Als erste Institution in Deutschland hat die katholische Kirche eine Vereinbarung mit dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch beschlossen.
Auf Eckpunkte hatten sich der Missbrauchsbeauftragte Johannes-Wilhelm Rörig und der Trierer Bischof Stephan Ackermann bereits im vergangenen November verständigt. Demnach soll die Aufarbeitung in den katholischen Bistümern transparent und nach einheitlichen Kriterien erfolgen. Auch sollen unabhängige Experten und Betroffene an dem Prozess teilnehmen. Ackermann ist zugleich Missbrauchsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz.
Die Aufarbeitung befasst sich auch mit jenen Fällen, die infolge von Verjährung oder Versterben der Beteiligten nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden können. Die Bischöfe wollen sich zur Einhaltung von Standards und Kriterien bei der Aufarbeitung und zur Errichtung dafür notwendiger "Aufarbeitungskommissionen" verpflichten. Die Aufarbeitung soll von unabhängigen Fachleuten und unter Mitwirkung der Opfer durchgeführt werden.
Neben der quantitativen Erhebung von Missbrauch geht es darum, herauszuarbeiten, wie die Verantwortlichen in den Bistümern und Orden mit den Tätern und den Betroffenen umgegangen sind. Auch sollen die Strukturen benannt werden, die sexuellen Missbrauch von Minderjährigen durch Geistliche und Kirchenangestellte ermöglicht oder begünstigt haben. (KNA, 28.4.20)
14.06.2020
Sexuellen Missbrauch verhindern, Vertuschung unmöglich machen. Im Bistum Limburg wurden Ergebnisse eines entsprechenden Projekts vorgestellt. "Es kann sich nur was ändern, wenn wir bei uns anfangen", so Bischof Bätzing.
Einen symbolträchtigeren Ort für einen Neuanfang als die Frankfurter Paulskirche hätte man sich kaum vorstellen können. Hier wurden am Samstag die Ergebnisse eines umfangreichen Projekts zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs im Bistum Limburg vorgestellt. Das Motto der Veranstaltung war ebenso vielversprechend: "Der Beginn von Ehrlichkeit."
Der Limburger Bischof Georg Bätzing als Auftraggeber zeigte sich entschlossen: "Es muss nun zu Maßnahmen kommen, die wehtun und Diskussionen auslösen", sagte er bei der Übergabe des 420-seitigen Berichts mit den Ergebnissen. "Dieser Weg wird schmerzlich sein", betonte Bätzing, der Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz ist - und in seinem Bistum vorbildlich bei der Missbrauchsaufarbeitung vorgehen will.
Klerikalismus abschaffen
Insgesamt 70 Experten hatten seit September 2019 im Auftrag des Bistums in dem Projekt mit dem Titel "Betroffene hören - Missbrauch verhindern" mitgearbeitet. In neun Teilprojekten analysierten sie den Umgang mit sexuellem Missbrauch in der Diözese seit rund 70 Jahren. Zugleich entwickelten sie Vorschläge, wie systemische Faktoren künftig ausgeschlossen und Missbrauchstaten möglichst verhindert werden könnten.
Bätzing sagte, im Anblick etwa des "Desasters" bei der Führung früherer Personalakten werde es in diesem Bereich Verbesserungen geben, zudem eine "Gleichstellungsordnung" im Bistum und "ein weniger großes Machtgefälle" in der Kirche. Ingeborg Schillai, Präsidentin der Diözesanversammlung und weitere Auftraggeberin des Projekts, forderte: "Für das System Kirche heißt das, die Überhöhung der Priester, den Klerikalismus abzuschaffen."
Viele Beschuldigte sind schon tot
Projektleiterin Dewi Maria Suharjanto wandte sich gegen jegliche "Doppelmoral" in der Kirche. Und die Wiesbadener Rechtsanwältin Claudia Burgsmüller resümierte als unabhängige externe Projektbeobachterin, die Ergebnisse seien "geeignet, die autoritär klerikalen Strukturen der katholischen Kirche anzukratzen und zu verändern".
