Jeder fünfte Neurentner wird im Jahr 2036 von Altersarmut bedroht sein. Das ist das Ergebnis einer Studie, die die Bertelsmann-Stiftung in Gütersloh vorgestellt hat. Insgesamt steigt die Armutsrisikoquote in der Altersgruppe der dann 67-Jährigen in den kommenden Jahren von heute 16 auf 20 Prozent an. Besonders betroffen sind davon alleinstehende Frauen, Menschen ohne Berufsausbildung und Langzeitarbeitslose. Laut Simulationsberechnungen wird besonders der Anteil der Frauen dramatisch ansteigen, die von staatlichen Leistungen abhängig werden, weil ihr Einkommen nicht fürs Leben reicht. Laut Studie steigt ihr Anteil von heute 16,2 auf 27,8 Prozent im Jahr 2036 an. Für die Studie haben das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) Simulationsberechnungen gemacht. Basis sind Haushaltsdaten, mit denen die zukünftigen Alterseinkommen aus gesetzlicher, privater und betrieblicher Altersvorsorge prognostiziert werden. Rentner gelten heute als armutsgefährdet, wenn ihr Netto-Einkommen unter 958 Euro liegt. Als Ursache für die wachsende Altersarmut sehen die Studien-Autoren zwei Gründe: Die Zunahme von Unterbrechungen im Arbeitsleben und unsichere Beschäftigungsverhältnisse im Niedriglohnsektor. Zum anderen sinkt das Rentenniveau durch die demografische Entwicklung und rentenrechtliche Veränderungen kontinuierlich. Nach Auffassung der Stiftung entfalten die zum Ausgleich geschaffenen Instrumente der privaten Altersvorsorge aber nicht die gewünschte Wirkung. (dpa/Stand 26.06.2017)
07.11.2017
Armut bedroht viele Menschen auch im Alter. Einrichtungen wie der Caritas "TREFFpunkt Annahaus" in Bergisch Gladbach sind Anlaufstellen für Senioren, die sich dorthin mit Problemen und Fragen aller Art wenden können.
domradio.de: Altersarmut betrifft viele. Altersarmut macht auch vielen Menschen Angst, später selbst davon betroffen zu sein. Wie sind Sie im Annahaus denn damit konfrontiert?
Martina Schlütingkemper (Leiterin des "TREFFpunkt Annahaus" in Bergisch Gladbach): Wir im Annahaus sind immer wieder mit dem Thema "Altersarmut" konfrontiert. Gerade zum Monatsende hin ist spürbar, dass die finanziellen Möglichkeiten bei den Senioren ausgeschöpft sind, beziehungsweise nicht mehr für unsere Angebote ausreichen. Das äußert sich dann als Konsequenz darin, dass oft weniger Besucher an den Angeboten teilnehmen können. So erfahren wir das konkret im Annahaus.
domradio.de: Das heißt am Monatsende ist nicht mehr viel Geld da?
Schlütingkemper: Wie man so schön sagt, am Ende des Geldes ist noch zu viel Monat übrig. Das ist dann sehr spürbar bei einigen Besuchern.
domradio.de: Was sind denn die wichtigsten Gründe, aus denen Senioren und Seniorinnen arm sind oder arm werden?
Schlütingkemper: Der Hauptgrund, warum die Senioren arm sind oder arm werden, ist ganz klar, dass die Rente nicht ausreicht. Es wird deutlich, dass viele Senioren am Existenzminimum leben, leben müssen und zusätzlich noch auf Grundsicherung angewiesen sind. Die Rente allein reicht einfach nicht zum Leben.
domradio.de: Gibt es Möglichkeiten, wie die Betroffenen ihre Rente aufbessern können? Bekommen Sie mit, dass sie sich zum Beispiel einen Euro dazuverdienen?
Schlütingkemper: Nein, das bekommen wir nicht mit, dass sich jemand noch einen Euro dazu verdient. Ich spreche jetzt auch von Senioren, die schon um die 80 sind. Die können auch nicht mehr arbeiten, das geht körperlich nicht mehr. Sie sind auch einfach auf das angewiesen, was sie bekommen. Das ist in den meisten Fällen eine Witwenrente. Hier spreche ich natürlich vorwiegend von Frauen. Und natürlich gibt es noch die Grundsicherung. Da bleibt in beiden Fällen einfach nicht viel übrig. Das ist ein heikles Thema, über das nicht viel gesprochen wird. Diese Generation zieht sich dann eher sehr zurück und kommuniziert dies nicht. Dadurch wird für uns jetzt nicht wirklich sichtbar, wie die Senioren damit umgehen.
domradio.de: Welche Folgen hat die Altersarmut für die Betroffenen?
