Globalisierungsangst treibt Populisten Wähler in die Arme

Urängste wirken bis heute

Populisten erhalten in Europa und den USA immer mehr Zulauf. Was treibt Menschen zu Parteien, die eine komplexe Welt mit einfachen Antworten erklären wollen? Wissenschaftler gehen den Ängsten auf den Grund.

Pegida-Demonstration / © Oliver Killig (dpa)
Pegida-Demonstration / © Oliver Killig ( dpa )

Populistische Parteien profitieren vor allem von den Globalisierungsängsten ihrer Wähler. Während eine knappe Mehrheit von 55 Prozent der EU-Bürger die internationale Verflechtung als Chance begreift, empfindet sie fast jeder Zweite (45 Prozent) als Gefahr, wie aus der am Mittwoch in Gütersloh veröffentlichten EU-weiten Umfrage "eupinions" der Bertelsmann Stiftung hervorgeht. Ängste vor der Globalisierung gehen nach Erkenntnissen des Angstforschers Borwin Bandelow auf jahrhundertealte Befürchtungen zurück.

Globalisierung als Bedrohung

Je niedriger die Bildung und je höher das Alter ist, desto mehr wächst die Wahrscheinlichkeit, dass die Menschen Globalisierung als Gefahr empfinden. Globalisierung als Bedrohung empfindet der Studie zufolge auch die große Mehrheit der Befragten, die mit rechtsnationalen und populistischen Parteien sympathisieren. Die Umfrage ist repräsentativ für die EU und die neun größten Mitgliedsstaaten.

Die Ängste seien in Österreich und Frankreich mit 55 beziehungsweise 54 Prozent am größten, schreiben die Autoren. In Großbritannien, Italien und Spanien dagegen lebten mit jeweils mehr als 60 Prozent die meisten Globalisierungsoptimisten - etwas mehr als in Deutschland, das genau im EU-Durchschnitt liegt.

Anhänger rechtsnationaler und populistischer Parteien fürchten laut der Untersuchung besonders häufig die Folgen der Globalisierung - über alle Ländergrenzen hinweg. Das gelte etwa für 78 Prozent der Unterstützer der AfD in Deutschland, für 76 Prozent beim französischen Front National und 69 Prozent bei der FPÖ in Österreich.

"Die etablierten Parteien müssen die Angst vor der Globalisierung in ihre Arbeit einbeziehen", sagte der Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann Stiftung, Aart de Geus. Sie dürften das Werben um besorgte Bürger nicht den Populisten überlassen. Bei linken Parteien spielten Globalisierungsängste auch eine Rolle, allerdings sei der Faktor bei ihnen "nicht so bestimmend".

Abwehrmechanismus aus Zeiten des Stammeslebens

Der Angstforscher Bandelow wies darauf hin, dass es früher ein Überlebensvorteil gewesen sei, Angst vor Fremden zu haben. Als die Menschen noch "in Stämmen organisiert waren, war es wichtig, den eigenen Stamm zu unterstützen und andere bis aufs Blut zu bekämpfen", erläuterte er. "Die Ängste, die daraus entstanden, sind bis heute in jedem Menschen präsent", sagte der Professor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Göttingen dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Angst wird im Gehirn in zwei Gebieten verarbeitet, die nicht notwendigerweise zusammenarbeiten, wie Bandelow erklärte. Es gebe einen intelligenten Teil, der rationalen Argumenten zugänglich sei und auch die positiven Seiten der Globalisierung sehe. "Und es gibt einen primitiven Teil. Dort halten sich solche Urängste hartnäckig." In diesem Teil seien beispielsweise auch Ängste vor Spinnen oder Hunden erhalten geblieben. "Auch solche Ängste waren früher für das Überleben wichtig, heute stören sie."

Pessimisten eher für EU-Austritt

Auffällig an den Umfragewerten ist laut Bertelsmann Stiftung, dass die Ängste einhergehen mit einer ablehnenden Haltung gegenüber Politik und Gesellschaft. Fast die Hälfte der Pessimisten in Europa würde demnach für einen EU-Austritt stimmen, nicht einmal jeder Zehnte vertraue den Politikern. Nur 38 Prozent seien zufrieden mit der Demokratie. Bei den Optimisten seien über 80 Prozent für einen Verbleib in der EU, mehr als die Hälfte äußere Zufriedenheit mit der Demokratie.

Demagogen können nach Bandelows Worten "primitive Ängste wie Xenophobie leicht auslösen und für sich ausnutzen". Mit ihrer "einfachen Sprache und einfachen Botschaften bedienen sie die Ängste, die ohnehin vorhanden sind". Da solche Befürchtungen im primitiven Teil des Gehirns angesiedelt seien, könnten Politiker demokratischer Parteien dem nicht unmittelbar mit intellektuellen Argumenten entgegenwirken.

Die Umfrage unter rund 15.000 Bürgern aller 28 EU-Staaten ergab laut Bertelsmann Stiftung außerdem eine Abhängigkeit der Haltung zur Globalisierung von Bildungsniveau und Alter der Befragten: Höherqualifizierte sehen die Verflechtung mit 62 Prozent häufiger positiv als Geringqualifizierte (53 Prozent). Am aufgeschlossensten seien junge Europäer zwischen 18 und 25 Jahren mit einem Anteil der Optimisten von 61 Prozent.


Quelle:
epd