Debatte um "Rasse"-Begriff im Grundgesetz

Wortklauberei oder Rassismus?

Wegen der aktuellen Debatte über Rassismus überlegen Politiker, den Begriff "Rasse" aus dem Grundgesetz zu streichen. Der Vorschlag ist nicht neu. Woher kommt der Begriff und warum ist er problematisch?

Autor/in:
Mey Dudin und Franziska Hein
Gemeinsam gegen Rassismus / © Tverdokhlib (shutterstock)
Gemeinsam gegen Rassismus / © Tverdokhlib ( shutterstock )

"Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden." So lautet Artikel 3 des Grundgesetzes.

Wegen der aktuellen Debatte über Rassismus infolge des gewaltsamen Todes des Afroamerikaners George Floyd in den USA haben die Grünen-Politiker Robert Habeck und Aminata Touré
gefordert, den Begriff "Rasse" aus dem Grundgesetz zu streichen. Der Vorschlag, den Begriff aus dem Grundgesetz zu streichen, ist nicht neu. Woher kommt der Begriff und warum ist er problematisch?

Wie wird der Begriff "Rasse" verwendet?

Der Begriff "Rasse" hat eine rein biologische Bedeutung, sagt die Freiburger Wissenschaftsforscherin Veronika Lipphardt. Er wurde von weißen Europäern in der Frühen Neuzeit etabliert und als Bezeichnung für Bevölkerungsgruppen mit bestimmten gemeinsamen biologischen Merkmalen verwendet. Er gilt aber wegen der willkürlichen Auswahl von Eigenschaften als überholt.

Statt von "Rasse" sollte man von Volksgruppe, Ethnie sprechen. In der Wissenschaft wird auch der Begriff "biogeografische Herkunft" verwendet. 

Warum ist der Begriff "Rasse" problematisch?

Die Vorstellung, es gebe menschliche Rassen, ist durch die Forschung eindeutig widerlegt. Der Begriff suggeriert, dass "Rassen" anhand biologischer Eigenschaften erkennbar und mit ihnen bestimmte Charakteristika verbunden sind. Abgeleitet wurden daraus scheinbar wissenschaftliche Rechtfertigungen für Rassismus.

Wie hängen "Rasse" und Rassismus zusammen?

In der Jenaer Erklärung von 2019 heißt es: "Das Konzept der Rasse ist das Ergebnis von Rassismus und nicht dessen Voraussetzung." Das Konzept von Rassen/Unterarten in der Biologie in Bezug auf Menschen ist ein "reines Konstrukt des menschlichen Geistes", heißt es in der Erklärung, die 2019 von der Universität Jena zusammen mit der Deutschen Zoologischen Gesellschaft veröffentlicht wurde.

Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass bis heute der Begriff "Rasse" ohne biologische Nachweisbarkeit weiter verwendet wird, um eine bestimmte Hierarchie zwischen Menschen zu etablieren. Willkürliche Merkmale wie Hautfarbe oder Haarstruktur werden als Beleg für die Existenz unterschiedlicher "Rassen" genommen. Heute ist klar, dass es kein einziges Gen gibt, das unterschiedliche "Menschenrassen" begründe, schreiben die Forscher.

Hautfarbe ist angesichts örtlicher Gegebenheiten wandelbar: Die helle Hautfarbe der Menschen im nördlichen Europa ist eine recht junge Entwicklung in der Evolution, jünger als 5.000 Jahre.

Warum steht der Begriff im Artikel 3 des Grundgesetzes?

Der Begriff wurde laut Bundesjustizministerium 1949 im Grundgesetz aufgenommen, um ein Zeichen gegen den Rassenwahn zu setzen - gerade vor dem Hintergrund der Verfolgung von Minderheiten im Nationalsozialismus, insbesondere der Juden. Der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion Jan-Marco Luczak (CDU) argumentiert, dass der Begriff seine "besondere Wirkkraft und Schutzwirkung" daraus zieht, weil er "auch noch so abwegige Vorstellungen von vermeintlich vererbbaren Merkmalen einer bestimmten Menschengruppe erfasst und eine Differenzierung danach verfassungsrechtlich untersagt".

Die Streichung des Begriffs "Rasse" würde seiner Einschätzung nach also den absoluten Diskriminierungsschutz des Artikels sogar vermindern.

Wie wird "Rasse" in der internationalen Politik verwendet?

Die Kulturorganisation der Vereinten Nationen Unesco hat schon 1950 festgehalten, dass die langjährige Verwechslung von Rasse und Kultur sowie falsche Mythen darüber zu Krieg und Genoziden geführt hätten. Eine Richtlinie des EU-Rates vom Juni 2000 zur "Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft" nutzt zwar den Begriff "Rasse".

Im Text steht aber: "Die Europäische Union weist Theorien, mit denen versucht wird, die Existenz verschiedener menschlicher Rassen zu belegen, zurück. Die Verwendung des Begriffs 'Rasse' in dieser Richtlinie impliziert nicht die Akzeptanz solcher Theorien."

Gibt es einen Unterschied zwischen dem deutschen Begriff "Rasse" und dem englischen Begriff "race"?

In der Berichterstattung taucht der Begriff "Rasse" auch auf, wenn über Rassismus-Debatten aus den USA berichtet wird. Begriffe wie "Rassenunruhen" (race oder ethnic riots) sollten aber nicht
wortwörtlich übersetzt werden. "Race" meint im angloamerikanischen Sprachraum die Zuordnung zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Im US-Zensus ordnen sich die Bürger selbst einer dieser Gruppen zu. Die so erhobenen Daten spielen eine wichtige Rolle bei Antidiskriminierungsmaßnahmen.

"Tierrassen" werden in englischsprachigen Ländern hingegen mit dem Begriff "breed" bezeichnet, was im Deutschen "Züchtung" bedeutet.


Quelle:
epd