Historiker beklagen Hindernisse bei Aufarbeitung von Missbrauch

"Große Verunsicherung"

Historiker beklagen zunehmende Hindernisse bei der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche. Persönlichkeitsrechte hätten Vorrang vor Aufklärungsinteresse. Da sei neben der Kirche auch die Politik gefordert.

Symbolbild Akten / © Harald Oppitz (KNA)
Symbolbild Akten / © Harald Oppitz ( KNA )

"Die Wagschale neigt sich derzeit zu stark zu den Persönlichkeitsrechten von Verantwortlichen und Tätern und zuungunsten des öffentlichen Aufklärungsinteresses", sagte der Hamburger Historiker Thomas Großbölting am Donnerstag in Bonn. "Die juristischen Grenzen des Sagbaren sind derzeit enger gezogen als früher."

Großbölting ist neuer Direktor an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg. Er leitet zugleich ein wissenschaftliches Team, das Missbrauchsfälle im Bistum Münster aufarbeiten soll.

Der Historiker verwies auf die Auseinandersetzung um eine bisher unveröffentlichte Studie zu sexuellem Missbrauch im Erzbistum Köln. Die Veröffentlichung war ursprünglich für März geplant, wurde aber auf unbestimmte Zeit verschoben. Laut offizieller Begründung des Erzbistums braucht die geplante Nennung ehemaliger oder aktiver Verantwortlicher noch eine rechtliche Klärung und Absicherung.

Keine eindeutige Rechtsprechung

Großbölting sprach von einer "großen Verunsicherung" mit Blick auf mögliche Veröffentlichungen von Namen und Verantwortungsstrukturen: Verantwortungsträger beriefen sich immer stärker auf Persönlichkeitsrechte, um öffentliche Aufklärung zu verhindern. Es fehle in diesem Bereich an eindeutiger Rechtsprechung.

Der Historiker appellierte an Politik und Bischöfe, für rechtliche Klarheit und entsprechende Rahmenbedingen zu sorgen. Das gelte etwa auch für kirchliche Archiv-Vorschriften. Verantwortliche und Täter müssten damit leben, dass ihre Verfehlungen auch öffentlich genannt würden. Das gelte auch für Fehler unterhalb der Strafbarkeitsschwelle.

Auch der Bochumer Kirchenhistoriker Wilhelm Damberg sagte, in Deutschland werde der Datenschutz vermehrt als Vorwand genommen, um Aufklärung und die Nennung von Namen zu verhindern. "Es gibt derzeit einen Wechsel der Gewichtung zuungunsten der Forschung."

Großbölting forderte in diesem Zusammenhang bessere Bedingungen für die Wissenschaftler. Sie müssten direkten Zugriff auf alle Akten erhalten. Eine unabhängige Finanzierung der Forschungsprojekte müsse garantiert werden. Damberg und Großbölting äußerten sich bei einer Tagung der Bonner "Kommission für Zeitgeschichte" zum Thema "Katholische Dunkelräume. Die Kirche und der sexuelle Missbrauch".


Quelle:
KNA