Wahl zwischen Ethik und Religion verringert laut Studie Religiosität

Folgen auf Arbeitsmarkt und Gesellschaft

Menschen, die in der Grundschule zwischen Ethik und Religion wählen konnten, sind einer Studie zufolge weniger religiös. Die Wahlmöglichkeit zwischen den Fächern zeigt auch gesellschaftliche und wirtschaftliche Effekte.

Autor/in:
Anita Hirschbeck
Schulunterricht / © Julia Steinbrecht (KNA)
Schulunterricht / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Religion oder Ethik? Die Frage, welchen Unterricht Grundschulkinder erhalten, scheint einer Studie zufolge nicht ganz unwichtig zu sein. Wirtschaftswissenschaftler des Münchner ifo-Institus haben herausgefunden, dass die Wahlmöglichkeit zwischen den Fächern Religion oder Ethik sowohl persönliche religiöse Einstellungen als auch gesellschaftliche Haltungen beeinflussen kann.

Sogar auf die Wirtschaft gebe es einen Effekt, was zum Beispiel Arbeitsmarktbeteiligung und Löhne betrifft.

"Einmalige" Rahmenbedingungen

Das ifo-Team bezieht sich auf Umfragedaten von mehr als 58.000 Erwachsenen, die zwischen 1950 und 2004 in Westdeutschland eingeschult wurden. Von "einmaligen" Rahmenbedingungen schreiben sie in ihrer auf Englisch verfassten Untersuchung. Die westdeutschen Bundesländer ersetzten den verpflichtenden Besuch von Religionsunterricht nämlich zu unterschiedlichen Zeitpunkten durch eine Wahlmöglichkeit zwischen Religions- und Ethikunterricht. Als "kleines Bildungslabor innerhalb eines Landes" lobt Volkswirt Benjamin Arold den Föderalismus.

Die Forschenden verglichen zunächst Alterskohorten innerhalb eines Bundeslandes und dann Ergebnisse verschiedener Bundesländer. Bayern führte die Wahlmöglichkeit zwischen Ethik und Reli zum Beispiel 1972 ein. Das ifo-Team schaute sich also an, wie religiös Erwachsene waren, die unmittelbar vor und nach 1972 eingeschult wurden. Dann verglich es diese Daten mit Bundesländern, die später als Bayern reformierten. So arbeitete es sich durch alle Länder und erstellte eine Vielzahl an Vergleichen.

Die Wissenschaftler fanden zum Beispiel heraus, dass Menschen, die in der Grundschule zwischen Reli und Ethik wählen konnten, weniger wahrscheinlich beten, Gottesdienste besuchen oder Mitglied einer Kirche sind. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Erwachsener in Deutschland selbst als religiös bezeichnet, liegt laut Studie bei 52,4 Prozent. Dieser Anteil reduziert sich um 2,9 Prozentpunkte, wenn es in der Schule eine Wahlmöglichkeit gab - und zwar unabhängig davon, ob der Betroffene tatsächlich Ethik oder doch Reli belegte.

Modernisierungsdruck auf den Religionsunterricht

Das ifo-Team vermutet, dass die Einführung des Fachs Ethik einen Modernisierungsdruck auf den Religionsunterricht ausgeübt hat. So habe der bayerische Lehrplan 1967 nicht-christliche Religionen überhaupt nicht erwähnt. 1979 hingegen - also nach der Reform - gab es für die neunten Klassen einen Unterrichtsblock, der sich mit anderen Religionen beschäftigte. Der ältere Lehrplan wollte die Schüler eher zum christlichen Glauben hinführen, während der neuere mehr ein auf christlichen Werten begründetes Verhalten betone, schreiben die Forscherinnen und Forscher.

Keinen Einfluss haben die Reformen laut Studie auf die Lebenszufriedenheit oder auf ethisches Verhalten wie etwa ehrenamtliches Engagement. Die Möglichkeit, zwischen den Fächern zu wählen, sei also "nicht auf Kosten allgemeiner ethischer Einstellungen" gegangen.

In katholisch geprägten Gebieten ist der Rückgang an Religiosität und religiösen Aktivitäten den Daten zufolge größer. Dort waren die Werte vor den Reformen allerdings auch höher, wie Arold zu bedenken gibt. Das Potenzial für Verluste sei also größer gewesen. Vermutlich gebe es aber noch weitere Gründe. "Die Frage geht über unsere Studie hinaus."

Einstellungen zur Gleichberechtigung

Das ifo-Team maß auch Effekte auf Einstellungen zur Gleichberechtigung. So glauben Erwachsene, die zwischen Reli und Ethik wählen konnten, weniger häufig, dass Männer für bestimmte Berufe besser geeignet sind oder dass Frauen mit Technik nicht so gut umgehen können. Sie sind seltener verheiratet, bekommen weniger Kinder, haben öfter einen Job und verdienen mehr Geld. "Insgesamt legen die Ergebnisse nahe, dass die Reform das Leben von Menschen weit über die religiöse Sphäre hinaus beeinflusste", so die Studie.

Wobei Arold erklärt, dass die Wahlmöglichkeit zwischen zwei Fächern natürlich nicht der einzige Anstoß für bestimmte Entwicklungen ist.

Unter anderem spielten Globalisierung, Digitalisierung und auch Kirchenskandale eine Rolle. Insgesamt weisen die Studienergebnisse für den Volkswirtschaftler über das Thema Religiosität hinaus. Die Daten zeigten, dass die Schule - und damit auch die Politik - Werte noch verändern könne.


Quelle:
KNA
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