Kinderschutzexperte zur Abschaffung des "Päpstlichen Geheimnisses"

"Es war lange überfällig"

Für den Kinderschutzexperten Hans Zollner ist die Abschaffung der Schweigepflicht bei der Verfolgung von Missbrauch ein großer Schritt für die Kirche. Im Interview erklärt er die Bedeutung für die Rechtslage und warum die Maßnahme "überfällig" war.

Symbolbild "Geheimnis" / © pathdoc (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Zunächst die Frage, die sich einige wahrscheinlich stellen: Was ist ein "Päpstliches Geheimnis"?

Pater Hans Zollner SJ (Psychologe und Präsident des Zentrums für Kinderschutz (CCP)​ im Vatikan): Ein "Päpstliches Geheimnis" ist die höchste Geheimhaltungsstufe und die höchste Vertraulichkeitsstufe, die in der katholischen Kirche existiert – abgesehen vom Beichtgeheimnis. Das heißt Vorgänge, die mit dem "Päpstlichen Geheimnis" qualifiziert sind, können nicht mitgeteilt werden. Nun ist bekannt gemacht worden, dass der Papst mit dem 1. Januar 2020 diese Geheimhaltungsstufe für alle Vorgänge abschafft, die mit Anklagen oder Verfahren sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche zu tun haben.

DOMRADIO.DE: Grundsätzlich gibt es diese "Päpstlichen Geheimnisse" natürlich auch noch bei anderen Themen. Kann der Papst selbst entscheiden, was er weitergibt und was nicht? 

Zollner: Es kommt darauf an. Wenn es außerhalb des Beichtgeheimnisses ist, kann er es natürlich mitteilen – und er wird es auch mitteilen. Der Punkt ist ja nicht – und das versteht man vielleicht bei dem Wort "Päpstliches Geheimnis" nicht sehr leicht – dass der Papst daran gehalten ist. Vielmehr sind alle, die damit betraut sind, nicht befugt, Informationen weiterzugeben.

So gibt es bestimmte Vertraulichkeitsstufen in jedem diplomatischen Vorgang auf staatlicher Ebene. Es gibt ja auch Berufsgeheimnisse bei Ärzten oder Psychologen. Was das "Päpstliche Geheimnis" angeht, ist es ähnlich zu sehen. Nur ist jetzt ein sehr wichtiger Schritt geschehen, in dem der Papst diese Geheimhaltungsstufe mit Blick auf sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche abgeschafft hat.

DOMRADIO.DE: Was heißt das konkret für die Zukunft?

Zollner: Das heißt, dass die staatlichen Behörden bei den jeweiligen Bistümern entsprechende Personalakten anfordern können, um zu sehen, was dort vorliegt, wenn es sich um Anschuldigungen oder Anklagen gegen Kleriker handelt. Dieses neue Gesetz heißt, das die Kirchenverantwortlichen – Bischöfe, Provinziäle, Generalvikare – mit den staatlichen Behörden aktiv zusammenarbeiten müssen. Das ist bisher auch in einigen Ländern schon geschehen. Aber jetzt ist es grundsätzlich so festgelegt, dass es weltweit dieser Maßgabe genügen muss.

DOMRADIO.DE: Viele sind der Meinung, das war lange überfällig. Wie es Ihre Haltung?

Zollner: Ja, es war lange überfällig, weil auch das "Päpstliche Geheimnis" in gewissem Sinn pervertiert worden war. Und zwar, wenn man sich darauf berufen hat, nicht bei der Strafverfolgung und bei der Feststellung von Straftatbeständen zusammenzuarbeiten. Abgesehen davon ist der Heilige Stuhl, also der Vatikan und auch viele Bischöfe weltweit, in der Lage gewesen, mit den Behörden zusammenzuarbeiten.

Grundsätzlich war diese Rechtslage bis zum heutigen Tag nicht geklärt. Ich bin sehr froh, dass dieser Schritt, der mit der Februar-Konferenz zum Kinderschutz für die Vorsitzenden von Bischofskonferenzen angestoßen war, nun sieben, acht Monate nachher tatsächlich geschehen ist.

DOMRADIO.DE: Wird das Ihre Arbeit in irgendeiner Form erleichtern oder beeinflussen?

Zollner: Es wird uns insofern sicherlich helfen, als dass wir wieder einen Schritt auf einem langen Weg – der auch für die katholische Kirche mit diesem Thema noch lange sein wird – gegangen sind. Hin in Richtung Transparenz, in Richtung Rechenschaftspflicht und in der normalen und nachvollziehbaren Erwartung, dass die Kirche keinen Raum für sich beanspruchen kann, sondern sich den Gesetzen eines demokratischen Staates zu fügen hat. 


Hans Zollner / © Romano Siciliani (KNA)
Hans Zollner / © Romano Siciliani ( KNA )
Quelle:
DR