Wie gehen Wirtschaft und Kirche zusammen?

"Gott ist keine handhabbare Gewissheit"

In der Wirtschaft wird mit harten Bandagen gekämpft. Immer geht es um die Eigeninteressen großer Konzerne, sollte man meinen. Doch es gibt auch Unternehmen, in denen Glaube und Kirche kein ökonomischer Störfaktor sind. Im Gegenteil.

Als gläubiger Christ schaut Harald Rubner von innen und von außen auf die Kölner Kirche. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Als gläubiger Christ schaut Harald Rubner von innen und von außen auf die Kölner Kirche. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Herr Dr. Rubner, die Boston Consulting Group – kurz BCG – ist eine der weltweit größten Unternehmens- und Strategieberatungen, die Transformationsprozesse begleiten und ein Unternehmen am Ende zu Wachstum führen sollen. Vor vielen Jahren haben Sie innerhalb der BCG einen Gebetskreis ins Leben gerufen, der allein in Deutschland 120 Mitglieder hat und sich sehr regelmäßig über geistliche Impulse austauscht. Wie kamen Sie auf diese Idee?

Dr. Harald Rubner (Managing Director und Senior Partner bei der Boston Consulting Group, neugewählter BKU-Diözesanvorsitzender und ehemaliger Berater des Erzbistums Köln): Als ich einmal für unseren BCG-Newsletter nach meiner täglichen Lektüre befragt wurde, habe ich das Magnificat genannt. Auch wenn man vielleicht erwartet hätte, dass Börsenkurse oder Bilanzen zu meiner Pflichtlektüre gehören. Daraufhin rief mich Bernhard Bonnelli, damals ein Kollege – heute ist er Kabinettschef im österreichischen Bundeskanzleramt – an, und gemeinsam mit unserem Kollegen Stefan Ulrich haben wir dann die Idee zu einem Gebetskreis entwickelt, weil sich herausstellte, dass uns unser Glaube wichtig ist – vor allem eben auch im Alltag.

Alle drei Wochen klinken wir uns seitdem von überall auf der Welt in einen solchen "Call", wie wir dieses Online-Format nennen, ein, um uns über ein Bibelwort auszutauschen und vor diesem Hintergrund unseren Tag zu reflektieren. Selbst wenn ich gerade in Saudi-Arabien oder Südafrika bin, ist mir diese so ganz andere Telefonkonferenz wichtig, zu der ergänzend auch schon mal "Outings" in einem Kloster – also eine Art Auszeit oder Exerzitien – stattfinden.

DOMRADIO.DE: Wie hat man sich das vorzustellen, wenn sich Wirtschaftsfachleute zu einem geistlichen Meeting verabreden?

Rubner: Anfangs waren wir vielleicht gerade mal knapp sieben, acht Teilnehmer im deutschsprachigen Raum. Doch mittlerweile hat der Stein, den wir ins Wasser geworfen haben, Kreise gezogen. Heute sind es etwa insgesamt 120 Mitglieder, von denen sich rund 30 eigentlich immer zu einer solchen Diskussion per Video dazuschalten. Wir sind ökumenisch ausgerichtet und haben sogar schon mal im Kölner Maternushaus getagt. Es bewegt uns einfach, unseren Glauben immer wieder auf den Prüfstand zu stellen und hier einen Denkanstoß zu bekommen, wie unsere Arbeit mit dem Auftrag Jesu in Einklang zu bringen ist. Je größer die Gruppe ist, desto heterogener ist sie natürlich auch – und desto interessanter letztlich. Das Ganze lebt von der Mund-zu-Mund-Propaganda und sehr persönlichen Statements.

Inzwischen gibt es sogar internationale "Calls" mit Kollegen in Spanien, Großbritannien oder den USA, wo diese Initiative eines gemeinsamen Gebetes zu Beginn eines Tages innerhalb der BCG ebenfalls eine Menge Nachahmer gefunden hat. Ich bin davon überzeugt, dass ein solcher Austausch auch grundsätzlich ein Zukunftsmodell für die Glaubensverkündigung sein könnte. Es entgehen uns große Chancen, wenn wir solche Medien für den spirituellen Bereich nicht nutzen und unseren Glauben über solche Zugänge nicht selbstverständlich in den Alltag integrieren – ganz nach dem ignatianischen Leitwort "Gott in allen Dingen suchen und finden".

DOMRADIO.DE: Unternehmer und Top-Manager, die rund um den Globus fliegen, morgens aber erst einmal miteinander beten. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?

