Studie: Arme sterben früher

"Wir müssen früh beginnen"

Arme Menschen haben weniger Chancen auf ein langes Leben als wohlhabende, zeigt eine Studie. Der Präsident des Deutschen Caritasverbands spricht sich dafür aus, schon bei jungen Menschen für bessere Chancen zu sorgen.

Wie alt man wird, hat auch mit Geld zu tun / © Karl-Josef Hildenbrand (dpa)
Wie alt man wird, hat auch mit Geld zu tun / © Karl-Josef Hildenbrand ( dpa )

domradio.de: Woran liegt es, Ihrer Meinung nach, dass Reiche teilweise deutlich älter werden als Arme?

Prälat Dr. Peter Neher (Präsident Deutscher Caritasverband): Zunächst einmal gibt es einen politischen Konsens, dass gesundheitliche Chancengleichheit ein Menschenrecht ist, das ist unbestritten. Es ist, glaube ich, richtig, dass neben dem individuellen Verhalten auch andere Faktoren von Bedeutung sind, die den Unterschied ausmachen. Ich nehme mal das Wohnumfeld oder den Arbeitsplatz, soziale Beziehungen, Bildungsstand: Wer zum Beispiel an einer lauten Straße wohnt oder eine körperlich anstrengende Arbeit hat, der wird viel eher Auswirkungen auf seine Gesundheit bemerken. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse mit viel Unsicherheit und Zukunftssorgen ziehen gesundheitliche Belastungen oder das Gefühl der Perspektivlosigkeit nach sich. Gleiches gilt für Menschen, die eine Arbeit haben, die sie nicht erfüllt, die eher mühsam ist. Mit diesen Gründen hängt es zusammen, dass die Unterschiede zwischen Menschen mit besseren und  schlechteren Lebensverhältnissen in einem Maße auseinanderfallen, das im Grunde nicht akzeptabel ist.

domradio.de: Dagegen gibt es schon zahlreiche Gesundheitsprogramme zur Vorsorge. Reichen die aus?

Neher: Seit Sommer 2015 gibt es ein Präventionsgesetz. Weil es erst seit kurzer Zeit in Kraft ist, kann man über die Wirkung noch wenig sagen, auch die Umsetzung ist noch offen. Dabei ist es wichtig, dass das Lebensumfeld stärker in den Blick genommen wird – und das schon ganz früh: In Kindergärten und Schulen, was gesundes Essen angeht, oder dass Präventionsmaßnahmen am Arbeitsplatz entsprechend praktiziert werden, Früherkennungsuntersuchungen von Kindern und Jugendlichen. Diese Maßnahmen zeigen in die richtige Richtung, können aber nicht erzwungen werden. Daher brauchen sie noch einiges an Initiative, damit sie lebensnah sind und Menschen in schwierigen Lebensverhältnissen erkennen, wie gesünderes Leben gehen kann und bessere Lebensperspektiven bekommen.

domradio.de: Besonders Männer sind von den Unterschieden deutlich betroffen. Woher kommt das?

Neher: Da gibt es mehrere Gründe: Männer scheinen sich für gesundheitliche Zusammenhänge weniger zu interessieren. Sie machen auch Kummer und Sorgen lieber mit sich selber aus, fressen es gerne in sich hinein. Aber auch körperlich haben sie Berufe, wo sie stärker gefordert sind, etwa im Straßenbau oder im Baugewerbe. Das sind schon Faktoren, die bei dem deutlichen Unterschied zwischen Männern und Frauen eine Rolle spielen.

domradio.de: Nun kann man sagen, dass der Trend in vielen Ländern der Welt noch deutlicher ist als in Deutschland. Können wir damit zufrieden sein?

Neher: Nein, zufrieden können wir nicht sein. Wenn es dermaßen große Unterschiede zwischen Gutverdienern und Schlechtverdienern gibt, darf uns das nicht gleichgültig sein, unabhängig von der Situation in anderen Ländern. Wichtig scheint mir, deutlich zu machen, dass Gesundheit ein Zusammenspiel von vielen Faktoren ist: Arbeitsbedingungen, sprachliche Kenntnisse und der Bildungsstand spielen eine erhebliche Rolle für Lebensperspektiven. Arbeit ist ganz entscheidend, aber es muss Arbeit sein, die einen erfüllt. Wir müssen aufpassen, dass wir Menschen in prekären Lebenslagen nicht leichtfertig abwerten und sagen: „Die sind ja selber schuld – Alkoholkonsum, Zigarettenkonsum“. Denn wir wissen, dass diese Themen nicht an Schichten und Einkommensgruppen gebunden sind. Aber offenbar haben Menschen mit höherem Verdienst und einem besseren Arbeitsplatz andere Formen, das zu kompensieren. Darum: Es auf Alkohol oder Rauchen zu reduzieren, würde an der Realität vorbei gehen. Ich glaube, es ist das gesamte Lebensumfeld und da müssen wir früh beginnen. Es ist sicher der richtige Ansatz des Präventionsgesetzes,  in den Kindertagesstätten, Schulen und am Arbeitsplatz anzusetzen. Wir haben an der Zentrale des Deutschen Caritasverbandes zum Beispiel das Stichwort Gesundheitsmanagement, wo verschiedene Dinge angeboten werden, Impulse gegeben werden an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ohne sie zu bevormunden, das sind freie Angebote. An der Stelle kann man aber schon ein paar Sachen nachsteuern.

Das Interview führte Silvia Ochlast.


Quelle:
DR