Bischof Neymeyr mahnt zu mehr Sachlichkeit in Debatten

Lebensgefühl von Ostdeutschen ernst nehmen

Die Politikverdrossenheit vieler Ostdeutscher bereitet auch dem Erfurter Bischof Ulrich Neymeyr Sorge. Bei einem Empfang für Thüringer Politikerinnen und Politiker erklärte er die Hintergründe und warb für eine verbesserte Debattenkultur.

Autor/in:
Gregor Krumpholz
Ulrich Neymeyr, Bischof von Erfurt / © Harald Oppitz (KNA)
Ulrich Neymeyr, Bischof von Erfurt / © Harald Oppitz ( KNA )

Der katholische Erfurter Bischof Ulrich Neymeyr hat für mehr Rücksicht auf das "Lebensgefühl" vieler Menschen im Osten Deutschlands geworben. Sie hätten den Eindruck, von der Politik nicht gehört zu werden und ihre Meinung nicht frei äußern zu können, sagte Neymeyr am Donnerstagabend in Erfurt.

Beim Jahresempfang des Bistums Erfurt für Thüringer Politikerinnen und Politiker erklärte er, nach den tiefgreifenden Veränderungen infolge der Wiedervereinigung hätten ehemalige Bürger der DDR eine "Skepsis" gegenüber dem "System BRD" und der parlamentarischen Demokratie. Die Wahlergebnisse seien zum Teil ein Ergebnis dieses Protestes.

Lebensgefühl bestimmt politische Themenbereiche

Vielen Ostdeutschen sei der Begriff der "political correctness" aus ihrer DDR-Erfahrung "mehr als suspekt", so der Bischof des Bistums Erfurt weiter. Damals hätten die meisten sehr genau gewusst, "wann man seine Meinung offen sagen konnte und wo man sie besser für sich behielt". Sie hätten genau gewusst, "dass ein offenes Wort zur falschen Zeit schlimme Folgen haben konnte". Neymeyr betonte: "Viele haben sich dieses feine Gespür bewahrt und reagieren vorsichtig, wenn Widerspruch allzu mächtig daherkommt."

Das damit verbundene Lebensgefühl habe auch die politischen Themenbereiche Corona, Klima und Islam "geprägt und zum Teil extrem verschärft", so der Bischof. Mit Blick auf den Islam sei das Angstpotenzial "hierzulande größer, nicht obwohl in Thüringen verhältnismäßig wenige Muslime wohnen, sondern weil das so ist".

Soziale Medien erschweren sachliche Diskussion

Der Eindruck, nicht gehört zu werden und seine Meinung nicht sagen zu dürfen, sei eine Herausforderung nicht nur im politischen, sondern auch im privaten Umfeld und - "wenn auch nicht so drastisch" - ebenfalls in der katholischen Kirche. So werde dort die Diskussion, ob das Priesteramt unverheirateten Männern vorbehalten bleiben solle, "äußerst emotional" geführt.

Zugleich erschwere die Debattenkultur in den Sozialen Medien ruhige und sachliche Diskussionen, kritisierte Neymeyr und betonte: "Wir dürfen uns damit nicht abfinden." Es sei eine Aufgabe aller, "diese Lebensgefühle wahrzunehmen, uns für die Menschen dahinter wirklich zu interessieren, ohne dem Gegenüber das Gefühl zu geben, es ohnehin besser zu wissen".

Seelsorgliche Angebote wirken über Konfessionsgrenzen hinaus

Benannt ist der Jahresempfang nach der heiligen Elisabeth von Thüringen (1207-1231), der Patronin des Bistums Erfurt. Sie wird wegen ihres Engagements für arme und kranke Menschen verehrt. In einem Grußwort würdigte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) das Engagement der Heiligen als Vorbild auch in der Pandemie.

Mit ihren karitativen und seelsorglichen Angeboten wirkten die Kirchen weit über ihre Konfessionsgrenzen hinaus. Auch Landtagspräsidentin Birgit Keller dankte den Kirchen für ihren "karitativen Dienst". Dies komme "dem Wohl aller Menschen in Thüringen zu Gute". Besonders wertvoll sei ihre Arbeit dort, "wo sie Nähe in Zeiten der sozialen Distanz vermitteln kann".


Quelle:
KNA
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