65 Jahre Bundesverfassungsgericht und die Rolle der Kirchen

"Die Kirche ist kein Fußballverein"

Am 28. September 1951 nahm das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe seine Arbeit auf. Seitdem fällte es häufig Urteile zum Status und den Rechten der Kirchen. Ein domradio.de-Interview mit dem Staats- und Kirchenrechtler Prof. Dr. Stefan Muckel.

Bundesverfassungsgericht (dpa)
Bundesverfassungsgericht / ( dpa )

domradio.de: 65 Jahre Verfassungsgericht, wie oft hat die Kirche eine Rolle gespielt?

Prof. Dr. Stefan Muckel (Institut für Kirchenrecht an der Universität Köln): Es gibt viele Fälle in denen Kirchen oder Religionsgemeinschaften eine Rolle spielen, oder auch das Thema Religionsfreiheit. Das Bundesverfassungsgericht hat beim Verhältnis von Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland eine prägende Rolle gespielt. Angefangen hat alles mit dem "Konkordatsurteil". Das hat sich damit beschäftigt, ob das Reichskonkordat, das in der Weimarer Republik das Verhältnis von Staat und Kirche geregelt hat, auch in der neuen Bundesrepublik noch aktuell ist. Die Antwort ist "ja" und steht im Grundgesetz, Artikel 123.

Dann gibt es die berühmt gewordene "Lumpensammler-Entscheidung". Da ist entschieden worden, dass die Religionsfreiheit im Artikel 4 des Grundgesetzes auch umfasst,  dass Altkleider gesammelt werden können und der Erlös benachteiligten Menschen zu Gute kommt. Natürlich denkt auch jeder gleich an das Kruzifix-Urteil aus dem Jahr 1995. Da wurde entschieden, dass die bayrische Vorschrift "In jedem Klassenzimmer muss ein Kreuz hängen" verfassungswidrig sei.

domradio.de: Die Aufgabe des Verfassungsgerichtes ist es sicherzustellen, dass die Grundrechte der Bürger eingehalten werden. Wenn wir gerade über das Kruzifix-Urteil sprechen, warum fühlt sich denn jemand dadurch in seinen Grundrechten verletzt?

Muckel: In dem Fall ging es konkret um Kinder antroposophisch orientierter Eltern, die auf eine bayerische Volksschule gingen. Die Eltern haben gesagt: "Das widerspricht unserer weltanschaulichen Grundeinstellung, unsere Kinder werden in ihrer 'negativen Religionsfreiheit' beeinträchtigt, und wir in unserem Erziehungsrecht in religiöser Hinsicht, weil wir nicht möchten, dass unsere Kinder dem christlichen Symbol schlechthin ausgesetzt sind." Es geht also um die negative Religionsfreiheit, ein sehr spezifischer Teil des Grundrechts auf Religionsfreiheit, der damals entscheidend war.

domradio.de: Wenn wir Kirche mit anderen gesellschaftlichen Institutionen vergleichen, nehmen die Kirchen da aber doch eine Sonderstellung ein, oder?

Muckel: Die Kirchen stehen für Religion und haben deshalb einen anderen Status. Das betrifft auch andere Glaubensgemeinschaften. Die Zeugen Jehovas haben zum Beispiel 1999 auch spektakulär gewonnen, als sie Körperschaft des öffentlichen Rechts werden wollten. Das war auch sehr prägend für die Verleihung von Körperschafts-Status an kleinere Religionsgemeinschaften. Wir haben im Grundgesetz eindeutig die Religionsfreiheit festgeschrieben, im Gegensatz zum Beispiel zur "Fußballfreiheit", deshalb haben Kirchen vielleicht eine andere Stellung als der DFB. Im Prinzip sind das aber alles gesellschaftliche Akteure.

domradio.de: Das kirchliche Arbeitsrecht ist auch oft in der Diskussion. Erst vor kurzem wurde ein katholischer Chefarzt entlassen, weil er nach seiner Scheidung wieder geheiratet hat. Darüber hat auch das Bundesverfassungsgericht entschieden. Ist es denn gerechtfertigt, dass die Kirche da ihre eigenen Regeln aufstellt?

Muckel: Im Grundgesetz steht das Recht auf Selbstbestimmung der Religionsgemeinschaften, das ist noch eine Übernahme aus der Weimarer Republik. Religionsgemeinschaften können über ihre eigenen Angelegenheiten selbst bestimmen. In der Folge sagen die Kirchen und Gemeinschaften: Wen wir beschäftigen und welche Einrichtungen wir betreiben ist unsere Angelegenheit. Das Verfassungsgericht sagt nun juristisch völlig stimmig und logisch: "Wir als Staat können nicht entscheiden, was zu diesen Angelegenheiten zählt und was nicht. Das kann nur die Kirche selbst, und deshalb kann die Kirche auch nur selbst diese 'Loyalitätsobliegenheiten‘ formulieren."

Zum Beispiel sollte sich ein Arzt in einem kirchlichen Krankenhaus nicht für die Abtreibung stark machen, was auch in Karlsruhe entschieden wurde. Juristisch kann man das auch gar nicht anders sehen. Aus Sicht der Kirchen müsste eine Änderung dieser Rechtsprechung in der Konsequenz dazu führen, dass sie sich aus diesen vielen Einrichtungen zurückzieht. Es kann nicht gehen, dass die Kirche unzählige Krankenhäuser unterhält und ihr vom Staat aufgezwungen wird, gegen ihre Botschaft und Überzeugung zu handeln.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch


Quelle:
DR