Angela Merkel über Flüchtlinge und den Papst

Asylrecht für politisch Verfolgte

In der aktuellen Debatte über die Flüchtlingspolitik verteidigt Bundeskanzlerin Angela Merkel das europäische Asylsystem und spricht mit der Katholischen Nachrichten-Agentur auch über Fragen in der Familienpolitik.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (dpa)
Bundeskanzlerin Angela Merkel / ( dpa )

KNA: In Ihrem Urlaub in Südtirol haben Sie ein Buch von Papst Franziskus gelesen. Wie kam es dazu?

Merkel: Seit seinem Amtsantritt beeindruckt mich Papst Franziskus mit seiner Botschaft und seiner Art. Bei der Privataudienz im Mai habe ich ihn als einen vielseitig interessierten, sehr gut informierten Mann kennengelernt, als einen Geistlichen, der sehr den Menschen und ihren Sorgen zugewandt ist. Das Gespräch mit ihm hat mich neugierig gemacht. Ich wollte mehr über den neuen Papst erfahren, und deshalb habe ich das Buch gelesen.

KNA: Die erste Reise des Papstes führte ihn nach Lampedusa, wo er Europa zu mehr Hilfe für die Bootsflüchtlinge aufrief. Ist die Kritik berechtigt und die Asylpraxis zu restriktiv?

Merkel: Die Worte und die Gesten des Papstes auf Lampedusa waren sehr berührend angesichts der Dramen, die sich leider immer wieder auf dem Meer vor dieser Insel abspielen. In Deutschland gilt für das Asylrecht der ebenso einfache wie klare Satz unseres Grundgesetzes: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht." Dieser Satz ist ein klares Bekenntnis. Seit 1953 wurden in Deutschland 3,7 Millionen Erst- und Folgeanträge gestellt. Jeder einzelne Antragsteller bekommt ein rechtsstaatliches Asylverfahren. Darüber hinaus nimmt Deutschland aus humanitären Gründen auch Flüchtlinge aus Drittstaaten auf. So haben wir als einziges europäisches Land angekündigt, 5.000 weitere syrische Flüchtlinge aufzunehmen. Das gemeinsame europäische Asylsystem gewährleistet, dass Verfolgte nicht in Gefahrensituationen zurückgeschickt werden. Es garantiert Asylbewerbern und Menschen, die internationalen Schutz genießen, innerhalb der EU anständige Bedingungen. Das Europäische Parlament hat diesen neuen Regeln Mitte Juni zugestimmt, und das begrüße ich sehr.

KNA: Besonders Christen geraten gerade in Syrien und Ägypten unter Druck. Kümmert sich Deutschland darum?

Merkel: Das Recht, seine Religion frei und ungehindert auszuüben, ist ein elementares Menschenrecht, das für alle Glaubensgemeinschaften gelten muss. Wir können nicht einfach hinnehmen, wenn es missachtet wird ganz gleich, wo das passiert. Und deshalb haben wir bereits mehrfach an die ägyptische Regierung appelliert, alles zu tun, um ihre koptischen Landsleute zu schützen. Den Menschen ist nicht geholfen, wenn sie ihre angestammte Heimat verlassen müssen, um ihren Glauben praktizieren zu können auch wenn es Ziel religiöser Fanatiker sein mag, Andersgläubige zu vertreiben. Deshalb fördert die Bundesregierung Projekte, die weltweit Religions- und Glaubensfreiheit gewährleisten sollen. Dazu zählen etwa Programme des interkulturellen Dialogs, also zwischen Menschen unterschiedlicher religiöser Bekenntnisse.

KNA: Es gibt eine dramatische Entkirchlichung der Gesellschaft. Was muss die Politik tun?

Merkel: Nach unserem Staatsverständnis sind Politik und Kirche getrennt - das hat gute Gründe. Ich möchte die Kirchen dennoch ermutigen, lebendig zu sein, auf die Menschen zuzugehen, um sie für das Christentum zu öffnen. Denn jede Gesellschaft ist auf ein Fundament grundlegender Werte und Normen angewiesen, das sich bei uns ganz wesentlich aus christlichen Wurzeln speist. Nicht zufällig beginnt der erste Satz unserer Grundgesetz-Präambel mit den Worten: "Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen." Die Aufgabe des Staates ist es zunächst, vernünftige Rahmenbedingungen für ein freies, politisch unabhängiges kirchliches Leben und Wirken zu sichern. Ich denke, die Politik trägt auch Mitverantwortung dafür, dass uns allen bewusst bleibt, wie wichtig unsere gemeinsamen Werte und Normen für unser Zusammenleben sind.

