Das heilige Köln, die Caritas und der Traum vom Kolonialreich

Lorenz Werthmann war kein Einzelfall

Die katholische Kirche erinnert in diesen Tagen an den 100. Todestag von Caritasgründer Lorenz Werthman. Bis heute bleibt sein soziales Engagement vorbildhaft. Eine andere Seite Werthmanns ist hingegen kaum bekannt.

Menschen sind von Sklavenhändlern aus Afrika nach Nord- und Südamerika verschleppt worden / © Morphart Creation (shutterstock)
Menschen sind von Sklavenhändlern aus Afrika nach Nord- und Südamerika verschleppt worden / © Morphart Creation ( shutterstock )

In der langen Geschichte des Kölner Doms ist der 13. März 1903 nur eine Fußnote. Und doch werfen die Ereignisse dieses Tages ein Schlaglicht auf das bis heute wenig bekannte Geflecht zwischen Kirche, Kolonien und Rassismus in Deutschland.

An jenem Tag ließen sich neun Mitglieder der sogenannten Togo-Truppe in der Kathedrale taufen. "Es war ein rührender Anblick, wie die Kinder der Tropen in kindlicher Andacht am Altar niederknieten, um das Sakrament zu empfangen, wie sie laut und freudig ihren Glauben bekannten", berichtete das "Kölner Tageblatt".

Menschen wurden präsentiert wie Tiere im Zoo

Die "Togo-Truppe" gehörte zu jenen Gruppen von Afrikanern aus den damaligen deutschen Kolonien, die mit sogenannten Völkerschauen durch das Land zogen. Sie präsentierten Menschen aus Afrika wie Tiere im Zoo. Dem Kölner Publikum wurden "Deutsch africanische Landsleute" offeriert, "20 der schönsten Mädchen, 4 Frauen, 5 Männer, 1 Kind". Dass die Truppe in der Domstadt Station machte, hatte unter anderem damit zu tun, dass Köln an der Wende zum 20. Jahrhundert zu einer "Kolonialmetropole des Westens" aufstieg, wie Afrikawissenschaftlerin Marianne Bechhaus-Gerst einmal feststellte.

Allein die 18 Schokoladenfabriken, die 1914 in der Domstadt existierten, hatten ein erhebliches Interesse an der wirtschaftlichen Ausbeutung von Überseegebieten. Das Kölner Establishment pflegte einen engen Kontakt zu führenden Protagonisten der gewaltsamen Landnahme. So war der Zuckerfabrikant und Mitbegründer der Gasmotorenfabrik Deutz, Eugen Langen, Schwiegervater von Herrmann von Wissmann. Der wiederum zog unter dem Motto "Finde ich keinen Weg, so bahne ich mir einen" mordend und plündernd durch Ostafrika.

Verstrickung in die Kolonialpolitik 

Was hat das alles mit dem Sozialpionier Lorenz Werthmann zu tun, an dessen 100. Todestag die katholische Kirche in diesen Tagen erinnert? Der Geistliche trieb die Gründung des Deutschen Caritasverbandes am 9. November 1897 in Köln maßgeblich voran. Und war, wie der Historiker Heiko Wegmann in einem Interview der "tageszeitung" (Freitag) festhält, offenbar auch in kolonialen Kreisen unterwegs, um die "katholische Stimme" in der Kolonialpolitik hörbarer zu machen. Die auswandernden Katholiken sollten "deutsch und katholisch" bleiben, so Wegmann. Außerdem eröffneten Kolonialreiche aus Werthmanns Sicht bessere Möglichkeiten, "die Welt zu christianisieren".

Auch nach dem Ersten Weltkrieg und dem Verlust der deutschen Kolonien pochte Werthmann dem Historiker zufolge darauf, dass die Deutschen ein Recht auf ihre Kolonien im Namen des "Kulturfortschritts", der "Heidenbelehrung" und der "Interessengemeinschaft der weißen Rasse" hätten. Zur historischen Wahrheit gehört allerdings auch, dass Werthmann beileibe nicht allein war.

So genoss am Rhein die einflussreiche Deutsche Kolonialgesellschaft großen Rückhalt. Als Vizepräsident engagierte sich noch Anfang der 1930er-Jahre der damalige Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer. Der Afrika-Verein deutscher Katholiken war 1888 in Köln gegründet worden. Ein erstes Ziel: die Abschaffung der Sklaverei. Ein zweites, mindestens ebenso wichtiges: "die Civilisation der Neger durch Bekehrung zum Christenthum". Die Fäden zwischen Politik, Gesellschaft und Kirche hielt der Kölner Domkapitular Franz Karl Hespers in der Hand. Er war es auch, der die Mitglieder der "Togo-Truppe" im Dom taufte.

Von Galen als Meinungsführer der Germanisierung im Baltikum

Auf einen bizarren Seitenstrang der Kolonialbewegung macht Wegmann im taz-Interview auch noch aufmerksam. Während des Ersten Weltkrieges habe es Pläne für eine "Germanisierung" von militärisch besetzten Gebieten im Baltikum gegeben. Organisatorischer Kern war demnach die "Vereinigung für deutsche Siedlung und Wanderung" - Werthmann habe 1916 zu den Gründungsmitgliedern gehört.

Meinungsführer auf katholischer Seite sei Clemens August von Galen gewesen, der spätere Münsteraner Kardinal. "In Litauen und Teilen Lettlands sollte eine deutsch-katholische, bäuerliche Gesellschaft unter Führung des katholischen Adels entstehen." Dieser "Gegenentwurf zu Demokratisierungstendenzen in der deutschen Heimat" wurde allerdings wenig später fallen gelassen, sagt Wegmann. Die Litauer waren "nicht so beglückt, wie man sich das ausgemalt hatte".

Von Joachim Heinz


Quelle:
KNA
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