Rubner (lacht): Jesus kam schließlich auch aus einem Unternehmerhaushalt: der Zimmermannswerkstatt Josef & Söhne. Und er hat sich auch seinerseits wieder an Unternehmer und Freigeister gewandt, die er für seine Nachfolge gewinnen wollte – denkt man nur an den Fischer Petrus oder die anderen Jünger, die von ihrem Handwerk leben mussten, die sich mit ihrer Hände Arbeit ihr täglich Brot verdient und ihre Fische auf dem Markt verkauft haben. Die alles riskieren mussten, wollten sie und ihre Familien überleben. Das ist heute doch nicht anders als damals vor 2000 Jahren. Die Zusammenhänge zwischen Unternehmertum und Glauben liegen doch auf der Hand. Wer glaubt, ist kein religiöser Rückversicherer. Er setzt alles auf eine Karte.

Dabei erleben wir tagtäglich unsere eigenen Grenzen: in der Firma und im Glauben. Und trotzdem setzen wir immer wieder viel aufs Spiel. Aber zum Glück stehen wir ja gerade auch mit unserem Glauben nicht alleine da. Wir tauschen uns mit Gleichgesinnten aus – auch wenn wir natürlich grundsätzlich in einem Umfeld leben, das mehrheitlich nicht christlich ist. Wer bei der BCG arbeitet, hat in der Regel zwei Studienabschlüsse, gehört zu den Besten seines Jahrgangs und arbeitet überdurchschnittlich viel. Da geht es schon um ein gewisses Anforderungsprofil. Und trotzdem schließt das nicht aus anzuerkennen, dass da noch etwas anderes, Größeres, über die menschliche Existenz Hinausweisendes ist und man sein Leben primär daran und nicht ausschließlich an den Gesetzen der Marktwirtschaft, des Wettbewerbs und der Konkurrenz ausrichtet.

DOMRADIO.DE: Wirtschaft und Glaube – passt das wirklich zusammen? Geht es in diesem knallharten Business der Wirtschaft nicht vorrangig immer um den "schnöden Mammon", sprich eine Gewinnoptimierung um jeden Preis? Welche Erfahrungen machen Sie mit diesen Menschen, die von sich sagen: Zu allererst einmal aber bin ich Christ und dann erst Ökonom?

Rubner: Für mich ist das überhaupt kein Widerspruch. Für mich ist der Glaube etwas Lebendiges und Gott keine handhabbare Gewissheit. In der Wirtschaft ist das nicht anders: Als Unternehmer hat man nie eine Bestandssicherheit. Auch wenn wir auf maximale Sicherheit geeicht sind, für alles eine Garantie haben wollen, am liebsten alles unter Kontrolle bringen, so ist das für einen Christen doch eher eine untypische Haltung. Denn er lässt sich schließlich auf ein großes Abenteuer mit ungewissem Ausgang ein.

Zugegeben: Die freie Marktwirtschaft hat viele Fratzen und zeigt allzu oft ihr hässlichstes Gesicht. Aber hier muss man doch differenzieren. Meiner Vorstellung und auch der meines Unternehmens entspricht da viel eher die Geschichte des barmherzigen Samariters, der einem anderen aufhilft, sich kümmert, nichts delegiert oder die Fürsorge anderen überlässt, sondern dem Mann am Wegesrand letztlich zutraut, so viel Selbststand aufzubringen, dass er nach seiner Heilung für den weiteren Weg alle seine Kräfte bündelt, um dann alleine zurechtzukommen. Wichtig ist doch, dass jeder Mensch von einem Selbstwertgefühl getragen wird, aus dem sich ein gesundes Selbstbewusstsein entwickelt und er dann selbstständig sein Leben meistert. So kann er in der Gemeinschaft bestehen und neue Impulse setzen. Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, dass ein solcher Selbststand, der einem geradezu Flügel verleiht, ohne das Fundament des Glaubens nicht möglich ist.

DOMRADIO.DE: Können Sie das näher erklären?