KNA: Die Evangelische Kirche in Deutschland hat ein Familienpapier vorgelegt. Was sagt das Mitglied Merkel zur Handreichung ihrer Kirche?

Merkel: Die EKD hat mit ihrem Papier eine rege Diskussion ausgelöst - innerhalb wie außerhalb der Kirche. Familie ist für die meisten Menschen der wichtigste Ort, weil sie sich dort geborgen fühlen, sich aufeinander verlassen können. Ehe und Familie sind das Fundament unserer Gesellschaft, sie stehen deshalb unter dem besonderen Schutz unseres Grundgesetzes und verdienen unsere besondere Unterstützung. Ich respektiere es selbstverständlich, wenn Menschen ihr Leben anders anlegen, weil auch in anderen Formen der Partnerschaft Werte gelebt werden, die für unsere Gesellschaft grundlegend sind. Dennoch halte ich den besonderen Schutz von Ehe und Familie, wie er im Grundgesetz angelegt ist, für richtig.

KNA: Wird eine neue Regierung Merkel das Adoptionsrecht für eingetragene Lebenspartnerschaften einführen?

Merkel: Die CDU hat keine Pläne für eine solche Gesetzesinitiative. Wir sind uns in der Union einig, dass jede Diskriminierung homosexueller Menschen inakzeptabel ist. In der Frage der Adoption ist zu beachten, dass das Bundesverfassungsgericht ein Urteil zur sogenannten Sukzessivadoption gefällt hatte. Das heißt, dass ein Lebenspartner ein Kind adoptiert, das der andere Lebenspartner vorher angenommen hat. Das Gericht hatte sich nicht mit dem Fall befasst, dass beide Lebenspartner gemeinsam ein Kind adoptieren möchten. Das hat das Bundesverfassungsgericht bislang nicht entschieden.

KNA: 2017 jährt sich der Beginn der Reformation zum 500. Mal. Welches Anliegen verbinden Sie mit dem Ereignis?

Merkel: Ich habe gesagt, dass ich mir erhoffe, dass etwas vom Geist der Reformation wieder zum Menschen gelangt - besonders zu denen, die von diesem Geist noch nie oder schon lange nicht mehr gehört haben. Wichtig ist mir, dass wir der Tragweite des Reformationsjubiläums gerecht werden. Die Reformation ist eines der zentralen Ereignisse der deutschen Geschichte. Und sie hatte, was ihre religiösen, gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Auswirkungen angeht, weltgeschichtliche Bedeutung. Die Reformation hat die Entwicklung eines Menschenbildes gefördert, das maßgeblich von einem neuen christlichen Freiheitsbegriff beeinflusst ist. Bund, Länder und Gemeinden werden deshalb viele Projekte und Maßnahmen vorbereiten und unterstützen, mit denen das Jubiläum in all seinen Facetten gewürdigt wird. Und ich freue mich sehr, dass sich die Länder, die ja für die Feiertagsregelungen zuständig sind, geeinigt haben, das 500. Reformationsjubiläum am 31. Oktober 2017 mit einem bundesweiten Feiertag zu begehen.

KNA: Sie sind sozusagen Großmutter eines Enkelkindes ihres Mannes. Was sind da Ihre besonderen Freuden als Oma? Und was möchten Sie dem Nachwuchs am liebsten mit auf den Lebensweg geben?

Merkel: Mein Mann hat sogar zwei Enkel. Und wir beobachten gespannt, wie sie die Welt entdecken, und sind immer wieder neugierig, was in ihren Köpfen vor sich geht. Ich wünsche ihnen, dass es ihnen gelingt, ihre Talente zu entfalten und so etwas aus sich und ihrem Leben zu machen.

Von Christoph Scholz und Volker Resing.


Quelle:
KNA