Männer sprechen laut Beratungsdienst selten über Probleme

"Männer bagatellisieren ihre Gewalterfahrung"

Seit 20 Jahren bietet der Sozialdienst Katholischer Männer im Erzbistum Köln einen Beratungsdienst für Männer mit Gewalterfahrung an. Noch heute haben viele Männer Probleme, mit anderen über Gewalt zu sprechen.

Männer sprechen laut Beratungsdienst selten über Probleme / © Sam Wordley (shutterstock)
Männer sprechen laut Beratungsdienst selten über Probleme / © Sam Wordley ( shutterstock )

DOMRADIO: Ganz klischeehaft sagt man: "Männer sind stark und können sich selbst helfen". Ist das ein Vorurteil?

Michael Zeihen (Leiter für Männer-, Väter- und Jungenarbeit beim Sozialdienst Katholischer Männer im Erzbistum Köln): Es ist tatsächlich ein Vorurteil. Das Männerbild hat sich in den letzten Jahren wenig gewandelt. Männer sind immer noch schwer zu einer Beratung zu überreden. Sie weigern sich erst Hilfe anzunehmen und versuchen, die Probleme, die sie haben - wenn sie diese denn erkennen - für sich selbst zu lösen. Und es braucht lange, lange Zeit, bis Männer tatsächlich das erste Mal in die Beratung kommen.

DOMRADIO: Es ist also gar nicht so einfach, für diese Männer eine Beratung in Anspruch zu nehmen, obwohl die Hürden an sich niedrig wären. Was sind das denn für Gewalterfahrungen, die Männer so machen?

Zeihen: Wir unterscheiden zwischen körperlicher Gewalt und psychischer Gewalt. Letztlich ist beides Gewalt. Gewalt findet ja immer dann statt, wenn die Grenzen eines Menschen überschritten werden, wenn dessen Freiheit eingeschränkt wird, oder wenn es in der Folge einer Tat zu psychischen oder physischen Schäden kommt. Gewalt kann in psychischer Hinsicht Erniedrigung, Demütigung, Beleidigung und Erpressung sein. Körperliche Gewalt sind körperliche Attacken, harte Schläge, Beißen, Kratzen, also die ganze Palette.

DOMRADIO: Wir leben gerade in einer Zeit, in der Rollenbilder immer wieder kritisch hinterfragt werden. Glauben Sie, das könnte vielleicht auch ein bisschen helfen, dass Männer so ein Angebot wahrnehmen, weil sie eben nicht mehr die Starken sein müssen, die alles mit sich selbst ausmachen?

Zeihen: Dass die Angebote da sind, ist auf jeden Fall wichtig. Wir haben in NRW 16 Beratungsstellen im Hilfe-Netzwerk "Echte Männer reden". In Köln ist eines davon, und wir verzeichnen in allen Beratungsstellen, genauso wie im Hilfe-Telefon eine sehr kontinuierliche Nachfrage, vor allem in den letzten Monaten eine steigende Nachfrage. Es scheint was in Bewegung zu kommen.

Wir sind aber der Meinung, dass da noch viel mehr passieren muss. Es müssen noch mehr Beratungsstellen entstehen, damit noch mehr Männer, vielleicht in etwas entfernteren Regionen, die Möglichkeit haben, eine Beratung für sich in Erwägung zu ziehen.

DOMRADIO: Vielleicht ist es auch so, dass manche Männer Gewalt verdrängen. Wissen die eigentlich, dass sie Gewalt erfahren oder ist das denen gar nicht so bewusst?

Zeihen: Sie sprechen damit einen absolut richtigen Punkt an. Viele Männer, die zu uns kommen, bagatellisieren das, was mit ihnen passiert ist. "Ich bin ja nur geschubst worden", "sie hat mich einmal am Kopf geschlagen", "gut, es war nur die Bürste", "ja, ich bin hingefallen und meine Brille war kaputt".

Es ist ein Teil unserer Arbeit, dass wir mit den Männern erst einmal über Gewalt sprechen. Was heißt Gewalt? Wo beginnt Gewalt? Und dann wird vielen Männern klar, es ist tatsächlich Gewalt geschehen.

DOMRADIO: Haben Männer denn Freunde, mit denen sie ihr Leid austauschen können?

Zeihen: Ich glaube, das unterscheidet Männer und Frauen. Frauen haben oftmals ihre "Best Friends", wie das heute so schön heißt. Bei Männern sind die Freundschaften oftmals oberflächlich. Und selbst wenn ich einen sehr engen Freund habe, heißt das noch lange nicht, dass ich mit ihm über alles spreche, was mich zutiefst bewegt.

Es gibt in der Literatur Hinweise darauf, dass 80 Prozent der Männer keinen besten Freund haben, mit dem sie alles besprechen können. Ob diese Zahl richtig ist, weiß ich nicht. Aber ich glaube, die Realität ist gar nicht so weit davon entfernt.

Männer tun sich schwer mit ihren Freunden das ganz Intime, Persönliche zu besprechen. Vor allem dann, wenn es um das Thema Gewalt geht. Gewalt, die vielleicht von einer Partnerin ausgeübt wurde.

DOMRADIO: Wann kommt für die Männer der Zeitpunkt, sich wirklich Hilfe zu suchen?

Zeihen: Auch eine schwere Frage, wo wir kaum eine einheitliche Antwort haben. In meiner vorherigen Tätigkeit war es so, dass Männer die Beratung in Anspruch genommen und oftmals wirklich von ihren Frauen, Schwestern, Tanten, Kindern in die Beratung geschoben wurden.

