Misereor warnt vor Schließung der Flüchtlingslager in Kenia

Einbürgern statt vertreiben

Kenia ist Zufluchtsort für Hunderttausende Flüchtlinge aus benachbarten Krisenstaaten - und will sie möglichst schnell loswerden. Das katholische Hilfswerk Misereor warnt vor einer humanitären Katastrophe.

Flüchtlinge im Lager Dadaab / © Kurokawa (dpa)
Flüchtlinge im Lager Dadaab / © Kurokawa ( dpa )

domradio.de: Mehr als 180.000 Menschen leben im Camp Kakuma im Nordwesten von Kenia, mehr als 340.000 Menschen in Dadaab, im Osten des Landes. Wie muss man sich den Alltag der Menschen in diesen Mega-Lagern vorstellen?

Barbara Schirmel (Misereor-Länderreferentin für Kenia): Im Prinzip ist das eine Mischung aus Zeltstädten und festen Unterkünften. Dort leben Menschen, die dort geboren und aufgewachsen sind, es gibt Krankenhäuser und so etwas wie Schulen. Es hat sich eine Infrastruktur an Geschäften entwickelt, alles natürlich auf einem extrem niedrigen Niveau. Die Menschen dürften diese Camps im Prinzip nicht verlassen und werden nur mit dem Minimum versorgt. Sie leben am Rande des Existenzminimums.

domradio.de: Sie sagen, es droht eine humanitäre Katastrophe, wenn die Schließung kommt. Warum?

Schirmel: Die Menschen sind durch die Bank vor Krieg und Hunger geflohen. Sie sind aus Somalia vor den Al-Shabaab-Milizen geflohen oder aus dem Südsudan, wo seit über zwei Jahren ein schwerer Bürgerkrieg herrscht. Die Menschen fliehen mit ihrem nackten Leben um zu überleben. Es sind überwiegend Frauen und Kinder. Sollte die Regierung in Nairobi ihre Ankündigung wahr machen, würde dies bedeuten, dass Hunderttausende Menschen zurück in Gebiete müssten, die von Krieg und Gewalt, Hunger und extremer Armut betroffen sind. Eine Rückkehr in ihre Heimatländer ist undenkbar. Somalia hat schon jetzt große Schwierigkeiten, die eigenen Binnenvertriebenen zu versorgen. Auch im Südsudan ist die Lage vor allem aufgrund des anhaltenden bewaffneten Konfliktes sehr prekär.

domradio.de: Die Angst vor Terror ist ein Hauptgrund für die geplante Schließung. Kenia leidet erheblich unter islamistischer Gewalt durch Anschläge. Teilweise sollen die Täter aus dem Lager in Dadaab gekommen sein.

Schirmel: Da gibt es widersprüchliche Aussagen, die kenianische Regierung behauptet, mindestens zwei der Attentäter auf die Universität in Garissa seien aus dem Lager gekommen, es gibt aber kein Verfahren, keine Anklage und keine Namen. Human Rights Watch behauptet, aus dem Lager sei kein Attentäter gekommen. Aber Menschen, die in einer Perspektivlosigkeit leben und marginalisiert leben, können natürlich leichter instrumentalisiert werden von Islamisten. Das gilt sicher auch für das Lager in Daadab. Man kann das also nicht ganz von der Hand weisen. Aber letztendlich kommt es darauf an, wie die Internationale Gemeinschaft und auch Kenia mit Menschen umgehen, die unter extrem schwierigen Bedingungen leben müssen.

domradio.de: Die kenianische Regierung hat natürlich die Proteste gegen diese Entscheidung mitbekommen. Sie sagt, wenn Europa die Grenzen dicht mache und Donald Trump in den USA am liebsten eine Grenzmauer bauen würde, hätten sie ja wohl das Recht, die Lager zu schließen. Europa eignet sich wohl gerade nicht als Kritiker bei Flüchtlingsfragen, oder?

Schirmel: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen, könnte man auch sagen. Aber es gibt ja auch in Europa eine Reihe von Stimmen, die auf die Probleme von Flüchtlingen aufmerksam machen und daran erinnern, dass es hier um Menschen geht, dass es um Leute in einer ganz bitteren Notsituation geht, traumatisierte Menschen. Wenn sich diese Leute zusammenschließen, egal ob sie aus Afrika oder Europa kommen, dann haben sie eine Stimme, das ist der Punkt.

domradio.de: Mittlerweile hat die Regierung gesagt, dass zumindest das Lager in Kakuma bleiben soll. Wie kann Europa Kenia so unterstützen, dass vielleicht auch das andere Lager erstmal bleiben kann?

Schirmel: Nicht nur in Kenia, sondern auch in anderen großen Flüchtlingslagern ist die Internationale Gemeinschaft aufgrund der zunehmenden Zahl an Problemen und Krisen in der Welt gefragt, noch viel mehr zu tun. Das Geld fehlt an allen Ecken und Enden. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, das ja auch in Dadaab vertreten ist, muss mit den entsprechenden Mitteln ausgestattet werden, damit diese Menschen versorgt werden können. Das darf nicht auf Kosten der umliegenden kenianischen Bevölkerung gehen.

domradio.de: Ein Lager bleibt eine provisorische Unterkunft. Wie könnte denn die Situation für die rund 600.000 Menschen dauerhaft gut gelöst werden?

Schirmel: Das ist eine politische Frage, die sowohl Kenia als auch andere Länder, die Flüchtlinge aufnehmen, betrifft. Ab wann gibt man Flüchtlingen z.B. die Möglichkeit die Staatsbürgerschaft zu erlangen und aus dem Lager herauszukommen, um sich in eine Bevölkerung zu integrieren und staatsbürgerliche Rechte zu bekommen? Diese Frage muss sich auch Kenia stellen, denn viele Menschen sind ja im Lager geboren und kennen die Heimat ihrer Eltern gar nicht.

Das Interview führte Heike Siccconi.


Quelle:
DR