Rubner: Wer bei der BCG mitarbeitet, muss mehr machen als nur Profitoptimierung zu betreiben. Das Gesamtpaket muss stimmen: Hier wird darauf geschaut, was jemand auch sonst noch mitbringt. Letztlich besteht das Unternehmen ja aus der Währung Mensch. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen nicht nur mit Einsatz und Leistung, sondern auch mit ihrer Persönlichkeit, ihrer Wertehaltung, überzeugen. Mit anderen Worten, BCG fördert viele Pro bono-Projekte, schaut aber auch darauf, dass wir uns ganz selbstverständlich für die Schwächeren in unserer Gesellschaft einsetzen. Ich selbst engagiere mich bei "Joblinge", einer gemeinnützigen Aktiengesellschaft, die sich an benachteiligte Jugendliche zwischen 15 und 27 Jahren richtet, die bislang durch alle Netze gefallen sind und die wir – mit großem Erfolg – in eine Ausbildung vermitteln. Dann gibt es das Engagement für die internationale Nichtregierungsorganisation "Save the children", die sich weltweit für Kinderrechte einsetzt, oder unsere unternehmenseigene Bildungsinitiative "Business@school", die Oberstufenschülerinnen und -schülern Wirtschaftswissen nahe bringt. Um nur einige zu nennen. Ohne dieses große soziale Engagement ist unsere Firma nicht vorstellbar. Also es geht nicht immer nur um wirtschaftliche Rendite.

DOMRADIO.DE: Über einen Zeitraum von zwei Jahren haben Sie mit einem Team die Kölner Bistumsleitung bei der Implementierung des Pastoralen Zukunftsweges unter der Leitung von Erzbischof Woelki beraten. Nun ist die Kirche ja kein Unternehmen im herkömmlichen Sinne, auf die sich ohne weiteres Modelle und Maßstäbe aus der Wirtschaft übertragen ließen, und auch keine Dienstleistungsorganisation für spirituelle oder sakramentale Daseinsfürsorge. Warum macht es trotzdem Sinn, eine Unternehmensberatung mit ins Boot zu holen?

Rubner: Wir bringen Erfahrungen mit, die hilfreich sein können. Unsere Aufgabe ist die eines Katalysators, der einen Prozess in Gang setzt und etwas zu seiner Optimierung bzw. Beschleunigung beiträgt. Unser Ziel war nicht, aus der Kirche ein Hochleistungsunternehmen zu machen. Vielmehr haben wir festgestellt, dass beide Seiten voneinander lernen können. Der Pastorale Zukunftsweg ist ein sehr mutiges Projekt, hinter dem Kardinal Woelki und Generalvikar Hofmann voll und ganz stehen und in das sie viel Energie investieren. Er ist breit aufgestellt, bindet vor allem viele Laien mit ein und lässt auch kontroverse Diskussionen in großer Offenheit zu. Dabei ist die Kernfrage: Wie wollen wir in Zukunft unseren Glauben leben – angesichts rückläufiger Priesterzahlen und weniger Einnahmen? Außerdem geht es darum, die Identität der Kirche weiterzuentwickeln.

Und wie immer – das ist bei solchen Prozessen aber meistens der Fall und keineswegs kirchenspezifisch – geht es am Ende emotional um organisatorische und finanzielle Fragen, die leider oft überproportional an Bedeutung gewinnen, dem Prozess als solchem aber nicht unbedingt gerecht werden und die Suppe schon mal kräftig versalzen können.

DOMRADIO.DE: Worin konkret bestand Ihre Arbeit?

Rubner: Wir haben zunächst ein Team aufgesetzt, diesen Zukunftsweg strukturiert und ein Kommunikationskonzept entwickelt, das einen regelmäßigen Austausch mit dem Erzbischof, aber auch innerhalb der Gremien vorsieht. Gemeinsam haben wir in vielen Gesprächen dann die Inhalte erarbeitet, wobei es da durchaus kontrovers zuging und wir nicht immer einer Meinung waren. Und es ging um eine Themenpriorisierung: Welche Art von Gottesdiensten soll es geben? Wie kann eine Willkommenskultur aussehen, wie eine zukunftsfähige Pastoral? Was brauchen Pfarrer, damit sie nicht zu Managern ihrer Gemeinden werden, sondern Seelsorge betreiben können? Wie könnte eine Form der Vita communis aussehen, damit sie vor Einsamkeit geschützt sind? Was bedeutet konkret Reevangelisierung? Hier konnten sich viele einbringen und wurden auch gehört, wenn ich nur an die Regionalforen erinnern darf. Es ging um Pfarreistrukturen, um Kitas und um vieles mehr. Die zahlreichen Impulse dazu waren der Taktgeber. Schließlich müssen wir den Tatsachen ins Auge schauen: Wir haben insgesamt rückläufige Zahlen - von Priestern, aber eben auch von Ehrenamtlichen und damit auch viel weniger Ressourcen. Da muss man ganz neu denken und braucht eine völlig andere Organisation. Dabei haben wir assistiert.

DOMRADIO.DE: Nach Beendigung dieses Beratungsprozesses haben Sie jetzt den Blick von außen und von innen. Und Sie lieben Ihre Kirche. Was meinen Sie, von welchen Themen oder Vorstellungen sollte sie sich absehbar lösen?

