Debatten über Online-Hetze haben das Jahr 2016 geprägt

Immer schlimmer?

Hassrede war zuletzt allgegenwärtig. Sie beschäftigte die Bundesregierung und Privatpersonen, sie traf Flüchtlingshelfer und Kirchenvertreter. Der Umgang mit ihr wird auch im kommenden Jahr eine Herausforderung bleiben.

Autor/in:
Paula Konersmann
Hetze über Soziale Medien / © Franziska Gabbert (dpa)
Hetze über Soziale Medien / © Franziska Gabbert ( dpa )

Nach dem Tötungsfall von Freiburg tat sich der Abgrund wieder auf. "Raus mit dem Abschaum", kommentierten Nutzer auf der Facebook-Seite der "Badischen Zeitung" mit Blick auf den tatverdächtigen afghanischen Flüchtling. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) "gehört über Afghanistan ausm Flugzeug geworfen", und: "Das Blut klebt auch an Bahnhofsklatschern wie dir, die den Islam mit all seinen negativen Begleiterscheinungen hier willkommen heißen."

Wird die Online-Hetze immer schlimmer? Schon die Verbrechen der Kölner Silvesternacht waren für manche ein gefundenes Fressen. Und gleich zu Jahresbeginn hagelte es weiter Beschimpfungen gegen Merkel und Flüchtlingshelfer - gegen Flüchtlinge sowieso. Wer einen fremd klingenden Namen trägt, müsse damit schon länger leben, merkte kürzlich die Publizistin Mely Kiyak an: Die Mehrheitsgesellschaft erkenne diesen Hass aber erst jetzt als echtes Problem.

Morddrohungen gegen Erzbischof Schick

Opfer von Hetze werden Personen des öffentlichen Lebens inzwischen auch dann, wenn sie verfassungsrechtliche Selbstverständlichkeiten äußern. Im November zum Beispiel gab es Morddrohungen gegen den Bamberger Erzbischof Ludwig Schick. Er hatte in einem Interview erklärt, natürlich würden die Kirchen einen von den Parteien nominierten und in der Bundesversammlung gewählten Präsidenten muslimischen Glaubens akzeptieren.

Kirchenvertreter warnen allenthalben vor Hass und Hetze; zuletzt forderte der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki strengere Gesetze.

Digitale Angriffe und Mordaufrufe müssten konsequent verfolgt werden, schrieb er in seiner Kolumne auf stern.de. Zugleich sei die Medienkompetenz von Internetnutzern gefragt - eine Forderung, die angesichts der Debatte um sogenannte Fake-News neue Aktualität erhält.

Dazu gehört nach Einschätzung des Medienethikers Alexander Filipovic aber auch die Erkenntnis, dass "die Fähigkeit, über unterschiedliche moralische Regeln und Überzeugungen öffentlich zu streiten", ganz allgemein nicht gut entwickelt sei - "nicht nur auf Seite derjenigen, die kritisch gegenüber einem zahlenmäßig starken Flüchtlingszuzug sind".

Steigende Aggressivität in den Debatten

Dessen ungeachtet beobachtet der Wissenschaftler seit April 2015 eine steigende Aggressivität in den Debatten. "Der offensiv geäußerte, menschenverachtende Hass macht sprachlos", sagt er. Dabei brauche es unbedingt qualitätvolle Debatten über Ziele und Werte des Zusammenlebens, "über Identität und Kultur und die Pflichten und Grenzen unserer Verantwortung für Humanität in dieser Welt".

Wenn die Grenzen von Würde und Wert anderer nicht mehr geachtet und überschritten würden, "dann muss man klar sagen, das geht alles nicht mehr", sagte der katholische Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck am Donnerstagabend im WDR. Im Verbund mit "Lügenpresse"-Rufen, Verschwörungstheorien und herablassender Kritik an Gutmenschen ergebe sich aus den Hassbotschaften "eine enorme Herausforderung", meint auch Filipovic.

Wie sich die Maßstäbe bereits verschoben haben, zeigte sich ebenfalls im Fall Freiburg. Die etablierten Medien nannten das Opfer "Maria L." und verzichteten darauf, Details über ihre Familie breitzutreten. Solche ethischen Richtlinien kümmerten jene wenig, die online "Aufklärungsvideos" veröffentlichten - und teils Privates ans Licht zerrten.

Kirche in der Pflicht

An dieser Stelle sieht die Gesellschaft Katholischer Publizisten Deutschlands (GKP) auch die Kirche in der Pflicht. Sie könne deutlich machen, "dass uns als Katholiken und Christen ethische Standards wichtig sind", sagte der GKP-Vorsitzende Joachim Frank gegenüber domradio.de.

Auch zeigten die aktuellen Entwicklungen, dass professionelle Journalisten unverzichtbar bleiben, so Frank weiter. Dass heute jeder einzelne Nutzer etwa über die Sozialen Medien seine Ansichten direkt in Umlauf bringen könne, habe die Illusion genährt, die journalistische Auswahl und Einordnung von Nachrichten werde überflüssig. Dabei drohe eine massenhafte Überflutung an Informationen und Meinungen, warnte der Publizist. "Dann wird man zugeschwemmt - und ertrinkt womöglich in dieser Situation."


Quelle:
KNA