interessiert ist, dann ist er in jedem Alter und in jeder Position auch in der Lage, weiterhin Debatten zu führen. Es wird dann immer gesagt, er habe doch das Schweigen versprochen und nun solle er das Schweigen auch halten. Auch das ist natürlich wieder eine Interpretation einer seiner Aussagen. Ob er nun wirklich das Schweigen versprochen hat, als er von Rückzug sprach? Es gibt eine Debatte und die muss man führen. Er ist sich auch nicht zu schade, in diese Debatte einzutreten. Allerdings ist es natürlich irritierend, dass es so immer so überraschend kommt und man nicht genau weiß, wann und wie er sich äußert.
DOMRADIO.DE: Wie erreicht Sie so ein Brief des emeritierten Papstes? Bekommt man da Post aus Rom?
Resing: Der emeritierte Papst hat sich schon einmal bei uns zu Wort gemeldet, damals auch mit einem längeren Beitrag im letzten Dezember. Da gab es tatsächlich noch Post. Inzwischen ist das schon so eingespielt, dass eine Mail reicht. Und wir haben uns gefreut, eine E-Mail von ihm zu bekommen.
Das Interview führte Johannes Schröer.
In einem kurzen Beitrag für die neueste Ausgabe der "Herder Korrespondenz" kritisiert Benedikt XVI., dass sein im April erschienener Aufsatz zum kirchlichen Missbrauchsskandal weithin falsch aufgenommen worden sei.
"Entfremdung vom Glauben ist das zentrale Problem"
Viele Reaktionen auf seine Äußerungen bestätigten ihn in seiner Sicht, dass Gottlosigkeit und Entfremdung vom Glauben das zentrale Problem seien, fügte er hinzu. Die Debatten zeigten für ihn "die Ernsthaftigkeit einer Situation auf, in der das Wort Gott in der Theologie sogar vielfach am Rand zu stehen scheint".
Der emeritierte Papst hatte in einem im April im "Klerusblatt" erschienenen Aufsatz betont, der zentrale Grund für das Ausmaß der Missbrauchskrise liege "in der Abwesenheit Gottes". Benedikt XVI. fügte hinzu: "Auch wir Christen und Priester reden lieber nicht von Gott, weil diese Rede nicht praktisch zu sein scheint." Eine Gesellschaft mit einem abwesenden Gott sei aber eine Gesellschaft, in der "das Maß des Menschlichen" immer mehr verloren gehe.
Die anschließende Debatte in Öffentlichkeit, Kirche und Theologie hatte sich aber vor allem auf die Äußerungen des früheren Papstes zur Rolle der 68er-Bewegung konzentriert, die er in demselben Beitrag gemacht hatte.
"Physiognomie der 68er Revolution"
Dazu hatte Benedikt XVI. erklärt, es habe zur "Physiognomie der 68er Revolution" gehört, dass auch Pädophilie erlaubt sei. In derselben Zeit habe sich ein Zusammenbruch gesellschaftlicher Werte und auch ein "Zusammenbruch der katholischen Moraltheologie" ereignet, der auch Teile der Kirche "wehrlos gegenüber den Vorgängen in der Gesellschaft" gemacht habe.
Auch in verschiedenen Priesterseminaren "bildeten sich homosexuelle Clubs, die mehr oder weniger offen agierten und das Klima in den Seminaren deutlich veränderten".
Kritiker warfen dem früheren Kirchenoberhaupt daraufhin vor, die Moderne nur als Verfallsgeschichte zu beschreiben und eigene Vorurteile zu pflegen. Homosexualität an sich sei keine Ursache für Kindesmissbrauch. Zudem habe es in der gesamten Kirchengeschichte und auch in Gesellschaften, die von der 68er-Bewegung nicht berührt worden seien, Missbrauch gegeben. Auch von einem Verfall der katholischen Moraltheologie könne keine Rede sein. Normen unterlägen aber einem Wandel. (KNA/Stand:2708.2019)