Synode der Evangelischen Kirche für mehr Flüchtlinge in Europa

"Werte der EU werden mit Füßen getreten"

Die Synode der Evangelischen Kirche hat Ideen formuliert, wie eine menschlichere Migrations- und Asylpolitik in Europas aussehen könnte. Dazu die Präses Irmgard Schwaetzer zum Europatag am Dienstag im domradio.de-Interview.

Flüchtlinge beim Deutschunterricht (dpa)
Flüchtlinge beim Deutschunterricht / ( dpa )

domradio.de: Sie fordern zunächst ein wirksames gesamteuropäisches Seenotrettungsprogramm - darüber hinaus aber eben auch den Ausbau legaler Wege für Schutzsuchende nach Europa. Wie stellen Sie sich das ganz praktisch vor?

Irmgard Schwaetzer (Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland): Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten. Ich denke, es ist wirklich notwendig, dass sich Familien und Kinder nicht mehr gezwungen sehen, sich auf die unsichere Fahrt übers Mittelmeer machen zu müssen. Deswegen schlagen wir vor, dass die Instrumente der Familienzusammenführung - die es ja schon gibt - stärker genutzt werden. Und dass in Krisengebieten humanitäre Visa durch die deutschen und europäischen Botschaften dort erteilt werden.

Das dritte, was wir vorschlagen, ist, ein Neuansiedlungsprogramm in der Europäischen Union zu schaffen. Sowas hat es schon einmal für Flüchtlinge aus Syrien gegeben. Wir meinen, dass das jetzt in einem deutlich größeren Umfang wieder dran ist. Wir schlagen vor, dass allein in Deutschland etwa 20 000 Familien aus Kriegsgebieten einen dauerhaften Aufenthaltstatus bekommen. Die Programme passieren unter Vermittlung der Vereinten Nationen. Es ist ja auch wichtig, dass sorgfältig geschaut wird, wer in diese Programm aufgenommen wird.

domradio.de: Sie wollen auch Arbeitsmigranten - die viele hier ja leicht despektierlich als "Wirtschaftsflüchtlinge" bezeichnen - mehr Möglichkeiten bieten..

Schwaetzer: Das ist ein anderer Aspekt. Wir sind fest davon überzeugt, dass wenn es die Möglichkeit für Arbeitsmigranten gibt, einen legalen Weg zu beschreiten, die gefährlichen Überfahrten übers Mittelmeer weniger werden. Dazu gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, die aber natürlich politisch nicht unproblematisch sind. Eine Idee ist zum Beispiel, dass die Vereinten Nationen Zentren in den Regionen einrichten, aus denen viele Arbeitsmigranten kommen.

domradio.de: Ein wichtiger Punkt ist ja auch die Verteilung der Flüchtlinge aud die einzelnen Mitgliedsstaaten - Stichwort "Dublin". Was müsste da verändert werden? 

Schwaetzer: In der gesamten Dublin-Verordnung sind zwei Dinge, die korrigiert werden müssten. Das eine ist, dass immer das Land für die Aufnahme zuständig ist, in dem ein Flüchtling europäischen Boden betreten hat. Das führt zu dieser unsäglichen Abschiebepraxis, dass traumatisierte Flüchtlinge noch einmal quer durch Europa verschoben werden. Das ist unmenschlich. Das kann aber nur verändert werden, wenn gleichzeitig alle europäischen Länder ihre Verantwortung innerhalb unserer Wertegemeinschaft Europäische Union wahrnehmen. Es gibt eine ganze Reihe von EU-Ländern, die praktisch überhaupt keine Flüchtlinge aufnehmen und damit die Länder, in die die Flüchtlinge als erstes hineinkommen, mit ihren Problemen allein gelassen werden. Wir brauchen dringend eine Gesamtverantwortung in der EU und das mit Blick auf unsere gemeinsamen Werte, die im Moment mit Füßen getreten werden.  

domradio.de: Sie haben alle diese Punkte in Ihrem Beschlusspapier formuliert - als Bitte an den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, sich gegenüber der Bundesregierung und den europäischen Institutionen für diese Verbesserungen einzusetzen. Wie optimistisch sind Sie, dass Ihre Vorschläge auf offenen Ohren treffen?

Schwaetzer: Bei der Bundesregierung hat sich ein Umdenken in den letzten Wochen schon sehr deutlich angekündigt. Die Initiativen, die die Bundesregierung in Brüssel aufgenommen hat, gehen schon deutlich weiter, als das früher der Fall war. Aber auch da werden wir nicht nachlassen, dass die Bundesregeirung noch weitere Schritte unternimmt. Das wirkliche Problem scheint mir in der Bereitschaft anderer EU-Staaten zu liegen, eine Gesamtverantwortung wahrzunehmen.

 

Die Fragen stellte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR