Favelas für Olympische Spiele abgerissen

"Ich wohne jetzt in der Kirche"

Am Montag wurde der Olympiapark in Rio de Janeiro feierlich eröffnet. Ein Fest mit Schattenseiten. Denn für die modernen Wettkampfstätten hat die Stadt einige Favelas abreißen lassen. Zum Beispiel die Vila Autódromo.

Zertrümmerte Häuser in der Favela / © Veronika Seidel Cardoso (DR)
Zertrümmerte Häuser in der Favela / © Veronika Seidel Cardoso ( DR )

Die Bulldozer haben ganze Arbeit geleistet. Die meisten der  kleinen Wohnhäuser und Geschäfte der Vila Autódromo liegen mittlerweile in Trümmern. Hier und da ragt noch ein altes Waschbecken oder eine Tür aus den grauen Schutthaufen hervor. Baustaub liegt in der Luft. Auch das Haus von Luís Cláudio Silva befindet sich unter diesen Trümmern. Es wurde Anfang März abgerissen. Der 52-Jährige steht vor der kleinen Kirche der Favela, die bis jetzt noch steht. Er ist fassungslos, dass die Regierung ihm sein zu Hause nahm – die Erinnerung an diesen Tag schmerzt.

„Ich habe 22 Jahre gebraucht, um mein Haus aufzubauen – nun ist es mit Gewalt zerstört worden. Es gab einen fristlosen Enteignungsbefehl, meine Möbel wurden auf die Straße gebracht. Ich hatte nur die Hilfe der katholischen Kirche. Jetzt wohne ich dort, ich weiß nicht, wohin."

Nur Hilfe von der Kirche

Ursprünglich wurde den Bewohnern der Vila Autódromo versprochen, die Favela in die Planungen des olympischen Dorfes einzubeziehen und zu urbanisieren. Laut Orlando Silva Santos Junior, Professor beim Institut für Stadtplanung der Bundesuniversität Rio, hätte dieser Plan auch problemlos funktionieren können, denn im heutigen Olympia-Stadtteil Barra da Tijuca gäbe es genug Platz für alle, sagt er.

"Der Fall der Vila Autódromo ist ein Skandal. Es gibt keine gesetzliche Grundlage,  die die Entfernung der Vila Autódromo rechtfertigen kann. Die Favela war gesetzlich konsolidiert, friedlich, und ist ohne erklärbaren Grund abgerissen worden.“

Opfer von Immobilien-Haien

Tatsächlich galt die Vila Autodromo immer als Vorzeige-Favela. Hier gab es keine Bandenkriminalität, keine Drogen und keine Schießereien. Für Luís Cláudio Silva ist klar, dass er und die anderen Bewohner des Viertels Opfer von Immoblienhaien geworden sind: „Die Olympischen Spiele sind nur eine Ausrede, um die Favela zu entfernen. Unsere Rechte werden nicht respektiert. Es geht um einen Austausch von Gefälligkeiten zwischen dem Bürgermeister und einigen Baufirmen. Nach den Olympischen Spielen sollen hier nämlich Luxus-Wohnparks entstehen. Unsere Favela würde diese neuen Immobilien nur abwerten.“

Viele Familien haben die Vila Autodromo bereits verlassen und sind in Hochhäuser gezogen, die die Stadt hat bauen lassen – irgendwo in einem Vorort, Stunden von Barra da Tijuca entfernt. Luís und seine Familie leisten noch Widerstand und akzeptieren auch die kleine Entschädigungszahlung nicht, die ihnen die Regierung angeboten hat.

Noch gibt es Widerstand

So lange es geht, wohnen sie weiter in der Kirche, die, so hat es Rios Bürgermeister zumindest versprochen, nicht abgerissen werden soll. Professor Santos Junior hofft, dass dieses Versprechen gehalten wird. Er fordert die Stadt Rio de Janeiro auf, die Rechte der Favela-Bewohner endlich zu achten und ihnen zumindest hohe Entschädigungen zu zahlen. Obwohl selbst das schwierig werden könnte.

„Die Regierung hat kaum Informationen. Es gibt keine Listen mit den Namen der Menschen, die umgesiedelt wurden. Man muss aber herausfinden, wo diese Familien jetzt sind und wie man sie entschädigen kann. Die Vila Autódromo muss außerdem dort bleiben. Sie muss verstädtert werden. Die Familien, die zurückkehren wollen, sollten auch die Möglichkeit dazu haben.“

Und nach Olympia?

Von den einst etwa 600 Häusern der Vila Autódromo in Rio de Janeiro sind nur noch wenige übrig. Einige Bewohner, wie Luís und seine Familie, harren noch in ihren Häusern aus und pochen auf ihre Rechte. Das Interesse für die Olympischen Spiele haben sie schon längst verloren. Sie wollen nur noch wissen, was nach dem großen Sportevent mit ihrer Favela passiert.


Die Kirche der Favela steht noch / © Veronika Seidel Cardoso (DR)
Die Kirche der Favela steht noch / © Veronika Seidel Cardoso ( DR )

Luís Cláudio Silva  / © Veronika Seidel Cardoso (DR)
Luís Cláudio Silva / © Veronika Seidel Cardoso ( DR )

Prof. Orlando Santos Junior / © Veronika Seidel Cardoso (DR)
Prof. Orlando Santos Junior / © Veronika Seidel Cardoso ( DR )
Quelle:
DR