Rubner: Vor allem davon, zu viele Themen gleichzeitig anzugehen. Weniger ist in diesem Fall mehr. Dieses Bistum hat ein großes Potenzial: Es gibt so viele Menschen, die von der Liebe Christi getragen sind, die Feuer in sich haben und dieses weitertragen. Höchst bedauerlich ist, dass die wirklich wichtige Missbrauchsdebatte die anfängliche Aufbruchstimmung ausgebremst und alles andere übertönt hat. Außerdem muss sich die Kirche davon lösen, dass sie ein Monolith ist, dass die eine Wahrheit, die in ihr ist, in Stein gemeißelt ist. Ja, es gibt fundamentale Glaubenswahrheiten, zum Beispiel dass Jesus Christus der Sohn Gottes ist. Aber es gilt auch: Die Wege des Herrn sind unergründlich. Und der Heilige Geist weht überall.

Daher noch einmal: Es gibt keine handhabbare Gewissheit. Wir wollen Sicherheit, aber die gibt es nicht. Die Kirche, die Gemeinschaft der Gläubigen, sollte jeden Tag mit dem Vorsatz aufstehen, dass sie ihren eigenen Glauben in den Stürmen des Lebens festigen muss. Dabei darf sie darauf vertrauen, dass manche Blume auch dort blüht, wo man es gar nicht erwarten würde. Und noch etwas: Das Prozesshafte ist das Wichtigste, nicht das Ergebnis.

DOMRADIO.DE: Worauf sollte die Kirche bei diesem gemeinsamen Unterwegssein denn am meisten achten?

Rubner: Die Kirche – und damit meine ich besonders unser Erzbistum mit den vielen, vielen Menschen, die sich hier engagieren – sollte, egal wie mühsam sich das gestaltet, an einem Austausch im geschwisterlichen Glauben festhalten. Wie die Emmaus-Jünger sollten wir vielleicht viel öfter sagen: Herr, bleibe bei uns. Und dann ist er da und teilt mit uns sein Brot. Das ist doch das Entscheidende. Mit dem pompösen, machtbewussten Auftreten mancher Amtsträger kann ich persönlich herzlich wenig anfangen. Dafür bin ich viel zu sehr in der katholischen Soziallehre verhaftet. Mir ist so ein barmherziger Samariter da sehr viel näher. Er stärkt das Selbstwertgefühl dessen, der da am Boden liegt. Er schützt dessen Menschenwürde und macht ihn wieder lauffähig. Das Wichtigste, das man einem Menschen mitgeben kann, ist doch, den Diamanten des Glaubens in seinem Herzen zu stärken und ihm Hoffnung zu geben. Denn wer Glaube in seinem Herzen hat, kann fliegen.

Wenn ich aus dem 25. Stock meines Büros im Mediapark auf die Domtürme schaue, dann weiß ich, dass sie für die christliche Wahrheit stehen, die in diesem Stein gewordenen Glaubenszeugnis zum Ausdruck kommt. Aber dass eben auch unzählige Generationen mit ihren ganz unterschiedlichen Vorstellungen an dieser Kathedrale gebaut haben und sich da zu allen Zeiten auch immer etwas bewegt hat.

DOMRADIO.DE: Welche Bedeutung wird Ihrer Meinung nach die Kirche für die Zukunft unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens haben?

Rubner: Die Kirche befindet sich im Moment in einem schwierigen Balanceakt. Viele fragen nach der Veröffentlichung des Missbrauchsgutachten zu Recht nach deren moralischen Legitimierung und Authentizität. Die Missbrauchsfälle haben jeden Christen zutiefst im Mark getroffen. Das ist keine Frage. Aber allein den moralischen Kompass anzulegen und auszublenden, was Kirche jenseits dieser sicher schrecklichen und verstörenden Vergehen auch noch ist, wäre zu einseitig und würde ihr nicht gerecht. Denn sie stärkt ja auch ganz wesentlich die Demokratie, sie setzt sich für Frieden und Minderheiten ein. Ohne sie wäre es sehr schwer, ein gesellschaftliches Miteinander aus uns selbst heraus zu definieren. Da gibt die Kirche schon eine ganz unverzichtbare Orientierung vor.

Das Interview führte Beatrice Tomasetti.


Von seinem Schreibtisch im 25. Stock des Kölnturms hat Harald Rubner die Domtürme immer fest im Blick / © Beatrice Tomasetti (DR)
Von seinem Schreibtisch im 25. Stock des Kölnturms hat Harald Rubner die Domtürme immer fest im Blick / © Beatrice Tomasetti ( DR )
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