Tag gegen Kinderarbeit

Mehr Engagement gegen ausbeuterische Kinderarbeit

150 Millionen Kinder auf der Welt müssen arbeiten. Das sind fast zweimal so viele wie die Bevölkerung Deutschlands. Ungefähr 72 Millionen davon arbeiten unter extrem prekären Bedingungen. Und statt weniger gibt es immer mehr Kinderarbeiter.

Ein zehnjähriger Junge arbeitet in einer Fabrik in Dhaka, Bangladesch / © Md Mehedi Hasan (dpa)
Ein zehnjähriger Junge arbeitet in einer Fabrik in Dhaka, Bangladesch / © Md Mehedi Hasan ( dpa )

DOMRADIO.DE: Kinder können schwere körperliche wie seelische Schäden durch die Arbeit davontragen. Dagegen muss dringend etwas getan werden, fordert am Tag gegen die Kinderarbeit das Kinderhilfswerk terre des hommes. Was ist Kinderarbeit? Wenn ich als Jugendlicher zum Beispiel Zeitungen austrage, ist das auch Arbeit. Aber dagegen haben Sie nichts?

Barbara Küppers (Kinderhilfswerk terre des hommes): Dagegen habe ich nichts, wenn die Kinder in Deutschland über 14 sind, wenn sie gleichzeitig zur Schule gehen und sie nicht zu einer Zeit arbeiten, die für Kinder nicht gut ist, wie nachts um drei. Wir haben auch nichts dagegen, dass Kinder arbeiten. Wo wir uns sehr große Sorgen machen und wirklich auch von allen Beteiligten deutlich mehr Engagement fordern, ist diese ausbeuterische Kinderarbeit. Diese 72 Millionen Kinder, die zum Beispiel in Steinbrüchen oder nachts arbeiten, die auf Pestizid verseuchten Baumwollfeldern Baumwolle pflücken, die wie Sklaven gehalten werden. 19 Millionen von diesen Kindern sind jünger als zehn Jahre. Dass so kleine Kinder überhaupt nicht arbeiten sollen, sollte klar sein.

DOMRADIO.DE: Man würde erwarten, dass das der Vergangenheit angehört. Stattdessen gibt es Regionen in der Welt, wo die Kinderarbeit sogar zunimmt. Warum ist das so?

Küppers: Das ist immer da der Fall, wo es Krisen und Konflikte gibt und, wo viele Menschen vertrieben werden. Wir haben einen heftigen Anstieg von Kinderarbeit in den Nachbarländern von Syrien nach den großen Fluchtwellen verzeichnet. Die Hälfte der Flüchtlinge sind übrigens Kinder. Die Familien sind auf einmal aus ihrem Land heraus und haben möglicherweise kein privates Geld mehr. Die müssen irgendwie ihren Lebensunterhalt verdienen. Zum Teil ist es für Erwachsene verboten zu arbeiten. Und dann gehen die Kinder arbeiten, gehen nicht zur Schule und sprechen zum Teil eine andere Sprache. Das ist eine sehr große Herausforderung.

DOMRADIO.DE: Wie kann es sein, dass Arbeiten für Erwachsene verboten ist und für Kinder nicht?

Küppers: Für erwachsene Flüchtlinge ist Arbeiten verboten, wenn sie zum Beispiel in den Nachbarländern von Syrien oder auch bei uns gerade angekommen sind. Für Kinder ist es auch verboten, aber die Arbeiten halt da, wo es etwas zu tun gibt und sie nicht besonders auffallen. Es gibt in solchen Gegenden auch immer Leute, die ausnutzen, dass andere Geld verdienen müssen, aber eigentlich nicht arbeiten dürfen und die dann sowohl Erwachsene als auch Kinder anstellen - zum Beispiel bei der Haselnussernte in der Türkei. Da haben wir dann doch wieder Kinder gefunden, nachdem jahrelang keine Kinderarbeit mehr war.

DOMRADIO.DE: Sie haben eine Studie herausgebracht, in der sie Wege aufzeigen, wie man sich dagegen wehren kann. Wie kann man das angehen?

Küppers: Eine der wichtigsten Maßnahmen, die Regierungen ergreifen müssen, ist zum Beispiel die Schulpflicht einzuführen. Das schönste Beispiel ist Indien, wo sie 2009 eingeführt wurde. Wohlgemerkt: Vor zehn Jahren wurde die Schulpflicht dort erst eingeführt. Indien hat es geschafft, die Zahl der arbeitenden Kinder von acht auf sechs Millionen zu reduzieren.

Wir fragen in solchen Ländern wie Indien die Kinder, was passieren muss, damit sie auch wirklich zur Schule gehen können. Kinder zu befragen, ist ein tolles Mittel, weil sie wissen, was sie hindert. Sie haben uns zum Beispiel gesagt: Es gibt kein Trinkwasser in der Schule. Wenn wir zur Schule gehen, werden wir vom Verkehr fast überfahren. Es gibt keinen Fußgängerweg. Wir brauchen auch in der Schule Toiletten für Mädchen, sonst können die den ganzen Tag nicht durchhalten. Die Kinder selber wissen sehr genau, was ihnen hilft. Das geht dann gut voran, wenn man eine gute Regierung hat, die die Schulpflicht einführt, die Kinder auch befragt werden und man vor Ort die kleinen Dinge ändert, die das Entscheidende sind.

DOMRADIO.DE: Würde es helfen, wenn wir als Konsumenten beispielsweise keine türkischen Haselnüsse mehr kaufen?

Küppers: Boykottieren hilft gar nicht, weil die Zahl derer, die boykottieren, viel zu gering ist, als dass das irgendeine Wirkung hätte. Es gibt für einige Produkte, in denen Kinderarbeit stecken kann, das Fairtrade-Siegel, zum Beispiel für Textilien, Kaffee, Tee oder Schokolade. Das ist ganz wunderbar, weil das den Leuten hilft, die an diesem Programm teilnehmen. Wir müssen aber leider feststellen, dass Handels- und Wirtschaftsunternehmen zu wenig gegen Kinderarbeit unternehmen. Einige beteiligen sich beispielsweise an bestimmten Projekten und siegeln Produkte, aber lange nicht genug. Das heißt: Es muss politische Lösungen geben. Man kann die Verantwortung für Kinderarbeit nicht bei den Verbrauchern abkippen, da müssen die Regierungen etwas tun - zum Beispiel auch die Bundesregierung.

Das Interview führte Ricardo Schlegelmilch.


Quelle:
DR
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