Kommission zur Aufarbeitung von Kindesmissbrauch startet

"Es wird noch immer zu viel weggeschaut"

Der jahrzehntelange sexuelle Missbrauch Tausender Kinder in kirchlichen Einrichtungen, Schulen und Familien in Deutschland soll umfassend aufgearbeitet werden. Dazu startete eine unabhängige Kommission am Dienstag ihre Arbeit. 

Symbolbild Kindesmissbrauch / © Patrick Pleul (dpa)
Symbolbild Kindesmissbrauch / © Patrick Pleul ( dpa )

Das Gremium will Missbrauchsopfern zuhören und auf Grundlage dieser Erfahrungen dabei helfen, Kinder und Jugendliche künftig besser zu schützen. Dabei soll es auch um die Frage gehen, welche Strukturen sexuellen Kindesmissbrauch begünstigen und welche Konsequenzen sich daraus ergeben. 

Bei diesem Thema werde in Deutschland zu viel weggeschaut, bagatellisiert und verdrängt, sagte der Missbrauchsbeaufttragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, am Dienstag in Berlin.

"Ursachen in den Blick nehmen"

Die Anhörung der Betroffenen bilde den Kern der Arbeit, erklärte die Vorsitzende der Aufarbeitungskommission, die Erziehungswissenschaftlerin Sabine Andresen. Man wolle aber auch die Gründe erforschen, warum Missbrauchsfälle in der Vergangenheit häufig vertuscht werden konnten. "Das Schweigen der anderen und ihr Wegsehen müssen uns beschäftigen." 

Matthias Katsch von der Betroffeneninitiative Eckiger Tisch ergänzte, sexueller Missbrauch sei kein privates Schicksal. "Wir müssen endlich strukturelle Ursachen und Verantwortlichkeiten in den Blick nehmen."

Betroffenenverbände sollen zu Wort kommen

Rörig hat die Kommission zunächst für drei Jahre eingesetzt. Vorsitzende ist die Frankfurter Sozialpädagogik-Professorin Sabine Andresen. Weitere Mitglieder sind die ehemalige Bundesfamilienministerin Christine Bergmann, der Rostocker Bildungshistoriker Jens Brachmann, der Hamburger Sexualforscher Peer Briken, die Honorarprofessorin an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen in Berlin, Barbara Kavemann, der Sozialpsychologe Heiner Keupp sowie die ehemalige Präsidentin des Frankfurter Oberlandesgerichts, Brigitte Tilmann.

Unterstützt werden die sieben festen Mitglieder durch "ständige Gäste" aus den Betroffenenverbänden. Ab Dienstag sind Homepage und Infotelefon (0800/4030040) geschaltet. Der Abschlussbericht der Kommission ist für März 2019 geplant. Dem Gremium steht ein Budget von je 1,4 Millionen Euro jährlich zur Verfügung.

Im Blick: Sexuelle Gewalt in kirchlichen Einrichtungen, Schulen und Familien

Neben Gesprächen mit Missbrauchsopfern sind auch öffentliche Hearings vorgesehen sowie regelmäßige Berichte. Ein erster Zwischenbericht der Kommission ist bereits für das kommende Jahr geplant. Die Opfer bleiben dabei anonym, wie Andresen versicherte. "Betroffene bleiben im Besitz ihrer Geschichte."

Informationen über Missbrauchsfälle am katholischen Canisius-Kolleg in Berlin hatten vor sechs Jahren eine Welle weiterer Enthüllungen ausgelöst. Mit den Fällen an Schulen und in kirchlichen Einrichtungen will sich die neue Kommission ebenso befassen wie mit Übergriffen in der Familie. Rörig sagte, Schätzungen zufolge seien in Deutschland eine Million Kinder und Jugendliche von sexueller Gewalt in ihrer Kindheit betroffen.

Andresen räumte ein, in der Vergangenheit sei Opfern oftmals nicht geglaubt worden. Vor diesem Hintergrund appellierte Tamara Luding vom Betroffenenrat ausdrücklich an die Missbrauchsopfer, sich bei der Aufarbeitungskommission zu melden: "Es wird Ihnen geglaubt, und Sie werden gehört."


Johannes-Wilhelm Rörig (dpa)
Johannes-Wilhelm Rörig / ( dpa )
Quelle:
KNA , epd , dpa