Seit ihrer Gründung 1998 ist es das Ziel der Amadeu Antonio Stiftung, eine demokratische Zivilgesellschaft zu stärken, die sich konsequent gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet. Dabei ist es der Stiftung ein wichtiges Anliegen, gleichermaßen gegen Antisemitismus und Rassismus zu arbeiten. Nicht erst seit der Selbstenttarnung des "Nationalsozialistischen Untergrunds" tritt sie daher konsequent gegen Rechtsextremismus ein. Antisemitismus, auch in Form von Israelfeindlichkeit, und Rassismus sind ein in Deutschland weit verbreitetes Problem, das noch zu wenig wahrgenommen wird. Dieser gesellschaftlichen Fehlwahrnehmung setzt die Stiftung Aufklärung, Sensibilisierung sowie Beratung und Förderung von lokalen Initiativen entgegen.
Die Amadeu Antonio Stiftung hat überall in Deutschland bereits über 1.200 lokale Initiativen und Projekte in den Bereichen demokratische Jugendkultur, Schule, Opferschutz und Opferhilfe, kommunale Netzwerke sowie Hilfsangebote für Aussteigerinnen und Aussteiger aus der Naziszene unterstützt. Wichtigste Aufgabe der Stiftung ist es, die Projekte über eine finanzielle Unterstützung hinaus zu ermutigen, Öffentlichkeit für ihre Situation zu schaffen und sie zu vernetzen.
Der Namensgeber der Stiftung, Amadeu Antonio, wurde 1990 von rechtsextremen Jugendlichen im brandenburgischen Eberswalde aus rassistischen Gründen zu Tode geprügelt, weil er Schwarz war. Er war eines der ersten von heute mindestens 192 Todesopfern rechtsextremer Gewalt seit dem Fall der Mauer.
Die Amadeu Antonio Stiftung wird u.a. von der Freudenberg Stiftung unterstützt und arbeitet eng mit ihr zusammen. Die Stiftung ist Mitglied im Bundesverband Deutscher Stiftungen und hat die Selbstverpflichtung der Initiative Transparente Zivilgesellschaft unterzeichnet. (Amadeu Antonio Stiftung)
12.07.2018
Die Urteile im NSU-Prozess sind gefällt. Doch ist damit auch alles aufgeklärt, was aufgedeckt sein sollte? Die Amadeu Antonio Stiftung engagiert sich gegen Rechtsextremismus und sieht noch lange keinen Schlussstrich unter der Aufarbeitung.
DOMRADIO.DE: Im NSU-Prozess ist die Hauptangeklagte Beate Zschäpe wegen zehnfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Das Oberlandesgericht München stellte zudem die besondere Schwere der Schuld fest - damit ist eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren rechtlich zwar möglich, in der Praxis aber so gut wie ausgeschlossen.
Der Mitangeklagte Ralf Wohlleben wurde als Waffenbeschaffer für den NSU zu zehn Jahren Haft verurteilt. Das Oberlandesgericht sprach ihn der Beihilfe zum Mord schuldig. Der Mitangeklagte Holger G. wurde zu drei Jahren Haft verurteilt, der Mitangeklagte André E. zu zwei Jahren und sechs Monaten, der Mitangeklagte Carsten S. zu drei Jahren Jugendstrafe. Wie bewerten Sie insgesamt den Richterspruch?
Robert Lüdecke (Amadeu Antonio Stiftung): Es ist ein zweischneidiges Urteil. Erfreulich ist natürlich auf jeden Fall die harte und empfindliche Strafe gegen Beate Zschäpe als Haupttäterin. Die lebenslange Strafe mit der besonderen schweren Schuld ist vor allem eine wichtige Anerkennung der Tatsache, dass es eben nicht sein muss, selbst den Abzug einer Waffe zu drücken, um Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus zu unterstützen.
Andere Strafen dagegen verwundern uns schon sehr. Einige der Unterstützer sind mit recht milden Strafen davongekommen. Dass jetzt einer der Angeklagten, der wirklich als einschlägiger, harter Rechtsextremer bekannt ist, auf freien Fuß gelassen wurde, ist tatsächlich ein kleiner Skandal. Das ist nicht zufriedenstellend. Dieses Urteil wird den Ansprüchen der Hinterbliebenen und Betroffenen natürlich überhaupt nicht gerecht. Denn die stellen sich viel größere Fragen als nur dieser Kern, der dort verhandelt wurde.
DOMRADIO.DE: Was sind die größten Fragezeichen, die jetzt aus Ihrer Sicht bleiben?
Lüdecke: Im Endeffekt hat sich das Gericht vor allem auf diese Trio-These gestützt. Das heißt, man ist von einem harten Kern des NSU ausgegangen, der die Taten begangen hat. Aber das ganze große dahinterliegende Netzwerk, die rechtsextremen Strukturen und diejenigen, die für den NSU gespäht haben, Tatorte ausgekundschaftet haben und auch die ganze Infrastruktur bereitgestellt haben, sind nach wie vor nicht aufgedeckt. Das sind große Fragezeichen. Da kritisieren natürlich Betroffene und Hinterbliebene zu Recht, dass der Staat hier seiner Verpflichtung nicht nachgekommen ist, das aufzuklären.
DOMRADIO.DE: Ist das jetzt sogar ein Signal an die rechte Szene, dass die Wahrscheinlichkeit aufzufliegen relativ gering ist?
Lüdecke: Das ist leider ein ganz fatales Signal, was hier in die rechte Szene ausstrahlt. Wenn ein harter Rechtsextremer mit so einer milden Strafe, obwohl er Rechtsterroristen unterstützt hat, wieder auf freien Fuß gelangt, dann ist das leider wirklich ein Signal, dass Neonazis hierzulande nur milde Strafen zu befürchten haben und dass die Strafverfolgung viel zu milde vorgeht.