Schlütingkemper: Es ist ganz klar, dass für die Betroffenen natürlich Lebensqualität verloren geht. Mit wenig Geld kann man nicht wirklich viel machen. Die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ist kaum bis gar nicht möglich. Dadurch entsteht gerade bei alten Menschen die Gefahr der Isolation, der Vereinsamung. Sie werden einfach an den Rand der Gesellschaft gedrängt und gehen so ein bisschen unter, was gerade im Alter sehr schlimm und tragisch ist.
domradio.de: Wir hören immer, dass besonders Frauen von Altersarmut bedroht sind. Ist das auch ihre Erfahrung?
Schlütingkemper: Ja, ganz klar. Frauen sind der größte Teil der Betroffenen. Das sind Frauen, ich spreche jetzt von unseren Besucherinnen, deren Ehemänner schon verstorben sind, die nicht oder kaum berufstätig waren und sich nur um Familie und Haushalt gekümmert haben. Jetzt müssen sie von einer ganz kleinen Witwenrente leben und jeden Cent drei Mal umdrehen. Es sind auf jeden Fall viel mehr Frauen als Männer.
domradio.de: Wie können Sie den Armen helfen? Was sind da ihre Angebote an diese Menschen?
Schlütingkemper: Wir haben im Annahaus jetzt nicht spezielle Angebote für arme, ältere Menschen, sondern die Möglichkeit, einen Seniorenfond zu nutzen, der uns zur Verfügung steht. Dieser heißt "kleiner Geldbeutel" und mit ihm können wir es Besuchern, die knapp bei Kasse sind, ermöglichen, an unseren Angeboten teilzunehmen. Darüber hinaus bieten wir zum Beispiel noch Näharbeiten für wenig Geld oder auch kostenlosen Handwerkerservice für kleinere Reparaturen an. Das alles machen Senioren für Senioren. Das ist das, was wir konkret für Senioren vor Ort anbieten können.
domradio.de: Welche Forderungen haben Sie als Frau der Praxis in Sachen Altersarmut denn jetzt an die Bundesregierung, die sich jetzt aktuell zusammensetzt?
Schlütingkemper: Aus meiner Sicht wären die Forderungen, dass es natürlich eine gerechte Rente für alle geben muss. Und ganz besonders wichtig ist es, die Situation der Frauen dabei stärker zu berücksichtigen. Die Lebensqualität muss gerade auch im Alter erhalten bleiben und die Zunahme der Altersarmut muss gestoppt werden. Deshalb müssen von der Bundesregierung auch zeitnahe Lösungen gefunden werden, weil es einfach so nicht geht. Die Zukunft sieht dann sonst eher schwarz aus.
Das Interview führte Tobias Fricke.
Jeder fünfte Neurentner wird im Jahr 2036 von Altersarmut bedroht sein. Das ist das Ergebnis einer Studie, die die Bertelsmann-Stiftung in Gütersloh vorgestellt hat. Insgesamt steigt die Armutsrisikoquote in der Altersgruppe der dann 67-Jährigen in den kommenden Jahren von heute 16 auf 20 Prozent an. Besonders betroffen sind davon alleinstehende Frauen, Menschen ohne Berufsausbildung und Langzeitarbeitslose. Laut Simulationsberechnungen wird besonders der Anteil der Frauen dramatisch ansteigen, die von staatlichen Leistungen abhängig werden, weil ihr Einkommen nicht fürs Leben reicht. Laut Studie steigt ihr Anteil von heute 16,2 auf 27,8 Prozent im Jahr 2036 an. Für die Studie haben das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) Simulationsberechnungen gemacht. Basis sind Haushaltsdaten, mit denen die zukünftigen Alterseinkommen aus gesetzlicher, privater und betrieblicher Altersvorsorge prognostiziert werden. Rentner gelten heute als armutsgefährdet, wenn ihr Netto-Einkommen unter 958 Euro liegt. Als Ursache für die wachsende Altersarmut sehen die Studien-Autoren zwei Gründe: Die Zunahme von Unterbrechungen im Arbeitsleben und unsichere Beschäftigungsverhältnisse im Niedriglohnsektor. Zum anderen sinkt das Rentenniveau durch die demografische Entwicklung und rentenrechtliche Veränderungen kontinuierlich. Nach Auffassung der Stiftung entfalten die zum Ausgleich geschaffenen Instrumente der privaten Altersvorsorge aber nicht die gewünschte Wirkung. (dpa/Stand 26.06.2017)