Experten legen Bericht zur Reform der Pflegeversicherung vor

Es geht um Milliarden

Pflegebedürftige und ihre Angehörigen können auf mehr Versicherungsleistungen hoffen. Der Pflegebeirat der Bundesregierung hat seinen Bericht für eine Neudefinition der Pflegebedürftigkeit vorgelegt. Lob kommt vom Deutschen Caritasverband.

3 Millionen Demenzkranke bis 2050 (dpa)
3 Millionen Demenzkranke bis 2050 / ( dpa )

Für eine bessere Versorgung hunderttausender Demenzkranker halten Regierungsberater eine zwei bis vier Milliarden Euro teure Pflegereform für nötig. Bis zu 250.000 Menschen mit Demenz, die heute in der Pflegeversicherung leer ausgehen, sollen dann zusätzlich Geld aus der Pflegekasse bekommen. Die hochrangigen Berater übergaben am Donnerstag ihren Bericht zur Ausgestaltung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs an Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) in Berlin. Durch eine neue Eingruppierung der Betroffenen in die Versicherung sollen viele besser, aber niemand schlechter gestellt werden.

Caritas: Voraussetzungen sind erfolgt

Der Deutsche Caritasverband begrüßte die Vorschläge; das Ergebnis könne sich sehen lassen. Die stärkere Berücksichtigung von Demenzkranken führe zu mehr Gerechtigkeit in der Pflege und "hilft den vielen Angehörigen, die nach wie vor die überwiegende Zahl pflegebedürftiger Menschen zu Hause versorgen", sagte Caritas-Generalsekretär Georg Cremer. Besonders wichtig sei, die bisherige kleinteilige Zeitmessung in der Pflege ersatzlos zu streichen. "Pflege, die dem Menschen gerecht wird, kann nicht im Minutentakt erfolgen", so Cremer. Auch der Sozialverband SoVD begrüßte die Vorschläge des Expertenbeirats. "Alle notwendigen Voraussetzungen für umfassende Verbesserungen in der Pflege sind nun erfüllt", erklärte Präsident Adolf Bauer.

Deutsche Stiftung Patientenschutz übt Kritik

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz äußerte dagegen heftige Kritik. Es sei ein "Armutszeugnis", dass sich der Expertenbeirat nicht auf eine konkrete Forderung zur Gesamtsumme geeinigt habe, sagte Vorstand Eugen Brysch. "Offensichtlich sind die Arbeitgebervertreter nicht bereit, ein klares Bekenntnis der Solidarität für die Schwerstkranken abzugeben." Die Politik müsse klarstellen, "was uns würdige Pflege wert ist und wie wir die Leiden der Betroffenen lindern wollen".

Enttäuscht zeigte sich auch der Paritätische Wohlfahrtsverband. Es sei nicht gelungen, klare Signale zu Leistungsverbesserungen in der Pflege zu setzen, sagte Verbandschef Werner Hesse.  "Die von den Beiratsvorsitzenden favorisierten »mindestens 2 Milliarden Euro jährlich waren der Arbeitgeberseite zu viel und den Wohlfahrtsverbänden zu wenig", betonte er. Hesse forderte zusätzliche sechs Milliarden Euro für die Pflegereform.

Der Beitragssatz könnte dem Bericht zufolge im teuersten Fall von 2,05 auf 2,45 Prozent steigen, für Menschen ohne Kinder auf 2,7 Prozent. Bahr kündigte an, dass die Reform rasch kommen soll, wenn er nach der Bundestagswahl im Herbst weiter im Amt bleibt: "Ich werde mich massiv dafür einsetzen, dass wir den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff auch umsetzen." Der Beiratsvorsitzende und Bundespatientenbeauftragte Wolfgang Zöller (CSU) wies darauf hin, dass jede Koalition die Reform angehen könne. Die SPD ihrerseits will die Pflege zur Chefsache machen und bereitet die Beitragszahler auf bis zu fünf Milliarden Euro Mehrkosten vor.

Stärkere Rücksicht auf Demenzkranke

Wie aus dem Bericht hervorgeht, sollen fünf Pflegegrade die heute drei Pflegestufen ersetzen. Der Co-Vorsitzende Klaus-Dieter Voß erläuterte, künftig solle es nicht mehr darum gehen, welche Verrichtungen die Pfleger machen müssten, sondern wie selbstständig der Betroffene noch sei. Mit dem Minutenzählen sei es dann vorbei. Das gegenwärtige Leistungsniveau solle mindestens erhalten bleiben. Die Reform koste mindestens 1,98 Milliarden Euro. "Das ist das Mindeste, was aus unserer Sicht notwendig ist." Die teuerste Variante laufe auf Mehrkosten von vier Milliarden Euro pro Jahr hinaus.

Der 37-köpfige Expertenbeirat hatte auf Bahrs Bitten 15 Monate lang an dem Bericht gearbeitet. In anderer Zusammensetzung hatte er bereits 2009 der damaligen Ministerin Ulla Schmidt (SPD) Vorschläge vorgelegt. Wenn eine neue Koalition nach der Wahl nun eine Reform anhand des Berichts ausarbeitet und beschließt, bräuchte es nach Angaben der Experten maximal 18 Monate, bis alles umgesetzt ist.

Bahr verteidigte sich gegen die Kritik, keine Kostenvorgaben gemacht zu haben. "Es bringt nichts, heute Mehrleistungen zu versprechen, die künftig nicht finanzierbar sind.“

Kritik: Zeit für Zuwendung fehlt

Im Bundestag kam es zum Schlagabtausch über die Pflege. SPD und Grüne scheiterten mit Forderungen nach einer Reform und einem Aussetzen des Pflege-TÜVS. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagte: "Wir laufen in einen Pflegenotstand hinein." Bahr bleibe bei Ankündigungspolitik. Das sei eine Ohrfeige für Betroffene und Beschäftigte. Elisabeth Scharfenberg (Grüne) sagte: "Der Pflege droht ein Flächenbrand." Eine Großreform sei nötig.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund forderte eine rasche Umsetzung der Expertenvorschläge. Der Präsident des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste, Bernd Meurer, sagte: "Entscheidend ist, dass am Ende wirklich mehr dabei herauskommt als nur leere Floskeln." Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Ulrike Mascher, beklagte eine Benachteiligung Dementer: "Die Gleichgültigkeit der Regierung gegenüber Pflegebedürftigen ist beschämend." Nordrhein-Westfalens Pflege-Ministerin Barbara Steffens (Grüne) klagte, Psychopharmaka dürften die Kassen finanzieren, Zeit für Zuwendung nicht. "Das alleine zeigt schon, wie dringend der Reformbedarf ist."


Quelle:
KNA , dpa