DOMRADIO.DE: Sie fordern als Stiftung eine weitere Aufklärung der Unterstützungsnetzwerke und wollen auch, dass da ganz besonders die Rolle von Frauen im Umfeld des NSU unter die Lupe genommen wird. Warum besonders der Fokus auf die Frauen?
Lüdecke: Die Verharmlosung von Frauen in der rechtsextremen Szene hat wirklich auch beim NSU ein frühzeitiges Aufdecken verhindert. Es gibt Beispiele, wo Rasterfahndung durchgeführt wurden, wo tausende Datensätze nochmal durch die Ermittlungsbehörden durchgerastert wurden und die Personen noch einmal kontrolliert werden sollten. Weil da mehrere zehntausend Datensätze plötzlich auftauchten, die man hätte gegenprüfen müssen, hat man sich zum Beispiel kurzerhand entschlossen im Raum Bayern einfach mal alle Frauen von dieser Liste zu nehmen. Man ging davon aus, dass Frauen nicht so radikal sein könnten. Die könnten keine terroristischen Straftaten begehen. Darunter wäre mindestens eine Unterstützerin gewesen, die nachweislich im weiteren Netzwerk des NSU aktiv gewesen ist.
Das Beispiel zeigt, wie blind die Ermittlungsbehörden auch auf dem Auge der Rolle von Frauen in der rechtsextremen Szene sind. Auch im Zuge des Gerichtsprozesses kamen noch mal einige Fälle hoch, die vor allem durch die Nebenklage eingebracht wurden, wo ganz klar ist, dass Frauen eine wichtige Rolle als Unterstützerin gespielt haben. Wir denken da nur an die Alibis, die besorgt wurden, an die Scheinidentitäten, die verschafft wurden. Diese Rollen wurden noch gar nicht aufgeklärt.
DOMRADIO.DE: Wie geht es jetzt für die Betroffenen, für die Hinterbliebenen und für die Angehörigen der Opfer weiter? Welche Rolle werden Sie da als Amadeu Antonio Stiftung spielen?
Lüdecke: Für die Betroffenen ist dieses Urteil natürlich ein Schlag ins Gesicht. Leider war das aber auch absehbar. Dieser Prozess hat sich in den letzten anderthalb Jahren wahnsinnig geschleppt und keine neuen Erkenntnisse gebracht, sodass die Betroffenen eigentlich schon damit gerechnet haben, dass das Urteil sich nur gegen diesen Kern des NSU richten würde. Eine ehrliche Aufarbeitung und vor allem auch ein glaubhafter Versuch der Wiedergutmachung, wäre natürlichdurch eine schonungslose Aufklärung der Netzwerke, die den NSU unterstützt haben, gegeben.
Nicht zuletzt heißt es auch, aus dem Versagen der Ermittlungen und den Strukturen der Verfassungsschutzbehörden, die den NSU haben gewähren lassen und mindestens indirekt unterstützt haben, Konsequenzen zu ziehen. Das ist eine Forderung, die sowohl die Betroffenen als auch wir als kritische Zivilgesellschaft jetzt lauthals nochmal formulieren müssen. Denn ansonsten befürchten wir, dass diese Ermittlungen, die dann noch laufen, im Sande verlaufen werden. Das heißt, wir schließen uns dieser Forderung an und werden da auch weiter Druck ausüben, dass die noch laufenden Strukturermittlungen beispielsweise in die rechtsextremen Netzwerke rund um den NSU hinein weitergeführt werden - und das konsequent.
Das Interview führte Hilde Regeniter.
Seit ihrer Gründung 1998 ist es das Ziel der Amadeu Antonio Stiftung, eine demokratische Zivilgesellschaft zu stärken, die sich konsequent gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet. Dabei ist es der Stiftung ein wichtiges Anliegen, gleichermaßen gegen Antisemitismus und Rassismus zu arbeiten. Nicht erst seit der Selbstenttarnung des "Nationalsozialistischen Untergrunds" tritt sie daher konsequent gegen Rechtsextremismus ein. Antisemitismus, auch in Form von Israelfeindlichkeit, und Rassismus sind ein in Deutschland weit verbreitetes Problem, das noch zu wenig wahrgenommen wird. Dieser gesellschaftlichen Fehlwahrnehmung setzt die Stiftung Aufklärung, Sensibilisierung sowie Beratung und Förderung von lokalen Initiativen entgegen.
Die Amadeu Antonio Stiftung hat überall in Deutschland bereits über 1.200 lokale Initiativen und Projekte in den Bereichen demokratische Jugendkultur, Schule, Opferschutz und Opferhilfe, kommunale Netzwerke sowie Hilfsangebote für Aussteigerinnen und Aussteiger aus der Naziszene unterstützt. Wichtigste Aufgabe der Stiftung ist es, die Projekte über eine finanzielle Unterstützung hinaus zu ermutigen, Öffentlichkeit für ihre Situation zu schaffen und sie zu vernetzen.
Der Namensgeber der Stiftung, Amadeu Antonio, wurde 1990 von rechtsextremen Jugendlichen im brandenburgischen Eberswalde aus rassistischen Gründen zu Tode geprügelt, weil er Schwarz war. Er war eines der ersten von heute mindestens 192 Todesopfern rechtsextremer Gewalt seit dem Fall der Mauer.
Die Amadeu Antonio Stiftung wird u.a. von der Freudenberg Stiftung unterstützt und arbeitet eng mit ihr zusammen. Die Stiftung ist Mitglied im Bundesverband Deutscher Stiftungen und hat die Selbstverpflichtung der Initiative Transparente Zivilgesellschaft unterzeichnet. (Amadeu Antonio Stiftung)