Insgesamt wurden den Angaben zufolge 46 aktenkundige Fälle aus der Zeit von 1946 bis heute untersucht, wovon 24 der Beschuldigten bereits verstorben seien. In einem Viertel der Fälle sei schwerer Missbrauch durch einen Priester über einen längeren Zeitraum beschrieben. Etwa zwei Drittel der Beschuldigten waren bei der ersten Aufdeckung über 40 Jahre alt.
Empathiefähigkeit? Fehlanzeige
Alle Beschuldigten seien zwar namentlich bekannt, sie würden aber aus Gründen des Persönlichkeitsrechts im öffentlichen Bericht nicht genannt. Nur die in herausragenden Funktionen tätigen früheren "Entscheider" - Bischöfe, Generalvikare und Personaldezernenten - werden mit Klarnamen benannt. Darunter sind der frühere Ortsbischof Franz Kamphaus, die früheren Generalvikare Raban Tilmann und Günther Geis sowie der langjährige Personaldezernent des Bistum, Helmut Wanka, der von 1986 bis 2015 amtierte.
Verstörend liest sich die Beschreibung der des Missbrauchs beschuldigten Kleriker, darunter auch ein Träger des Bundesverdienstkreuzes. Keiner der Beschuldigten scheint das Ausmaß seines verübten Missbrauchs zu erkennen. "An Empathiefähigkeit mangelte es den Akten nach wohl allen Beschuldigten." In mindestens zwei Fällen sei die Tat sogar im Namen Gottes gerechtfertigt worden.
"Wir alle tragen Verantwortung"
Josef Bill, Projektmitarbeiter und Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht im Ruhestand, bilanzierte: "Wir haben bei unseren Untersuchungen ein unbeschreiblich großes Maß an Elend und Leid der oft schwer traumatisiert zurückgelassenen Betroffenen feststellen müssen." Als Gegenstück habe sich "eine erhebliche Portion von sexuell motivierter und unvorstellbar schlimmer pädosexueller Eigensucht der beschuldigten Täter" gezeigt.
Martin Schmitz berichtete vor den rund 100 Zuhörern in der Paulskirche, dass er vor Jahrzehnten als Messdiener von einem Kaplan missbraucht worden sei. Als Erwachsener fand er in einem Karton mit alten Fotos einen zu einem Papierkügelchen zusammengerollten Zettel, auf den er als Kind seine Gefühle geschrieben hatte:
"Die Tür fällt dumpf ins Schloss, er ist wieder weg. Ich spüre nur noch Leere. (...) Ich weine in mich hinein, in meine Leere. Bis meine kleine Seele darin ertrinkt." Schmitz mahnte: "Wir alle tragen die Verantwortung dafür, dass nicht noch mehr Kinderseelen ertrinken müssen."
Als erste Institution in Deutschland hat die katholische Kirche eine Vereinbarung mit dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch beschlossen.
Auf Eckpunkte hatten sich der Missbrauchsbeauftragte Johannes-Wilhelm Rörig und der Trierer Bischof Stephan Ackermann bereits im vergangenen November verständigt. Demnach soll die Aufarbeitung in den katholischen Bistümern transparent und nach einheitlichen Kriterien erfolgen. Auch sollen unabhängige Experten und Betroffene an dem Prozess teilnehmen. Ackermann ist zugleich Missbrauchsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz.
Die Aufarbeitung befasst sich auch mit jenen Fällen, die infolge von Verjährung oder Versterben der Beteiligten nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden können. Die Bischöfe wollen sich zur Einhaltung von Standards und Kriterien bei der Aufarbeitung und zur Errichtung dafür notwendiger "Aufarbeitungskommissionen" verpflichten. Die Aufarbeitung soll von unabhängigen Fachleuten und unter Mitwirkung der Opfer durchgeführt werden.
Neben der quantitativen Erhebung von Missbrauch geht es darum, herauszuarbeiten, wie die Verantwortlichen in den Bistümern und Orden mit den Tätern und den Betroffenen umgegangen sind. Auch sollen die Strukturen benannt werden, die sexuellen Missbrauch von Minderjährigen durch Geistliche und Kirchenangestellte ermöglicht oder begünstigt haben. (KNA, 28.4.20)