In der Gewaltberatung ist es so, dass die Männer irgendwann blockiert sind. Sie wissen also nicht mehr vor und zurück, sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Erst wenn diese Handlungsblockade stattfindet, ist dann der Weg, so paradox das klingen mag, Richtung Beratung frei.

DOMRADIO: Jetzt arbeiten Sie in einer Projektgruppe, die aktiv sowohl jüngere, als auch ältere Männer anspricht. Gibt es da ein Unterschied zwischen den Generationen?

Zeihen: Ja, den gibt es. Der Hauptteil unserer Klientel besteht aus Männern über 40 Jahre. Jüngere Männer kommen kaum und wenn diese Männer kommen, kommen sie mit anderen Problemen zu uns. Wir haben ja Krisenberatung in allen möglichen Lebensbereichen, Beziehungen, Identität, Gesundheit, Sexualität, Erziehung, der Umgang mit Kindern nach Trennung. Das kann aber immer in den Komplex Gewalt münden. Ansonsten sind tatsächlich die Männer, die zu uns kommen, etwas älter als 40 Jahre.

DOMRADIO: Wie können Männer denn von nahestehenden Menschen dazu bewegt werden, sich Hilfe zu holen?

Zeihen: Zum einen muss das Umfeld mitbekommen, dass es eine Notsituation gibt. Wenn Männer nicht reden, wird es für das Umfeld schwer. Das kann irgendwann erkennbar sein, wenn ein Mann sich zurückzieht, wenn man das Gefühl hat, er geht Richtung Depressionen, spricht nicht mehr, kapselt sich ab. Dann sollte man einfach nachfragen und Gespräche anbieten und zuhören. Wenn der Mann dann erklärt, was passiert, dann kann man ihn auch dazu überreden, sich eine Beratung zu suchen. Aber oftmals passiert das nicht.

Wir sehen das bei uns auch im unmittelbaren Zusammenhang. Beispiel Suizide: Drei Viertel aller Menschen, die sich in Deutschland jedes Jahr das Leben nehmen, sind männlich. Und das ist für uns schon ein Grund, diese Zahlen so zu sehen, dass viele Männer sich tatsächlich keine Hilfe holen, sondern irgendwann sagen "es hat alles keinen Sinn mehr, dann mach ich halt Schluss".

DOMRADIO: Wie fängt man sowas am besten an, wenn man jetzt das Gefühl hat, da braucht jemand Hilfe?

Zeihen: Es ist ein Grat. Ich glaube, da muss schon eine gute Beziehung vorliegen, wenn jemand relativ Unbekanntes jetzt auf mich zukommen würde. Ich würde mich gegenüber diesen Menschen auch nur schwer äußern, weil ich diese Menschen nicht kenne.

Wenn es jemand aus dem engsten Umfeld ist, wirklich behutsam darauf ansprechen: "Ich habe das Gefühl, irgendwas ist in der letzten Zeit vielleicht anders als vorher. Magst du drüber reden?" Dann hat der Mann die Option, das Gespräch anzunehmen. Wenn das beim ersten Mal nicht passiert, kann man irgendwann nochmal nachhaken. Aber der Mann muss schon von sich aus kommen können. Ansonsten ist es schwer.

DOMRADIO: Kommen wir mal auf Ihre Arbeit zu sprechen. Wie können Sie denn den Männern helfen, wenn die zu ihnen kommen und das Beratungsangebot nutzen wollen?

Zeihen: Die Männer sind erst einmal heilfroh, wenn sie feststellen, da ist jemand, der zuhört. Dieses Motto "Echte Männer reden" hat auch da seinen Sinn, dass Männer tatsächlich erst einmal lernen, sich zu öffnen, darüber zu berichten, was ihnen passiert ist oder was ihnen weiter passiert. Diese Männer berichten über das, was passiert oder was immer noch passiert, erzählen sehr häufig gefühlsneutral.

Das heißt, wir müssen da in die Tiefe gehen und den Männern klarmachen, was mit ihnen gerade passiert. Und deswegen reagieren sie so, wie sie reagieren. Wenn wir das schaffen, dann haben wir eine große Lockerung erreicht. Und dann können wir mit den Männern auch an der Verfolgung von Zielen oder der Verfolgung von Lösungen arbeiten.

Oftmals wissen die Männer die Lösung, aber sie sehen sie nicht. Das klingt paradox. Eigentlich weiß jeder, der zu uns kommt, was ihm guttut. Aber er kann es nicht sehen. Die Menschen oder die Männer, die sind blockiert für diesen Moment.

DOMRADIO: Inwieweit begleiten Sie die Männer dann? Machen Sie erst mal nur den Anstoß, dass die Männer sich Beratungsangebote suchen oder inwiefern ist da auch eine psychologische oder seelsorgerische Begleitung?

Zeihen: Wir machen keine therapeutische Arbeit. Das ist wichtig zu betonen, auch wenn wir eine Zusatzausbildung haben, die mit therapeutischen Ansätzen arbeitet. Wir sind keine Therapeuten. Wir begleiten Männer schon fast seelsorgerisch. Wir begleiten sie aber auch in einen neuen Abschnitt ihres Lebens.

Wir haben Männer, die mehr als ein Jahr zu uns kommen, weil der Prozess einfach ein langer ist. Und wir haben Männer, die sind nach einem Monat aus der Beratung raus, weil sie für sich einen Weg entdeckt haben. Ansonsten kann jeder Mann, der bei uns in der Beratung war, wieder zu uns kommen.

Das Interview führte Michelle Olion.


Quelle:
DR
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